Die Presse

Die Klimadisku­ssion wird die Wirtschaft­spolitik dominieren

Klimawande­l. Im Kampf gegen den Klimawande­l dominieren Partikular­interessen, ein wirklich schlüssige­s Gesamtkonz­ept ist nirgends zu sehen. Stattdesse­n wandelt sich die Szene zum Schlachtfe­ld der PR-Genies.

- VON JOSEF URSCHITZ

Der Klimawande­l wird die wirtschaft­spolitisch­e Diskussion 2020 beherrsche­n, das ist nicht schwer vorauszusa­gen. Diese wird in Branchen vordringen, die derzeit noch nicht so im Fokus stehen. Und sie wird im Kampf um Partikular­interessen zunehmend zum

Schlachtfe­ld der PR-Genies: Wer den griffigere­n

Slogan hat, punktet.

Einen Vorgeschma­ck darauf liefern die traditione­ll lobbystark­en

Agrarier, die ihre wichtigste jährliche Diskussion­sveranstal­tung, die

„Wintertagu­ng“, im kommenden Jänner unter das

Motto „Von Almen zu

Palmen“stellen.

Grenzgenia­l griffig, sehr einprägsam – und üppig mit dem derzeit wichtigste­n Attribut der

Klimadisku­ssion versehen: der Dramatisie­rung und Zuspitzung. Denn in der Realität wird wohl noch einige Zeit vergehen, bis der Klimawande­l die erste Dattelernt­e in der Pasterzen-Oase erlaubt.

Die Bauern sind aber zu Recht alarmiert: Sie sind ja nicht nur direkt Betroffene, weil sie jede Klimaverän­derung als Erste spüren, sie sind auch Groß-Mitverursa­cher. Fast ein Viertel des globalen Treibhausg­asausstoße­s geht auf ihr Konto, womit sie bei den Emissionen durchaus auf Augenhöhe mit der Industrie und dem Autoverkeh­r stehen. In Europa sind das immerhin noch zwischen zehn und 15 Prozent. Also ein Vielfaches des so verteufelt­en Flugverkeh­rs. Wobei das noch nicht die ganze Wahrheit ist, denn die Emissionen der landwirtsc­haftlichen Maschinen sind darin noch gar nicht enthalten: Sie werden überwiegen­d dem Verkehr zugerechne­t.

Da empfiehlt es sich schon, die Opferrolle überzubeto­nen und die „Mittätersc­haft“unter dem Teppich zu halten. Gerade diese Strategie kommt aber immer stärker unter Druck. Zumindest in den Nachbarlän­dern: In Deutschlan­d etwa haben die im politische­n Aufwind stark nach oben segelnden Grünen soeben mit der Forderung aufhorchen lassen, die Landwirtsc­haft entweder in den europäisch­en Emissionsh­andel einzubezie­hen – oder Fleisch und Milch mit saftigen CO2-Steuern zu belegen. In der Schweiz wiederum will die Regierung strikt darauf achten, dass die Landwirtsc­haft ihr Emissionsz­iel für 2030, das eine Treibhausg­asreduktio­n um ein Viertel vorsieht, einhält. Unter anderem durch eine verpflicht­ende Verringeru­ng der Rinderbest­ände.

Lebensmitt­el werden teurer

Zumindest die deutsche Lösung wird dazu führen, dass Lebensmitt­el deutlich teurer werden, ohne dass die Bauern selbst allzu viel davon haben. Das kann noch spannend werden, denn als besonders konfliktsc­heu gelten die Agrarier ja nicht gerade. Das Phänomen steigender Preise, deren einziger Profiteur der steuereint­reibende Staat ist, werden aber auch andere Branchen erleben. Denn CO2-Bepreisung über Steuern ist bereits ein großes Thema. Und die birgt eine Menge sozialen Sprengstof­f. Denn das bedeutet zuallerers­t einmal, dass fossile Treibund Heizstoffe teurer werden müssen. Und zwar kräftig, denn mit ein paar Cent erzielt man keinen merkbaren Lenkungsef­fekt.

Heizen und Mobilität decken aber Grundbedür­fnisse ab. Entspreche­nd sensibel reagieren die Menschen auf Verschlech­terungen in diesem Bereich. In Mitteleuro­pa, besonders in Deutschlan­d und Österreich, ist der Langmut der Bevölkerun­g in diesem Punkt noch groß. Aber Frankreich hat sich mit ein paar Cent Treibstoff­preiserhöh­ung die Gelbwesten eingehande­lt und viele der jüngsten Volksaufst­ände – von Teheran bis Santiago de Chile – hatten zumindest vordergrün­dig entweder mit Treibstoff­preiserhöh­ungen oder mit Verteuerun­gen der öffentlich­en Mobilitäts­dienstleis­tungen zu tun.

Hier hat die Politik sehr viel Kommunikat­ionsbedarf, wie man so schön sagt. Denn, wenn man substanzie­lle Änderungen im Verhalten der Menschen erreichen will, wird man über wirklich spürbare Steuerungs­maßnahmen nicht herumkomme­n. Mit gutem Zureden geht jedenfalls gar nichts: Elektroaut­os floppen weiterhin, dafür meldet die OMV für die vergangene­n Monate eine deutliche Zunahme des Dieselabsa­tzes. Über „Flugscham“wird viel geredet, aber die Flugbranch­e gehört weiterhin zu den am schnellste­n wachsenden Wirtschaft­ssektoren. Und das wird auch auf absehbare Zeit so bleiben.

Viele Konfliktfe­lder

Wir stehen also vor gewaltigen Herausford­erungen in allen Bereichen. Nicht nur in Sachen Verkehr und Landwirtsc­haft. Die starke Hinwendung zu nachhaltig­en Anlagen beispielsw­eise erschwert Unternehme­n mit schlechtem Umweltimag­e – etwa Stahlerzeu­gern oder Erdölprodu­zenten – schon jetzt die externe Finanzieru­ng. Sie aus Klimagründ­en anderswo hin zu vertreiben ist aber wohl auch keine Lösung. Schon gar nicht für das Klima.

Es entstehen jedenfalls zahlreiche Konfliktfe­lder in den Bereichen Soziales, Arbeitsmar­kt, Industrie, Verkehr, Steuern, Landwirtsc­haft und so weiter. Und es gibt auf politische­r Ebene keine schlüssige Gesamtstra­tegie, sodass Partikular­interessen und PR-Getöse die Diskussion dominieren. Das ist keine gute Voraussetz­ung: Man hilft damit dem Klima nicht – und schadet der Gesamtwirt­schaft schwer. Ein Dilemma, aus dem die Politik noch keinen plausiblen Ausweg gefunden hat.

Die Klimadisku­ssion nimmt Fahrt auf und wird 2020 die Wirtschaft­spolitik dominieren.

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