Neues Viertel geschrumpft
Althanquartier. Nach Differenzen zwischen Investor, Bezirk und Stadt wird über dem Franz-JosefsBahnhof nun ein reduziertes Projekt umgesetzt ohne leistbare Mietwohnungen und Hochpark.
Im ersten Halbjahr beginnt der Umbau des Areals über dem Franz-JosefsBahnhof im neunten Bezirk – in deutlich reduzierter Form.
Im ersten Halbjahr 2020 wird – endlich – mit dem Umbau des Areals über dem Franz-JosefsBahnhof im neunten Bezirk begonnen. Das Projekt wird nun in deutlich reduzierter Form – ohne Hochhäuser, ohne geförderte Wohnungen, ohne den geplanten Hochpark und damit auch ohne den neuen öffentlichen Freiraum – umgesetzt. Kurz gesagt: Nicht nur auf dem Heumarkt, wo Investor Michael Tojner vom umstrittenen Wohnturm abrücken dürfte, sondern auch auf dem Stadtentwicklungsgebiet am Alsergrund wird ein Kompromiss gebaut.
1 Was war auf dem Areal ursprünglich geplant?
Der (private) Immobilienentwickler 6B47 (gesprochen „six before seven“) hatte auf dem Areal über dem Franz-Josefs-Bahnhof große Pläne: Ein neues Stadtviertel namens Althanquartier sollte entstehen, das sich vom Julius-TandlerPlatz über dem Bahnhof zwischen Althan- und Nordbergstraße bis zur Höhe Tepserngasse erstrecken soll (siehe Grafik). Große Teile des Areals stehen schon seit vielen Jahren im Eigentum von 6B47, aber nicht alle: Das ÖBB-Stellwerk und das Postgebäude etwa nicht.
Die ursprünglichen Pläne sahen vor, dass auf diesem Gebiet ein Bürogebäude (im ehemaligen und nunmehr leer stehenden Bank-Austria-Gebäude) samt Einkaufszentrum entsteht. Dahinter 600 Wohnungen – die Hälfte davon geförderte, leistbare Mietwohnungen – sowie ein Hotel. Das Althanquartier sollte mehrere Durchquerungen bekommen und so die Grätzel am Alsergrund besser miteinander verbinden, und vor allem auch: einen Hochpark, der mit Gastronomie belebt werden, aber auch genügend öffentlichen, begrünten Freiraum haben sollte.
2 Was hat diese Pläne dann verhindert?
2018 formierte sich im Bezirk – sowohl von politischer Seite als auch von Anrainern – Widerstand gegen das Althanquartier. Anrainer fürchteten vor allem eine mögliche Höhenentwicklung – Monate, bevor das Siegerprojekt überhaupt feststand: Denn laut städtebaulichem Leitbild wären an dem Standort sogar zwei Hochhäuser von bis zu 126 Metern, angelehnt an die Höhe der Spittelauer Müllverbrennungsanlage, möglich. Als Folge des Widerstands legte die damalige Planungsstadträtin, Maria Vassilakou (Grüne), das Widmungsverfahren auf Eis – man mag sich an den Heumarkt erinnert fühlen, wo sie eine Nachdenkpause ausrief. Im Juni 2018 wurde dann das Siegerprojekt präsentiert: Die Jury wählte aus allen Einreichungen den einzigen Entwurf, der keine Hochhäuser vorsah – sondern eine terrassenartige Bebauung im Stil Harry Glücks mit einer maximalen Höhe von 58 Metern, der von den österreichischen Architekten Artec stammt. Damit schienen die Wogen geglättet.
3 Was geschah nach der Präsentation des Siegerentwurfs?
In der Folge überwarfen sich Investoren, Stadt und Bezirk in der Frage, wie genau die 300 leistbaren Wohnungen definiert werden. 6B47 besteht darauf, „dass hier nie Sozialwohnungen geplant waren“, wie Unternehmenssprecherin Barbara Horstmeier sagt, es sei stets von „geförderten Wohnungen“die Rede gewesen. Stadt und Bezirk sehen das anders, die Bezirksvorsteherin von Alsergrund, Saya Ahmad (SPÖ), sagt, dass sie „nie mehr oder weniger“als den Kompromiss auf dem Areal wollte: 50 Prozent leistbare Wohnungen, „das hatten wir gemeinsam vereinbart“.
