Zeichen der Entspannung
Ostukraine. Kiew und die pro-russischen Separatisten im Donbass haben über 140 Gefangene ausgetauscht. Beide Seiten sprechen von Sieg.
Am Nordrand der ostukrainischen Bergbaustadt Horliwka wurden am Sonntag über 140 Gefangene zwischen Kiew und den beiden pro-russischen Separatistengebieten im Donbass ausgetauscht. Laut Angaben des ukrainischen Präsidialamtes haben die Separatisten 76 Gefangene an die ukrainischen Regierungstruppen übergeben; Kiew ließ 87 Personen frei, wobei sich 22 davon aber weigerten, in die beiden selbsternannten Separatistengebiete „Volksrepublik Donezk“und „Volksrepublik Lugansk“auszureisen.
Der Gefangenenaustausch wurde von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) begleitet. Wie immer es um die genauen Zahlen der Freigelassenen steht: Es handelt sich um den größten Gefangenenaustausch zwischen den beiden verfeindeten Parteien seit über zwei Jahren. Ende 2017 waren weit über 100 Unterstützer der pro-russischen Separatisten freigekommen. Doch danach wurde der in den Minsker Friedensverträgen vereinbarte Gefangenenaustausch auf Eis gelegt.
Ein neuer Anlauf nach dem Prinzip „alle gegen alle“war vor drei Wochen in Paris zwischen dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskij und
Russlands Präsident Wladimir Putin am Rande des NormandieGipfels vereinbart worden. Wobei Moskau weiter darauf besteht, dass es keine Konfliktpartei im Ringen um den Donbass sei.
Bereits im September war es zu einem direkten Gefangenenaustausch zwischen Russland und der Ukraine gekommen. Die beiden seit 2014 verfeindeten Staaten tauschten dabei je 35 Häftlinge aus, darunter den Sacharow-Preisträger und ukrainischen Filmregisseur Oleg Sentsow, der in einem fadenscheinigen Scheinprozess zu 20 Jahren Arbeitslager in Sibirien verurteilt worden war.
Der prominenteste Name unter den am Sonntag Freigelassenen ist der Journalist Stanislaw Aseew, den die Separatisten seit zweieinhalb Jahren festgehalten haben. Wie im September hatte sich Kiew breitschlagen lassen, den pro-russischen Separatisten mehrere kontroverse Gefangene zu übergeben. Darunter befinden sich fünf Polizisten der ukrainischen Sonderpolizeieinheit „Berkut“, die im Zusammenhang mit den Todesschüssen auf dem Maidan im Februar 2014 im Gefängnis saßen. „Wir weisen darauf hin, dass diese Personen keine Teilnehmer des Donbass-Konflikts sind“, schrieben mehrere Opferfamilien der Scharfschützenangriffe auf die
Protestierenden des Maidan in einem Protestbrief an Selenskij. „Die Freilassung könnte zu Protesten führen“, warnten sie.
Selenskij indes hatte den Gefangenenaustausch bei seinem Amtsantritt im Mai als Priorität seiner Präsidentschaft bezeichnet. Die Freilassung Sentsows und 34 weiterer Gefangener Anfang September gehören zu den bisher größten Erfolgen des politisch unerfahrenen Ex-Komikers, der wegen unklarer Verbindungen zum Oligarchen Ihor Kolomojskij nicht unumstritten ist. Der Gefangenenaustausch mit den pro-russischen Separatistenrepubliken im Donbass dürfte seine Zustimmungsrate wieder nach oben treiben.
Neben den fünf verurteilten „Berkut“-Polizisten überstellte Kiew den pro-russischen Separatisten drei russische Staatsbürger und einen Brasilianer, der auf der Seite der Separatisten gekämpft hatte. Auch die ukrainischen Regierungstruppen erhielten ein halbes Dutzend Kriegsgefangene zurück. Beide Seiten stellten den Gefangenenaustauch als Sieg dar.
Als nächstes Zeichen der Entspannung im Donbass sollen laut den Pariser Vereinbarungen die Truppen an drei Frontabschnitten entflechtet und neue Übergänge vom Separatistengebiet über die Frontlinie in den von Kiew kontrollierten Nord-Donbass eingerichtet werden.