Erdoˇgan und seine „Mission Mittelmeer“
Türkei. Mit der Entsendung von Truppen nach Libyen will der Präsident vor allem seine Position im Streit um die Gasvorkommen im östlichen Mittelmeer stärken. Spannungen mit Russland nimmt er in Kauf.
Als selbstlose Hilfsaktion für Libyen verkauft die türkische Regierung die geplante Truppenentsendung in das nordafrikanische Land. Ankara könne die Augen vor dem Unrecht in Libyen nicht verschließen und sei „zu allen Aufgaben bereit“, sagte Verteidigungsminister Hulusi Akar vor der Parlamentsabstimmung über den Auslandseinsatz am Donnerstag.
Im Kern geht es der Türkei nicht um den Konflikt in Libyen. Die Regierung will vor allem ihre Position im Streit um Gasvorkommen im östlichen Mittelmeer stärken. Dafür nimmt Ankara auch Spannungen mit Russland sowie eine weitere Eskalation des Kriegs in Libyen in Kauf. Ankara erwägt die Entsendung syrischer Söldner nach Libyen.
Der Einsatz zur Unterstützung der Einheitsregierung in Libyen gegen den Rebellengeneral Khalifa Haftar könnte schon in den kommenden Tagen beginnen. Zwar wollen die Oppositionsparteien im türkischen Parlament das Auslandsmandat für die Streitkräfte ablehnen, doch verfügen die Regierungspartei AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan˘ und ihr nationalistischer Partner MHP in der Kammer über eine sichere Mehrheit. Türkischen Presseberichten zufolge stehen Spezialeinheiten der Armee schon bereit. Aus türkischer Sicht drängt die Zeit: Haftars Truppen hatten in jüngster Zeit dank Unterstützung aus Russland, Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten vorrücken können.
Zudem denkt die Regierung in Ankara darüber nach, syrische Kämpfer als Speerspitze des Einsatzes zu benutzen. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte berichtete, die ersten 300 syrischen Kämpfer seien aus türkisch beherrschten Gegenden im Norden Syriens nach Libyen gebracht worden, weitere 1600 würden derzeit ausgebildet. Die Türkei zahle jedem Kämpfer einen Sold von bis zu 2500 Dollar für einen mehrmonatigen Einsatz, was Ankara jedoch dementierte.
Die drohende Eskalation des Konflikts in Libyen ist Folge einer türkischen Richtungsentscheidung, bei der die Konfrontation in dem nordafrikanischen Land nur eine Nebenrolle spielt. Ankara will sich ein Mitspracherecht im östlichen Mittelmeer verschaffen, wo Griechenland, Zypern, Israel und Ägypten die Türkei von der Ausbeutung von Erdgasfeldern unter dem Meeresboden ausschließen. Ein Abkommen zwischen der Türkei und der Einheitsregierung in Libyen vom November erklärt große Teile der Gewässer in der Gegend ohne Rücksicht auf Ansprüche von Griechenland und Zypern zu türkischen Hoheitsgebieten.
Mit dem Abkommen und der Truppenentsendung will Ankara Druck auf die Nachbarstaaten machen. Auf Basis der Vereinbarung könne es jetzt Verhandlungen geben, sagt ein hochrangiger türkischer Regierungsvertreter. Der in Schweden lebende TürkeiExperte Halil Karaveli sagte, die Türkei wolle das Überleben der libyschen Einheitsregierung sicherstellen, um sich einen Hebel im Streit um das Gas zu beschaffen.
Kürzlich richtete die Türkei auch einen neuen Stützpunkt für Drohnen im türkischen Teil Zyperns ein und verstärkte damit seine Militärpräsenz in der Region. Gleichzeitig sucht Ankara nach Verbündeten. Ein kürzlicher Blitzbesuch Erdogans˘ in Tunesien verlief ergebnislos. Nun wolle Ankara versuchen, Algerien auf seine Seite zu bringen, berichtet die Zeitung „Cumhuriyet“.
Es droht Krach mit Russland, das Rebellengeneral Haftar in Libyen mit Söldnern unterstützt. Kreml-Chef Wladimir Putin kommt nächste Woche zu einem Gespräch mit Erdogan˘ in die Türkei.