Ohne diese würde der Bezirk die Zustimmung zur nötigen Umwidmung verweigern, auch der städtebauliche Vertrag würde so nicht unterzeichnet. Die Immobilienentwickler 6B47 rückten im Februar 2019 schließlich komplett von den Plänen ab, auf dem Areal geförderte Wohnungen zu errichten. Als Grund führt man eine Änderung der Bauordnungsnovelle, die inzwischen in Kraft getreten war, an, für geförderten Wohnbau müsse man zudem strenge Baukostenobergrenzen einhalten. Und vor allem sei das Bauen über einem Bahnhof – unter anderem durch statische Auflagen und wegen des
Schallschutzes – teurer. Anders gesagt: Günstige Mietwohnungen rentieren sich für den Investor an diesem Standort nicht, da er nun nicht einmal mehr die 58 Meter Höhenentwicklung nutzen kann.
4 Wieso wird jetzt noch niedriger gebaut als ursprünglich geplant?
Da sich abgezeichnet hat, dass Stadt und Bezirk einer Umwidmung nicht zustimmen werden, hat sich 6B47 nun dazu entschlossen, innerhalb der bestehenden Widmung für das Areal zu bauen. Das führt dazu, dass es nun endgültig keine günstigen Mietwohnungen geben wird, sondern nur Eigentumswohnungen. Die terrassenartige Struktur, der Hochpark, die Durchquerungen sind – wie das Siegerprojekt insgesamt – passe.´ Die höchsten Punkte auf dem Areal werden gemäß der Widmung 44 Meter nicht überschreiten.
Dass man nun eine reduzierte Version der ursprünglichen Pläne umsetzt, die doch weit entfernt ist von den – umstrittenen, aber städtebaulich deutlich mutigeren – Plänen, die auf dem Areal bei entsprechender Umwidmung möglich gewesen wären, will man bei 6B47 so nicht sehen. „Es ist nicht besser oder schlechter“, sagt Sprecherin Horstmeier. Aber „wir hätten an dem Standort verdichten wollen. Unserer Meinung nach hätte er das auch verkraftet, da hat der Mut gefehlt. Es gab irrsinnig viel Streit, man konnte sich nicht einigen.“So setzt man nun einen Entwurf innerhalb der bestehenden Widmung um, eine Lösung, die, wie Horstmeier betont, „immer auch eine Option für uns war“.
5 Und wie soll es von nun an weitergehen?
Derzeit wird das alte Bank-AustriaGebäude ausgeräumt, Anfang 2020 wird es komplett ausgehöhlt, nur noch das Skelett wird stehen bleiben. In diesem Teil des Areals bleibt auch alles wie geplant: Hier entstehen neue Büroflächen mit insgesamt 44.000 m2, in denen 2500 bis 3000 Menschen arbeiten sollen. Auch das Einkaufszentrum wird neu gestaltet, der – wegen seiner Sonntagsöffnung – stark frequentierte Billa wird „wahrscheinlich sehr viel schöner“und soll auch während des Umbaus möglichst kurz geschlossen sein. Die Polizeiwache wird etwas vergrößert. Dieser Büroteil heißt nunmehr „Francis“, dahinter entstehen – geht alles nach Plan, bis 2023 – zwei Gebäude namens „Jo Living“und „Liz Living“mit Eigentumswohnungen und ein – noch namenloses – Hotel.
6 Sind jetzt alle mit dem Ergebnis zufrieden?
Die Anrainer großteils schon. Die Bezirkspolitiker weniger. Bezirksvorsteherin Ahmad nimmt die neuen Pläne „zur Kenntnis“und findet es „schade“, dass sich die Investoren „nicht an die Vereinbarung gehalten haben“und von 300 leistbaren Wohnungen abgerückt sind. Lisa Fuchs, ÖVP-Parteiobfrau am Alsergrund, spricht von einer „vergebenen Chance“und sieht die Schuld auch bei der roten Bezirkschefin. Diese hätte, so Fuchs, ja nicht auf 50 Prozent geförderten Wohnungen bestehen müssen. „Vielleicht hätte sie auf 30 Prozent geförderte Wohnungen heruntergehen sollen, das wäre besser gewesen, als gar keine geförderten Wohnungen zu haben so wie jetzt.“
Der Stadt wirft Fuchs zu wenig Engagement vor: „Der Bezirk wurde auch ein bisschen allein gelassen“, ein derart großes Stadtentwicklungsgebiet „ist viel zu groß für so einen kleinen Bezirk“. Dass 6B47 nun zu bauen beginnt, sieht sie – wie Bezirksvorsteherin Ahmad – trotzdem auch positiv: Immerhin leiden Wirte und Händler im Grätzel darunter, dass die Büros leer stehen – als die Unicredit auszog, waren auf einen Schlag 3000 Menschen weg, was Handel und Gastronomie spürten.