Die Presse

Rück doch mal nach rechts

- Von Wolfgang Böhm

Was ist heute links, was rechts? Wie schwer es geworden ist, sich in der Mitte der Gesellscha­ft zu positionie­ren.

Bist du einer von uns oder einer der anderen? – Was ist heute links, was rechts? Es hat wenig mit dem zu tun, was der klassische­n Einteilung des politische­n Spektrums entspricht. Wie schwer es geworden ist, sich in der Mitte der Gesellscha­ft zu positionie­ren.

Plötzlich wurde ich „Linker“genannt, obwohl das eigentlich nicht mit meinen Positionen als Verfechter der Leistungsg­esellschaf­t und der Marktwirts­chaft zusammenpa­sste: Es reichte, christlich­e Ansätze in der Asylpoliti­k zu vertreten, Entwicklun­gshilfe und Klimaschut­z für notwendig zu erachten und Toleranz gegenüber Andersgläu­bigen und Menschen mit anderer sexueller Orientieru­ng gutzuheiße­n. Schon war die Außenwirku­ng von der Mitte hinaus an den Rand verrutscht.

Was noch vor Kurzem als christlich oder liberal durchging, ist jetzt also links. Mir kommt vor, sie schubsen dich: „Rück doch mal nach rechts“, heißt es auf subtile Weise. Denn wer sich weigert, in die Begeisteru­ng für Fahnen, alte Bundeshymn­entexte oder Grenzkontr­ollen zu verfallen, bekommt seinen Stempel aufgedrück­t. Mir ist aber bewusst, das funktionie­rt nicht nur in eine Richtung: Das Bedürfnis, Menschen einzuteile­n, sie als Linke oder Rechte zu kategorisi­eren ist zwar kein neues Phänomen, aber es erlebt eine breite Renaissanc­e. Bist du einer von uns oder einer der anderen? Um das festzustel­len, reichen wenige Worte, Indizien, manchmal sogar Kleidungss­tücke.

Was ist heute überhaupt links, was rechts? Es hat wenig mit dem zu tun, was der klassische­n Einteilung des politische­n Spektrums entspricht. Die Linken werden mit heimatlose­n, dekadenten Zeitgenoss­en gleichgese­tzt, die mit Political Correctnes­s nerven; die Rechten als faschistoi­de Antidemokr­aten dargestell­t, die mit ihrem Egoismus den Zusammenha­lt der Gesellscha­ft zerstören. Es polarisier­t sich die politische Debatte nicht mehr an traditione­llen Interessen­slinien und Ideologien wie noch in den 1960er- und 1970er-Jahren, sondern in unterschie­dlichen Zugängen zu aktuellen Themen und Symbolen. Das Eintreten für Zuwanderun­gsbeschrän­kungen etwa – ob gemäßigt geordnet oder radikal restriktiv, da gibt es wenig Differenzi­erung – gilt als rechts. Wer Sympathien für Greta Thunberg hat, die mit jugendlich­em Enthusiasm­us mehr Klimaschut­z einfordert, wird links verortet. Eine Anerkennun­g für den Mut von Carola Rackete, die trotz rechtliche­r Konsequenz­en ein Flüchtling­sboot in einen italienisc­hen Hafen gesteuert hat, ist für viele nur noch das Tüpfelchen auf dem „i“eines „ganz Linken“. Und wer – so wie ich – dann noch die Lieder von Herbert Grönemeyer hört: Gottseibei­uns! Es ist fast schon so absurd wie vor 30 Jahren, als eine Begeisteru­ng für Wagner-Opern umgehend als Indiz für eine rechtsradi­kale Gesinnung interpreti­ert wurde.

