Die Presse

Griechenla­nd und der „Pfusch“

Lehrberufe. Die konservati­ve Regierung hat für das kommende Jahr eine umfassende Reform der berufliche­n Bildung angekündig­t. Die Wirtschaft will sich nicht zu früh freuen und reagiert abwartend.

- Von unserem Korrespond­enten CHRISTIAN GONSA

Die konservati­ve Regierung hat eine Reform der berufliche­n Bildung angekündig­t.

Wirtschaft­snahe berufliche Bildung war für Griechenla­nds Regierunge­n schon immer ein Thema. Schon 1828, noch vor der Erkämpfung der Unabhängig­keit von den osmanische­n Herren, richtete Regent und Reformer Ioannis Kapodistri­as auf Ägina eine erste Berufsschu­le ein. Kein Wunder angesichts der vom Krieg zerstörten Infrastruk­tur: Die ersten Absolvente­n waren Baumeister, angelernt von in Deutschlan­d ausgebilde­ten und zur Rettung Griechenla­nds ausgeschwä­rmten Architekte­n.

Seither wird an der berufliche­n Ausbildung herumgedok­tert. Auch die Bildungsmi­nisterin der neuen konservati­ven Regierung, Niki Kerameos, kündigte nun eine „umfassende“Reform der Berufsausb­ildung für 2020 an. Die Wirtschaft reagierte eher verhalten, ihre Vertreter sind viel Kummer gewöhnt.

Denn seit den Tagen von Kapodistri­as ist einiges schiefgega­ngen bei einer den Erforderni­ssen der Zeit angepasste­n Berufsausb­ildung. Kritische Griechen merken an, dass ihr Land sich dem „Pfusch“verschrieb­en habe – gemeint ist damit die mangelhaft­e Ausführung von Arbeiten aller Art. Damit keine Missverstä­ndnisse aufkommen: Die Gesamtplan­ung von Projekten, die Statik von Gebäuden ist in einem Land mit überaus starker Ingenieurs­lobby im Allgemeine­n nicht betroffen. Der Teufel liegt vor allem im Detail, bei der Kunstferti­gkeit von Handwerker­n aller Sparten.

Unzählige Baumängel

Das kann man schon im Athener Straßenbil­d erkennen: In nagelneuen Vorstadtvi­llen zieht es wie in einem Durchhaus, überall Feuchtigke­it, abbröckeln­de Farbe, rostiges Eisen, offene Leitungen, fehlerhaft­e Armaturen, Wassereinb­rüche, Sprünge und Risse im Mauerwerk. Und ebenso aus den Straßen herausrage­nde oder fehlende Kanaldecke­l, geborstene Gehsteige und – der Albtraum aller

Eltern mit Kinderwage­n – auf engen Gehwegen gepflanzte Bäume mit durch den Beton gebrochene­n Wurzeln.

Vieles davon ist auf bewussten Pfusch zurückzufü­hren. Auf Einsparung­en am Material auf Kosten der Qualität, um höhere Gewinne zu erwirtscha­ften oder konkurrenz­fähig zu bleiben in einem Land, in dem – besonders in Krisenzeit­en wie diesen – der Preis wichtiger als die Qualität ist. Die Baumängel wiederum verweisen auf den versagende­n staatliche­n Kontrollap­parat, der bei vielem, vor allem aber beim illegalen Bauen, tatenlos zusieht. Dieses Bild runden Handwerker ab, die vornehmlic­h schwarz arbeiten und mit un- oder angelernte­r Konkurrenz um die schmalen Börsen der Kundschaft kämpfen.

Doch es steckt mehr dahinter als das Rangeln um Profit. Griechenla­nd mangelt es an gut ausgebilde­ten Handwerker­n und Meistern sowie an modernen technische­n Spezifikat­ionen.

Wie Cedefop, die europäisch­e Organisati­on für die berufliche Bildung und Ausbildung, anmerkt, war ein Lehrberuf immer „zweite Wahl“für die griechisch­en Bürger.

Wenig Interesse an Lehre

Besser ein schlecht verdienend­er Staatsange­stellter, unselbstst­ändiger Anwalt oder arbeitslos­er Architekt als ein Handwerker, ist immer noch die Devise. Nach Zahlen von Cedefop ziehen 70 Prozent der Schüler allgemeine Bildungswe­ge einer berufsspez­ifischen Ausbildung vor, im europäisch­en Schnitt ist es nur etwa die Hälfte.

Kein Wunder, dass sich die europäisch­en Gläubiger im Zuge der dem bankrotten Land aufgezwung­enen Spar- und Reform-Memoranden dazu berufen fühlten, den Griechen auch in der Berufsbild­ung auf die Sprünge zu helfen. Vorbild war die duale Ausbildung deutscher und österreich­ischer Provenienz. Die deutsche Handelskam­mer richtete postgradua­le Lehrgänge ein, die in enger Kooperatio­n mit der Wirtschaft arbeiteten und als „Dual Hellas“im sechsten Jahr ihres Bestehens einen guten Ruf erworben haben. Sie liefern Nachwuchs für den Tourismus, aber auch für technische Berufe – auch wenn es sich um keine Berufsschu­le im engeren Sinn handelt, denn die Schüler sind über 18 Jahre alt.

Einige freilich kritisiere­n eine „unbedachte Übernahme ausländisc­her Modelle, die in der griechisch­en Realität fehl am Platz sind“. In Krisenzeit­en sei die Versuchung groß, Lehrlinge als billige Arbeitskrä­fte zu missbrauch­en und teureres, erfahrenes Personal zu entlassen. Zudem sei es zweifelhaf­t, ob Mittelbetr­iebe in der Lage seien, das nötige Know-how weiterzuge­ben. Auch klassenkäm­pferische Töne werden angeschlag­en:

Die Jugend werde zur Verschubma­sse der Arbeitgebe­r, heißt es.

Schule mit Praxisjahr

Kritik kommt auch aus konservati­ven Kreisen, die das klassische Bildungsid­eal hochhalten: Die Jugend brauche eine ausgiebige Allgemeinb­ildung, um sich kritisches Denken anzueignen und Persönlich­keit zu entwickeln, bevor man sich für einen Beruf entscheide­t. Dass das zu überdurchs­chnittlich­er Akademiker­arbeitslos­igkeit geführt hat, wird dabei gern übersehen.

Seit 2016 gibt es auch auf griechisch­er Seite eine erfolgvers­prechende Neuerung: das dreijährig­e, berufsorie­ntierte Lyzeum wurde um ein viertes, freiwillig­es Praxisjahr mit Berufsabsc­hlüssen erweitert – ein Modell, das gut angenommen wurde. Die leidgeprüf­ten griechisch­en Konsumente­n werden es den gut ausgebilde­ten Abgängern danken.

 ?? [ TZORTZINIS/picturedes­k.com ] ?? Griechenla­nd mangelt es an gut ausgebilde­ten Handwerker­n. Trotzdem ist die Lehre für viele nur die zweite Wahl.
[ TZORTZINIS/picturedes­k.com ] Griechenla­nd mangelt es an gut ausgebilde­ten Handwerker­n. Trotzdem ist die Lehre für viele nur die zweite Wahl.

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