Die Presse

„Wer ist die kleinere Katastroph­e?“

Kroatien. Bei der Stichwahl um das Präsidente­namt kämpft Kolinda Grabar-Kitarovi´c um ihre Wiederwahl. In den Umfragen liegt ihr Herausford­erer, Ex-Premier Zoran Milanovi´c, voran.

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Noch immer wird auf dem Weihnachts­markt im kroatische­n Osijek Glühwein ausgeschen­kt. Volksweise­n scheppern über die weiß getünchten Holzhütten auf dem Ante-Starceviˇc-´Platz. ein Weihnachts­mann auf einer Rikscha schneidet Zoran Milanovic´ im nahezu leer gefegten Zentrum der Provinzsta­dt fast den Weg ab, als der in einen Wildlederm­antel gehüllte Kandidat in der Abenddämme­rung zu den aufgebaute­n TV-Kameras schreitet.

„Herr Präsident, Herr Präsident“, rufen einige Dutzende Schaulusti­ge begeistert, während der Stimmenjäg­er willig Hände schüttelt und selbst mit einem ihm dargeboten­en Pudel geduldig lächelnd für ein Selfie posiert. „es wird ein knappes Rennen“, so die Botschaft des sozialdemo­kratischen ex-Premiers vor der Stichwahl am kommenden Sonntag an die fröstelnde­n Journalist­en. In der „zweiten Halbzeit“von Kroatiens Präsidente­nkür sei mit einem „völlig anderen Spiel“zu rechnen: „Ich werde bis zum ende alles geben, um das entscheide­nde Tor zu erzielen.“

Tatsächlic­h hat der ursprüngli­che Außenseite­r im Rennen um Kroatiens Präsidente­namt gegen die favorisier­te Amtsinhabe­rin, Kolinda Grabar-Kitarovic,´ bereits den ersten Wahlgang mit fast 30 Prozent der Stimmen überrasche­nd gewonnen und liegt laut den letzten Umfragen auch vor dem Stichwahl-Duell vorn. Doch selbst die Anhänger des Herausford­erers scheinen den Prognosen angesichts des großen Anteils von Unentschlo­ssenen nicht so recht zu trauen. Denn die Staatschef­in kann von dem größeren Potenzial der Rechtswähl­er zehren: Allein der ausgeschie­dene rechtsnati­onale Barde Miroslav Skoroˇ kam im ersten Wahlgang zur allgemeine­n Überraschu­ng auf fast ein Viertel der Stimmen.

Mit harten Bandagen streiten die Rivalen in den letzten TV-Duellen um die Wählerguns­t, während das Land den eU-Vorsitz im ersten Halbjahr übernahm. Die Präsidenti­n bescheinig­t dem ex-Premier, Kroatiens erfolglose­ster Regierungs­chef gewesen zu sein – und erinnert höhnisch an vier Jahre ununterbro­chenen Minuswachs­tums während seiner Ägide. Genüsslich reibt derweil der 53-Jährige der „unberechen­baren“Konkurrent­in ihre zahlreiche­n Tritte ins Fettnäpfch­en unter die Nase: Auch mit einer Kette von Wahlkampfp­atzern und merkwürdig fahrigen Auftritten hat sich die 51-jährige Favoritin vor der Stichwahl unfreiwill­ig in die Rolle der Verfolgeri­n manövriert.

einmal pries die Hoffnungst­rägerin der konservati­ven HDZ den in dieser Woche wegen Korruption erneut zu weiteren sechs Jahren Haft verurteilt­en ex-Premier Ivo Sanader als Kämpfer gegen die Korruption, einmal versprach sie Jobs mit einem Monatsgeha­lt von 8000 euro – und einmal sang sie ein öffentlich­es Geburtstag­sständchen für Milan Bandic,´ den unter Korruption­sverdacht stehenden Bürgermeis­ter von Zagreb. Bei einem Fernsehauf­tritt rief die Fleischhau­ertochter kürzlich die Wähler gar dazu auf, auf den Stimmzette­ln die Nummer eins anzukreuze­n: Sie zieht allerdings als Kandidatin Nummer zwei ins Stichwahlr­ennen.

Doch vor allem die Verwerfung­en im rechten Lager machen ihr im Wahlkampff­inale zu schaffen. Denn die Stimmen ihres gescheiter­ten Rivalen scheinen ihr keineswegs alle gewiss. Wenn GrabarKita­rovic´ im Amt bleibe, werde sich nichts ändern und Kroatien weiter von einer „opportunis­tischen Clique“regiert, begründet Miroslav Skoro,ˇ warum er am Sonntag für keinen der beiden Kandidaten stimmen, sondern trotzig eine Drei auf den Stimmzette­l schreiben werde: „Ich kann kein kleineres Übel wählen, sondern werde meine Stimme Kroatiens Volk geben.“

Auf dem Starceviˇc-´Platz verschwind­et eine mit Lichterket­ten behängte Straßenbah­n ratternd in der Dunkelheit. „Wer ist die kleinere Katastroph­e für Kroatien – Milanovic´ oder Kolinda?“, titelt das Webportal index.hr vor der Stichwahl, ohne von den befragten Analysten eine klare Antwort zu erhalten. Kann bei dem von Rechtsausl­egern dominierte­n eUNeuling ausgerechn­et ein bereits ausrangier­t geglaubter Altpolitik­er der Sozialdemo­kraten triumphier­en? Bei der Frage nach den Siegesauss­ichten von Milanovic´ zuckt selbst ein Aktivist der sozialdemo­kratischen SDP ratlos mit den Schultern: „Gibt es ein achtes Weltwunder? Die Zeiten sind verrückt. Alles ist möglich.“

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