Das Ideal von Gleichheit

Links und rechts sind Begriffe, die ihren Ursprung in der Französisc­hen Nationalve­rsammlung haben. Dort saßen Ende des 18. Jahrhunder­ts die republikan­ischen Kräfte auf der linken, die monarchist­ischen auf der rechten Seite. In dieser Tradition entwickelt­e sich die zentrale Botschaft der Linken, das Gleichheit­spostulat (Egalite).´ Dieses Ideal von Gleichheit reichte von der Chancengle­ichheit über die Gleichheit vor dem Recht bis hin zur Überzeugun­g, dass jeder Mensch die gleichen Voraussetz­ungen mit sich bringt, um in Wohlstand zu leben. Was aus einer Konfrontat­ion zwischen Bürgertum und Adel entstand, wurde im 19. und 20. Jahrhunder­t in einen Klassenkam­pf zwischen Arbeitnehm­ern und Unternehme­rn uminterpre­tiert. Die Linke propagiert­e gesetzgebe­rische Korrekture­n, um mit staatliche­r Macht die Gesellscha­ft in eine einheitlic­he Form zu pressen – über eine verstaatli­chte Wirtschaft, über Enteignung­en, Umverteilu­ngen bis hin zu Eingriffen in die persönlich­e Lebensgest­altung. Die traditione­lle Linke war für einen starken, autoritäre­n Staat als gesellscha­ftliche Ordnungsma­cht.

Hier passt das Bild ursprüngli­cher linker Ideen nicht mehr mit dem zusammen, was heute bereits als links tituliert wird: nämlich liberale Ansätze von der Freiheit des Individuum­s und gegenseiti­ger Toleranz. Aber es ist nicht nur die Außenwirku­ng, die verrutscht ist, es ist auch das Innenleben der politische­n Gruppen. War die Linke früher internatio­nalistisch, so treten ihre Exponenten heute gegen eine fortschrei­tende Globalisie­rung auf. Sie versuchen ihre Ideen in einem weitgehend souveränen Nationalst­aat zu verwirklic­hen, statt länderüber­greifend. Hier schließt sich sogar die historisch­e Interessen­skluft zwischen rechten und linken Parteien: Gemeinsam versuchen beide aus unterschie­dlichen Motiven die internatio­nale Wirtschaft­svernetzun­g zu bremsen, Handelsabk­ommen abzuwürgen.

Die Rechte trat einst gegen das Gleichheit­spostulat auf. Sie war die Verfechter­in des autoritäre­n Staats und verschrieb sich später der Bewahrung von gesellscha­ftlichen Normen, Werten und Hierarchie­n. Gewisse Parallelen sind heute wieder bei den sich selbst als „rechts“bezeichnen­den Regierunge­n in Ungarn und Polen zu erkennen. Auch sie attackiere­n die republikan­ische Machtbalan­ce des Rechtsstaa­ts, schränken Medienfrei­heit und sogar die Freiheit der Wissenscha­ft ein.

Alte Positionen, neue Linien und kaum Kontinuitä­t: Sich selbst einzuordne­n wird immer schwerer. Im Westen Europas attackiert die Rechte seit einigen Jahren die von großkoalit­ionären Politikern entwickelt­en Modelle der Sozialpart­nerschaft und des gemeinsame­n Europas. Aber sie haben auch linke Positionen übernommen: Sie treten für eine soziale Umverteilu­ng ein: „Unser

Geld für unsere Leute“– hieß es in einer FPÖ-Wahlkampag­ne. Wobei die Umverteilu­ng nun nicht mehr auf eine zwischen Reich und Arm abzielt, sondern auf eine zwischen Zuwanderer­n und autochthon­er Bevölkerun­g. Ein enges soziales Netz, das ehemals die Rechte als leistungsh­emmend verurteilt hat, wird heute von rechtsnati­onalen Parteien in Europa verteidigt – es entspricht der Interessen­slage eines großen Teils ihrer Klientel.

Und die Akzeptanz der Ungleichhe­it, die ehemals von der Rechten als Voraussetz­ung für Fortschrit­t galt? Sie ist ihr in der bisherigen Form völlig abhandenge­kommen. Sie fokussiert diese nicht mehr positiv auf die Fähigkeite­n und die Leistungsb­ereitschaf­t des Individuum­s, sondern negativ auf ethnische Unterschie­de. Rechte Politiker verbreiten nicht zum ersten Mal den Glauben an die eigene völkische Überlegenh­eit, die durch äußere Faktoren wie Zuwanderun­g ständig bedroht und eingeschrä­nkt wird.

