Griechenland und der „Pfusch“
Lehrberufe. Die konservative Regierung hat für das kommende Jahr eine umfassende Reform der beruflichen Bildung angekündigt. Die Wirtschaft will sich nicht zu früh freuen und reagiert abwartend.
Die konservative Regierung hat eine Reform der beruflichen Bildung angekündigt.
Wirtschaftsnahe berufliche Bildung war für Griechenlands Regierungen schon immer ein Thema. Schon 1828, noch vor der Erkämpfung der Unabhängigkeit von den osmanischen Herren, richtete Regent und Reformer Ioannis Kapodistrias auf Ägina eine erste Berufsschule ein. Kein Wunder angesichts der vom Krieg zerstörten Infrastruktur: Die ersten Absolventen waren Baumeister, angelernt von in Deutschland ausgebildeten und zur Rettung Griechenlands ausgeschwärmten Architekten.
Seither wird an der beruflichen Ausbildung herumgedoktert. Auch die Bildungsministerin der neuen konservativen Regierung, Niki Kerameos, kündigte nun eine „umfassende“Reform der Berufsausbildung für 2020 an. Die Wirtschaft reagierte eher verhalten, ihre Vertreter sind viel Kummer gewöhnt.
Denn seit den Tagen von Kapodistrias ist einiges schiefgegangen bei einer den Erfordernissen der Zeit angepassten Berufsausbildung. Kritische Griechen merken an, dass ihr Land sich dem „Pfusch“verschrieben habe – gemeint ist damit die mangelhafte Ausführung von Arbeiten aller Art. Damit keine Missverständnisse aufkommen: Die Gesamtplanung von Projekten, die Statik von Gebäuden ist in einem Land mit überaus starker Ingenieurslobby im Allgemeinen nicht betroffen. Der Teufel liegt vor allem im Detail, bei der Kunstfertigkeit von Handwerkern aller Sparten.
Unzählige Baumängel
Das kann man schon im Athener Straßenbild erkennen: In nagelneuen Vorstadtvillen zieht es wie in einem Durchhaus, überall Feuchtigkeit, abbröckelnde Farbe, rostiges Eisen, offene Leitungen, fehlerhafte Armaturen, Wassereinbrüche, Sprünge und Risse im Mauerwerk. Und ebenso aus den Straßen herausragende oder fehlende Kanaldeckel, geborstene Gehsteige und – der Albtraum aller
Eltern mit Kinderwagen – auf engen Gehwegen gepflanzte Bäume mit durch den Beton gebrochenen Wurzeln.
Vieles davon ist auf bewussten Pfusch zurückzuführen. Auf Einsparungen am Material auf Kosten der Qualität, um höhere Gewinne zu erwirtschaften oder konkurrenzfähig zu bleiben in einem Land, in dem – besonders in Krisenzeiten wie diesen – der Preis wichtiger als die Qualität ist. Die Baumängel wiederum verweisen auf den versagenden staatlichen Kontrollapparat, der bei vielem, vor allem aber beim illegalen Bauen, tatenlos zusieht. Dieses Bild runden Handwerker ab, die vornehmlich schwarz arbeiten und mit un- oder angelernter Konkurrenz um die schmalen Börsen der Kundschaft kämpfen.
Doch es steckt mehr dahinter als das Rangeln um Profit. Griechenland mangelt es an gut ausgebildeten Handwerkern und Meistern sowie an modernen technischen Spezifikationen.
Wie Cedefop, die europäische Organisation für die berufliche Bildung und Ausbildung, anmerkt, war ein Lehrberuf immer „zweite Wahl“für die griechischen Bürger.
Wenig Interesse an Lehre
Besser ein schlecht verdienender Staatsangestellter, unselbstständiger Anwalt oder arbeitsloser Architekt als ein Handwerker, ist immer noch die Devise. Nach Zahlen von Cedefop ziehen 70 Prozent der Schüler allgemeine Bildungswege einer berufsspezifischen Ausbildung vor, im europäischen Schnitt ist es nur etwa die Hälfte.
Kein Wunder, dass sich die europäischen Gläubiger im Zuge der dem bankrotten Land aufgezwungenen Spar- und Reform-Memoranden dazu berufen fühlten, den Griechen auch in der Berufsbildung auf die Sprünge zu helfen. Vorbild war die duale Ausbildung deutscher und österreichischer Provenienz. Die deutsche Handelskammer richtete postgraduale Lehrgänge ein, die in enger Kooperation mit der Wirtschaft arbeiteten und als „Dual Hellas“im sechsten Jahr ihres Bestehens einen guten Ruf erworben haben. Sie liefern Nachwuchs für den Tourismus, aber auch für technische Berufe – auch wenn es sich um keine Berufsschule im engeren Sinn handelt, denn die Schüler sind über 18 Jahre alt.
Einige freilich kritisieren eine „unbedachte Übernahme ausländischer Modelle, die in der griechischen Realität fehl am Platz sind“. In Krisenzeiten sei die Versuchung groß, Lehrlinge als billige Arbeitskräfte zu missbrauchen und teureres, erfahrenes Personal zu entlassen. Zudem sei es zweifelhaft, ob Mittelbetriebe in der Lage seien, das nötige Know-how weiterzugeben. Auch klassenkämpferische Töne werden angeschlagen:
Die Jugend werde zur Verschubmasse der Arbeitgeber, heißt es.
Schule mit Praxisjahr
Kritik kommt auch aus konservativen Kreisen, die das klassische Bildungsideal hochhalten: Die Jugend brauche eine ausgiebige Allgemeinbildung, um sich kritisches Denken anzueignen und Persönlichkeit zu entwickeln, bevor man sich für einen Beruf entscheidet. Dass das zu überdurchschnittlicher Akademikerarbeitslosigkeit geführt hat, wird dabei gern übersehen.
Seit 2016 gibt es auch auf griechischer Seite eine erfolgversprechende Neuerung: das dreijährige, berufsorientierte Lyzeum wurde um ein viertes, freiwilliges Praxisjahr mit Berufsabschlüssen erweitert – ein Modell, das gut angenommen wurde. Die leidgeprüften griechischen Konsumenten werden es den gut ausgebildeten Abgängern danken.