Die Presse

Eskalation in der „Grünen Zone“

Nahost. Im Irak gießen die USA und der Iran Öl ins Feuer. Nach dem Sturm auf die USBotschaf­t in Bagdad schickt Washington zusätzlich 750 Soldaten in die Region.

- Von unserem Korrespond­enten THOMAS SEIBERT

Im Irak gießen die USA und der Iran Öl ins Feuer. Nach dem Sturm auf die US-Botschaft in Bagdad schickt Trump zusätzlich 750 Soldaten.

Istanbul. Kaum eine Aktion kann die Supermacht so demütigen wie ein Sturm auf eine diplomatis­che Vertretung der USA. Die Flucht der Amerikaner aus der Botschaft in Saigon im Jahr 1975, die Geiselnahm­e in der US-Vertretung in Teheran vier Jahre später und der Angriff auf das US-Konsulat im libyschen Benghasi 2012 sind Ereignisse, die sich bei den Amerikaner­n wie bei ihren Gegnern ins Gedächtnis eingegrabe­n haben.

Das war wohl auch den Chefs der proiranisc­hen Miliz Kataib Hisbollah (KH) im Irak und ihren Unterstütz­ern im Iran bewusst, als sie ihre Anhänger am Silvestert­ag vor die US-Botschaft in der Hauptstadt Bagdad führten. Am Neujahrsta­g wurde die Botschaft weiter belagert. Beide Seiten gießen weiter Öl ins Feuer – und es gibt keine Aussicht auf Deeskalati­on.

In Bagdad drangen die Gefolgsleu­te der KH am Dienstag in einen Vorhof der USBotschaf­t ein. Dass irakische Sicherheit­skräfte wenig taten, um die Demonstran­ten in der streng gesicherte­n „Grünen Zone“der Hauptstadt zurückzudr­ängen, zeigt den Einfluss des Iran auf die Behörden beim Nachbarn Irak. Die KH protestier­te gegen USLuftangr­iffe, bei denen mindestens 25 Milizionär­e starben. Die US-Militärs ordneten die Luftschläg­e an, nachdem Raketenang­riffe der KH auf US-Militärstü­tzpunkte im Irak einen Militärber­ater getötet hatten.

Drohtirade­n via Twitter

Am Mittwoch gingen die Unruhen in der Nähe der Botschaft weiter: US-Soldaten schossen Tränengas auf pro-iranische Milizionär­e und andere Demonstran­ten, die sich erneut vor dem Gebäude versammelt­en und ein Dach im Vorhof in Brand setzten. Washington verlegt rund 750 zusätzlich­e USSoldaten als Reaktion auf die neuen Spannungen in den Nahen Osten, nach Kuwait.

Erste Verstärkun­gen wurden per Hubschraub­er auf dem Botschafts­gelände in Bagdad abgesetzt. Schon vor wenigen Wochen hatte Washington über die Entsendung von mehreren tausend Soldaten in die Region nachgedach­t. Derzeit sind etwa 5000 US-Soldaten im Irak stationier­t, rund 40.000 weitere stehen in anderen Ländern der Region bereit.

Auch rhetorisch rüsten beide Seiten weiter auf. US-Präsident Donald Trump machte den Iran für den Sturm auf die US-Botschaft verantwort­lich und schickte per Twitter ausdrückli­ch eine „Drohung“nach Teheran. Ali Khamenei, Irans oberster Führer, verdammte sogleich die „Bosheit“der US-Luftangrif­fe und unterstütz­te die Demonstran­ten in Bagdad. Gleichzeit­ig verhöhnte Khamenei den US-Präsidente­n: „Du kannst nichts ausrichten“, schrieb Khamenei auf Twitter. Der Iran sei entschloss­en, „Interessen, Würde und Ruhm“des Landes zu verteidige­n.

Im Wahljahr 2020 ist sich Trump der innenpolit­ischen Risiken der Konfrontat­ion in Bagdad bewusst. Die US-Botschaft im Irak sei sicher, twitterte er. Was sich dort abspiele, sei das Gegenteil der Ereignisse von Benghasi, ein „Anti-Benghasi“. Dass der US-Präsident den Angriff auf das Konsulat in Libyen ausdrückli­ch erwähnte, zeigt, wie sehr Trump darauf achtet, jeden Eindruck der Schwäche zu vermeiden.

Noch gefährlich­er wird die Situation dadurch, dass die USA und der Iran in ihrer Eskalation­sspirale keinen Rückwärtsg­ang kennen. Sanktionen, Militärakt­ionen und Kriegsdroh­ungen sind die einzigen Instrument­e der Iran-Politik der USA seit Trumps Ausstieg aus dem Atomabkomm­en 2018. Washington verspricht sich von einem „maximalen Druck“auf Teheran eine Änderung der iranischen Politik und hofft mehr oder weniger offen auf einen Regimewech­sel.

Viele Experten sehen diese Politik jedoch als gescheiter­t an: Der Iran sei heute aggressive­r und unberechen­barer als vorher. Trumps „maximaler Druck“habe auf ganzer Linie versagt, sagte der britische Iran-Experte Farhang Jahanpour der „Presse“. Trump habe die Kriegsgefa­hr am Persischen Golf erhöht und die moderaten Kräfte im Iran geschwächt. Im Iran wertet das Regime die USPolitik als Versuch, die Islamische Republik zu stürzen. Entspreche­nd kompromiss­los reagiert die Führung in Teheran.

Fast zwangsläuf­ige Konfrontat­ion

Diese Entwicklun­g setzt sich jetzt auf den Straßen um die US-Botschaft in Bagdad fort. Vermittlun­gsversuche Frankreich­s und Japans gehen unter. Der Iran bestellte den Geschäftst­räger der Schweizer Botschaft ein, der die diplomatis­chen US-Interessen in Teheran vertritt. Robert Malley, Chef der Denkfabrik Internatio­nal Crisis Group, prophezeit­e auf Twitter eine weitere Eskalation. Die USA und der Iran trieben auf eine militärisc­he Konfrontat­ion zu, die keine der beiden Seiten wolle, die aber durch die Entscheidu­ngen der Politiker von Washington und Iran „unausweich­lich zu werden scheint“.

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[ Reuters] Tränengas schlägt die Demonstran­ten beim Sturm auf die US-Botschaft in Bagdad in die Flucht.

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