Wie Türkis-Grün das Land prägen wird
Analyse. Es wird ruhiger werden, zumindest was den Umgangston in der Politik betrifft. ÖVP und Grüne müssen einander Freiheiten gewähren: im Umwelt-, aber auch im Sicherheitsbereich.
Es gibt zwei Möglichkeiten, wie man eine Regierungsbildung angehen könnte. Variante eins: Zwei Parteien treffen einander in der Mitte, gehen in allen zentralen Bereichen Kompromisse ein. Variante zwei: Zwei Parteien lassen einander einen gewissen Spielraum, nach dem Motto „Regieren und regieren lassen“. Das detaillierte Programm von Türkis-Grün liegt zwar noch nicht vor, es befindet sich noch im Feinschliff. Aber einiges spricht dafür, dass beide Parteien gewisse Freiheiten genießen werden.
ÖVP-Chef Sebastian Kurz kündigte auf Facebook seine Akzente in den kommenden Jahren an. Sie sind auch die der vergangenen Jahre: „Steuern senken. Schuldenpolitik beenden“, heißt es. Und natürlich: „Illegale Migration bekämpfen.“
Der letzte Punkt wird für die Koalition wohl am schwierigsten sein. Aber Kurz stellte schon während der Regierungsverhandlungen klar: Seine Partei ist auch dafür gewählt worden. Die Linie der ÖVP in dieser Frage werde daher auch nicht geändert.
Gut möglich also, dass die Parteien Projekte suchen. Dass die Volkspartei auf ein starkes Innenministerium setzt, die Polizei besser ausstattet und das Sicherheitsthema damit besetzt. Seit Langem führt die ÖVP auch wieder das Verteidigungsressort an. Die Grünen überlassen damit diese Agenden der Volkspartei.
Keine „Ausreisezentren“
Aber trotzdem wird es anders laufen als unter Türkis-Blau. Und vor allem: anders klingen. GrünenChef Werner Kogler deutete es schon vergangenen Freitag an: Wenn die neue Regierung kommt, müsse es auch eine „neue politische Kultur“geben. Das klang nicht nur nach der Ankündigung eines neuen Transparenzgesetzes für Parteien. Sondern auch nach einer neuen Rhetorik der Koalitionsparteien. Weg vom „großen Austausch“, den „Ausreisezentren“und der „Asylindustrie“.
Offen ist allerdings noch die Frage, wie die Kompetenzverteilung im Flüchtlingsbereich sein wird. Unter Türkis-Blau wurde die Einrichtung einer neuen staatlichen Asylagentur beschlossen. Sie sollte auch die Rückkehr- und Rechtsberatung von Flüchtlingen ab 2021 übernehmen. Doch die NGOs, die diese Aufgabe bisher erfüllen, haben sich mit dem jetzigen Justizminister, Clemens Jabloner, auf eine kürzere Kündigungsfrist ihrer Verträge geeinigt. Spätestens Ende Februar soll nun feststehen, ob sie die Beratung weiterhin übernehmen werden.
Zumindest bei einigen Details wird die ÖVP also nachgeben müssen, sonst wird es massiven Unmut an der grünen Basis geben. Denn es gab nicht nur Kritik an den Kompetenzen der Agentur. Sondern auch daran, dass es in bestimmten Fällen keinen Anspruch auf Beratung mehr gibt.
Und dann gibt es noch den Umweltbereich, das wohl wichtigste Ressort für die Grünen. Es wurde eine Reform des Steuersystems angekündigt, und hier waren sich Kogler und Kurz schon vor der Wahl einig: Mehr Steuern darf oder muss es zumindest nicht geben. Eine CO2-Abgabe wird es also wohl geben, die Frage ist, in welcher Form – und mit welchem Namen.
Fokus auf Pflege
Die Volkspartei behält aber die Agenden für die Landwirtschaft – das ist eine Spielwiese, die nicht von den Grünen besetzt werden soll. Genauso wie das Finanzministerium. Die Letztentscheidung darüber, wer wie viel Budget erhält, wird also bei der Kanzlerpartei bleiben. Unter diese Kategorie fallen die beiden anderen Ziele von Kurz: „Steuern senken“und „Schuldenpolitik beenden“.
Im Pflegebereich hat die ÖVP schon im Nationalratswahlkampf Akzente gesetzt: Die Volkspartei will die Finanzierung sichern, am besten mit einer Art Versicherung. Auch die Pflege zu Hause soll erleichtert werden. Die Grünen haben hingegen ihren Fokus schon früh auf die Betreuung der Pflegenden gelegt: Das Personal, vielfach Frauen aus dem Ausland, müssten demnach vor Ausbeutung geschützt werden und auch die richtige Ausbildung für ihren Job haben.
Die internationale Bühne wird weiterhin der ÖVP gehören: Mit Kurz in der Hauptrolle, aber auch mit einem türkis geführten Außenministerium. Die Europa-Agenden bleiben ebenfalls bei der Volkspartei. Denn eines lässt sich Kurz sicher nicht nehmen: Die Federführung bei der Inszenierung. Auch wenn sie anders sein wird als unter Türkis-Blau.