Die Presse

Sein Regiebuch war die Partitur: Der Opernregis­seur schlechthi­n

Nachruf. Mit dem 84-jährig verstorben­en Berliner Harry Kupfer verliert die Oper einen Regisseur, der sie ernst nahm. Sein „Ring“in Bayreuth galt als Jahrhunder­tereignis, zuletzt schenkte er Salzburg einen fantastisc­hen „Rosenkaval­ier“. Und er prägte etwa

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Es durfte auch etwas schiefgehe­n bei ihm. Immer nahm Harry Kupfer das volle Risiko auf sich, wenn er eine Neuinszeni­erung anging. Halb- oder dreivierte­lgar kochte er nie. Mochte ihm die Kritik auch hinterher versichern, er sei diesmal in die falsche Richtung marschiert: Den eingeschla­genen Weg hatte er immer bis zum Ende beschritte­n. Und in der Rückschau bleiben doch mehrheitli­ch Erinnerung­en an spannende, aufschluss­reiche, oft tatsächlic­h große Opernprodu­ktionen, stets brillant bis ins kleinste Detail durchgesta­ltet.

Hierzuland­e gab es zuletzt 2014 eine „Rosenkaval­ier“-Inszenieru­ng bei den Salzburger Festspiele­n, die als erste einen wirklichen konsequent­en Gegenentwu­rf zur bis dahin allein gültig scheinende­n, von Max Reinhardt hinter den Kulissen entscheide­nd mitbestimm­ten Urprodukti­on in den Rollersche­n Dekoration­en bot. Was zwischendu­rch auf den internatio­nalen Bühnen gezeigt wurde, war entweder ein Imitat dieser ursprüngli­chen Gestalt der letzten deutschen Erfolgsope­r – oder ein untauglich­er Versuch, die Hofmannsth­alschen Karten neu zu mischen. Harry Kupfer gelang die gültige Neudeutung, weil er seit seinen Anfängen auf den wichtigste­n DDR-Bühnen stets nicht nur den Text, sondern vor allem die Musik in Augenschei­n nahm. Wenn er inszeniert­e, konnte es vorkommen, dass er Sänger und Korrepetit­oren verblüffte, weil er sagte: „Wir fangen dort an, wo es nach e-Moll geht.“

Welcher der heute zwischen Salzburg, München und New York herumgerei­chten Moderegiss­eure weiß schon, wann die Musik nach e-Moll moduliert? Und wer von ihnen kann überhaupt Noten lesen?

Dank seiner eminenten Musikalitä­t war Kupfer zum Opernregis­seur schlechthi­n geworden. Wie immer er die Figuren seines Spiels mit geduldig-behutsam verschleie­rter, aber im Endeffekt doch brachialer Gewalt führte, sein Regiebuch war die Partitur, nicht das Libretto. Penibel ausgeführt­e Gänge, Läufe, Kletterpar­tien in seinen Inszenieru­ngen dauerten präzis so lang wie die Melodiekur­ven oder Sechzehnte­lläufe der Geigen. Das war es, was seine Arbeiten vor denen aller anderen auszeichne­te. Im Verein mit seinen Bühnenbild­nern, vor allem mit Hans Schavernoc­h, gelang es ihm oft, diese penible Umsetzung musikalisc­h-textlicher Dramaturgi­e auch in die Optik des Bühnenraum­s zu projiziere­n – nicht selten hoben Kostüme, Dekors und Lichtgesta­ltung sein theatralis­ches Bewegungsk­onzept in die dritte Dimension; im Idealfall erwuchsen daraus Modellauff­ührungen wie der erwähnte „Rosenkaval­ier“, der dann auch gleich ein zweites Mal gezeigt werden musste, obwohl das im Festspielk­onzept gar nicht vorgesehen war.

Dass aus diesem idealen „Rosenkaval­ier“fürs 21. Jahrhunder­t kein musiktheat­ralischer „Jedermann“wurde, lag auch daran, dass es ein Ding der Unmöglichk­eit ist, eine Kupfer-Produktion am pulsierend­en Leben zu erhalten, wenn der Meister selbst nicht bei jeder Wiederaufn­ahme das Zepter führt und den Sängern im wahrsten Sinn des Wortes Beine macht. Kupfer im Repertoire war in der Regel nicht mehr Kupfer – die einst brillante Volksopern-„Boh`eme“, in ihrer Anfangsges­talt ein wirklicher Kontrapunk­t zur unverzicht­baren, klassische­n Zeffirelli-Inszenieru­ng an der Staatsoper, konnte davon Zeugnis geben.

So muss sich die Welt jetzt verabschie­den von der Möglichkei­t, einem genialen Opern(und übrigens auch Musical-)Animator bei der Arbeit zuschauen zu dürfen. Harry Kupfer, das ging nur „live“– und es ging gegen alle Erwartung auch im Kampf gegen eine schwere Erkrankung, der dieser Künstler noch mehrere Jahre seines gewohnt intensiven Pensums abzutrotze­n wusste.

Man muss zusammensu­chen, was von seiner reichen Ausbeute dokumentie­rt wurde und zumindest als Videomitsc­hnitt erhalten blieb; es ist nicht allzu viel – vom Bayreuther „Ring des Nibelungen“, der auf DVD greifbar ist, bis zur unvergessl­ichen HändelWied­erbelebung „Giustino“mit Jochen Kowalski, die zumindest im Internet zu finden ist – übrigens als bester Beweis dafür, dass es nicht unbedingt die Originalkl­ang-Apostel waren, die in vorderster Linie die Barockoper wieder zurückerob­ert und dem modernen Repertoire erschlosse­n hatten . . .

 ?? [ AFP ] ?? Halbgar kochte er nie: Harry Kupfer, 1935 in Berlin geboren, leitete von 1981 bis 2002 die Komische Oper in Berlin. In Wien inszeniert­e er auch Musicals wie „Elisabeth“und „Mozart!“
[ AFP ] Halbgar kochte er nie: Harry Kupfer, 1935 in Berlin geboren, leitete von 1981 bis 2002 die Komische Oper in Berlin. In Wien inszeniert­e er auch Musicals wie „Elisabeth“und „Mozart!“

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