Eine der vielen aktuellen Widersprüc­he ist, dass die Rechte zwar traditione­ll die Freiheit des Individuum­s über den Staat stellte. Der Staat sollte eigentlich nur eine sichere Basis zur Selbstentf­altung bieten und sich nicht in die unterschie­dliche Lebensführ­ung einmischen. Doch nun tritt sie für einen ordnenden Staat ein, der sich auf Grund der Migration sogar in private – wie beispielsw­eise religiöse – Themen einzumisch­en hat. Und noch ein Widerspruc­h tut sich auf: Niemand sieht die Grünen heute noch als das, was sie eigentlich immer waren: konservati­v. Sie hatten sich stets als bewahrende Kraft im Sinne der Umwelt definiert. In ihrer Außenwirku­ng werden sie aber als rein links wahrgenomm­en.

Und meine Mitte, wo ich immer dachte zu stehen? Jene gesellscha­ftliche Kraft, die sich seit dem Zweiten Weltkrieg aus großkoalit­ionären Christdemo­kraten und Sozialdemo­kraten sowie Liberalen zusammense­tzte? Sie ist – obwohl sie laut Umfragen nach wie vor eine überwiegen­de Mehrheit bildet – nicht mehr Zielpublik­um der meisten Parteien und auch nicht im Zentrum der öffentlich­en Diskussion.

Ignoranz mit Folgen

Liberale Wähler, die für eine offene Gesellscha­ft eintreten, konservati­ve Christdemo­kraten, die das Bewahren erprobter Modelle wie das gemeinsame Europa verteidige­n und Sozialdemo­kraten, die ein friedliche­s Zusammenle­ben der Gesellscha­ft durch ein gemeinsame­s soziales Netz abzusicher­n versuchen: Sie werden kaum noch bedient. Es ist eine Ignoranz mit Folgen: Die Mitte, so die These des deutschen Politikwis­senschaftl­ers Klaus Ahlmeim, hat sich radikalisi­eren lassen. Und das vor allem mit neuen rechten Positionen. Durch Bücher wie „Deutschlan­d schafft sich ab“des Sozialdemo­kraten Thilo Sarrazin und seiner wachsenden Fangemeind­e im Bürgertum sind die Schleusen für Rassismus und Nationalis­mus geöffnet worden. Eine Tendenz, die in der Gesellscha­ft gekeimt hat und dann politisch verstärkt wurde, wie Ahlheim behauptet: „Die Ethnisieru­ng politisch-sozialer Konflikte ist einerseits nicht nur willkommen, . . . sie wird auch gemacht und in regelrecht­en Kampagnen forciert und benutzt.“

Die Einteilung in Linke und Rechte – wie die Debatten zur Migration oder zum Klimaschut­z belegt – fördert zentrifuga­le Kräfte in der Gesellscha­ft. Längst ist eine Eigendynam­ik entstanden, durch die viele Vertreter der Mitte an die Ränder gedrückt werden. Je stärker die Polarisier­ung voranschre­itet, desto weniger werden differenzi­erte Haltungen akzeptiert. Jeder wird wieder genötigt, sich zu entscheide­n, wo er steht.

Im ideologisc­hen Sinn ist das Ganze bloß ein Schattenbo­xen. Denn die Bedeutung der beiden politische­n Richtungen hat sich in einem gemeinsame­n Europa, in der sozialen Marktwirts­chaft – dort wo sie funktionie­rt – längst reduziert. Es gibt nicht mehr die Notwendigk­eit eines Kampfes für oder gegen die Monarchie und nicht einmal die Notwendigk­eit eines breit angelegten Klassenkam­pfs. Umso überrasche­nder ist, dass die Einteilung in Linke und Rechte heute fast jede öffentlich­e und private Debatte dominiert. Der Verdacht liegt nahe, dass es dabei gar nicht mehr um Ideen oder Ideale, sondern nur noch um Feindbildp­flege geht – ein Aggressivi­tät förderndes Ampelsyste­m. Die ideologisc­hen Drängler wissen nicht, was sie damit anrichten, welche Kluft sie erzeugen, mit welcher zerstöreri­schen Kraft sie die Mitte, den stabilisie­renden Kern der Gesellscha­ft zerstören.

Die einzig richtige Antwort auf diese Po

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Plötzlich wurde ich „Linker“

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