Richterin: „Sie können sich ausziehen“
Fauxpas. Eine Wiener Verwaltungsrichterin verärgerte ihre Schriftführerin durch eine mehrdeutige Einladung. Eine Disziplinarstrafe bleibt ihr aber doch erspart.
„Sie können sich auch ausziehen, das wird die anwesenden Herren nicht stören.“So oder so ähnlich sprach eine mittlerweile in den Ruhestand verabschiedete Richterin des Verwaltungsgerichts Wien zu ihrer Schriftführerin. Ob sie dafür mit einer Disziplinarstrafe zu belegen ist, hatte das Bundesverwaltungsgericht zu klären.
Obwohl die Aussage in einer Verhandlung und im Beisein professioneller Verfahrensbeteiligter gefallen war, ließ sich nicht mit Sicherheit feststellen, was die Richterin genau gesagte hatte. Jedenfalls wollte die Disziplinaranwältin der Stadt Wien die Juristin bestraft wissen: Diese habe nicht alles getan, um zu vermeiden, dass die Achtung und das Vertrauen, die ihrer Stellung als Richterin entgegengebracht werden, untergraben würden. Die „sinngemäß“wiedergegebene und eingangs zitierte Aussage hat offenbar ihre Wirkung nicht verfehlt: Die Beteiligten hätten „mit einem leicht beschämenden Schmunzeln“reagiert – was immer das auch sein mag.
Die „leicht beschämenden“Anwesenden waren ein Beschwerdeführer, der sich vor dem Verwaltungsgericht gegen seine eigene Bestrafung hatte wehren wollen, ferner sein Anwalt und schließlich ein Polizist, der als Zeuge zu den gegen den Mann erhobenen Vorwürfen hatte aussagen sollen. Man schrieb den 27. Februar 2017, es war einer der wärmsten Februarmonate der Messgeschichte.
Das war auch im Mikroklima des Verhandlungsraums spürbar, weshalb die Schriftführerin die Richterin fragte, ob sie das Fenster öffnen dürfe. Dann fielen die umstrittenen Worte, die den Stoff für das Disziplinarverfahren gaben. Denn die Schriftführerin ärgerte sich zwar nicht sonderlich über die Aussage selbst, sehr wohl aber darüber, dass sich „die Herren“über sie amüsiert hätten. Und sie beschwerte sich nach der Verhandlung über die Richterin.
Mit einiger Verzögerung landete der Fall vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) – der Verfassungsgerichtshof hatte inzwischen erkannt, dass der anfangs befasste Disziplinarausschuss des Verwaltungsgerichts Wien verfassungswidrig besetzt war. Das BVwG machte sich vom Gesagten und der Reaktion ein Bild, stellte fest, dass ein „sexualisierender Unterton“weder intendiert gewesen noch empfunden worden sei. Sondern dass die Richterin, kurz vor der denkwürdigen Verhandlung noch krank, eigentlich gemeint hätte, es sei kalt genug, die Schriftführerin brauche nicht zu lüften.
Das Gericht blieb sich allerdings unschlüssig, ob die Richterin von „sich ausziehen“gesprochen habe oder von „etwas ausziehen“(wie ein Mann, der sein Sakko ablegen will). Keinesfalls aber sei die Aussage geeignet, die Achtung und das Vertrauen der bzw. in die Stellung der Richterin zu untergraben. Deren Ruhe wird daher nicht durch eine Disziplinarstrafe gestört (W 116 2206863-1).