Eskalation in der „Grünen Zone“
Nahost. Im Irak gießen die USA und der Iran Öl ins Feuer. Nach dem Sturm auf die USBotschaft in Bagdad schickt Washington zusätzlich 750 Soldaten in die Region.
Im Irak gießen die USA und der Iran Öl ins Feuer. Nach dem Sturm auf die US-Botschaft in Bagdad schickt Trump zusätzlich 750 Soldaten.
Istanbul. Kaum eine Aktion kann die Supermacht so demütigen wie ein Sturm auf eine diplomatische Vertretung der USA. Die Flucht der Amerikaner aus der Botschaft in Saigon im Jahr 1975, die Geiselnahme in der US-Vertretung in Teheran vier Jahre später und der Angriff auf das US-Konsulat im libyschen Benghasi 2012 sind Ereignisse, die sich bei den Amerikanern wie bei ihren Gegnern ins Gedächtnis eingegraben haben.
Das war wohl auch den Chefs der proiranischen Miliz Kataib Hisbollah (KH) im Irak und ihren Unterstützern im Iran bewusst, als sie ihre Anhänger am Silvestertag vor die US-Botschaft in der Hauptstadt Bagdad führten. Am Neujahrstag wurde die Botschaft weiter belagert. Beide Seiten gießen weiter Öl ins Feuer – und es gibt keine Aussicht auf Deeskalation.
In Bagdad drangen die Gefolgsleute der KH am Dienstag in einen Vorhof der USBotschaft ein. Dass irakische Sicherheitskräfte wenig taten, um die Demonstranten in der streng gesicherten „Grünen Zone“der Hauptstadt zurückzudrängen, zeigt den Einfluss des Iran auf die Behörden beim Nachbarn Irak. Die KH protestierte gegen USLuftangriffe, bei denen mindestens 25 Milizionäre starben. Die US-Militärs ordneten die Luftschläge an, nachdem Raketenangriffe der KH auf US-Militärstützpunkte im Irak einen Militärberater getötet hatten.
Drohtiraden via Twitter
Am Mittwoch gingen die Unruhen in der Nähe der Botschaft weiter: US-Soldaten schossen Tränengas auf pro-iranische Milizionäre und andere Demonstranten, die sich erneut vor dem Gebäude versammelten und ein Dach im Vorhof in Brand setzten. Washington verlegt rund 750 zusätzliche USSoldaten als Reaktion auf die neuen Spannungen in den Nahen Osten, nach Kuwait.
Erste Verstärkungen wurden per Hubschrauber auf dem Botschaftsgelände in Bagdad abgesetzt. Schon vor wenigen Wochen hatte Washington über die Entsendung von mehreren tausend Soldaten in die Region nachgedacht. Derzeit sind etwa 5000 US-Soldaten im Irak stationiert, rund 40.000 weitere stehen in anderen Ländern der Region bereit.
Auch rhetorisch rüsten beide Seiten weiter auf. US-Präsident Donald Trump machte den Iran für den Sturm auf die US-Botschaft verantwortlich und schickte per Twitter ausdrücklich eine „Drohung“nach Teheran. Ali Khamenei, Irans oberster Führer, verdammte sogleich die „Bosheit“der US-Luftangriffe und unterstützte die Demonstranten in Bagdad. Gleichzeitig verhöhnte Khamenei den US-Präsidenten: „Du kannst nichts ausrichten“, schrieb Khamenei auf Twitter. Der Iran sei entschlossen, „Interessen, Würde und Ruhm“des Landes zu verteidigen.
Im Wahljahr 2020 ist sich Trump der innenpolitischen Risiken der Konfrontation in Bagdad bewusst. Die US-Botschaft im Irak sei sicher, twitterte er. Was sich dort abspiele, sei das Gegenteil der Ereignisse von Benghasi, ein „Anti-Benghasi“. Dass der US-Präsident den Angriff auf das Konsulat in Libyen ausdrücklich erwähnte, zeigt, wie sehr Trump darauf achtet, jeden Eindruck der Schwäche zu vermeiden.
Noch gefährlicher wird die Situation dadurch, dass die USA und der Iran in ihrer Eskalationsspirale keinen Rückwärtsgang kennen. Sanktionen, Militäraktionen und Kriegsdrohungen sind die einzigen Instrumente der Iran-Politik der USA seit Trumps Ausstieg aus dem Atomabkommen 2018. Washington verspricht sich von einem „maximalen Druck“auf Teheran eine Änderung der iranischen Politik und hofft mehr oder weniger offen auf einen Regimewechsel.
Viele Experten sehen diese Politik jedoch als gescheitert an: Der Iran sei heute aggressiver und unberechenbarer als vorher. Trumps „maximaler Druck“habe auf ganzer Linie versagt, sagte der britische Iran-Experte Farhang Jahanpour der „Presse“. Trump habe die Kriegsgefahr am Persischen Golf erhöht und die moderaten Kräfte im Iran geschwächt. Im Iran wertet das Regime die USPolitik als Versuch, die Islamische Republik zu stürzen. Entsprechend kompromisslos reagiert die Führung in Teheran.
Fast zwangsläufige Konfrontation
Diese Entwicklung setzt sich jetzt auf den Straßen um die US-Botschaft in Bagdad fort. Vermittlungsversuche Frankreichs und Japans gehen unter. Der Iran bestellte den Geschäftsträger der Schweizer Botschaft ein, der die diplomatischen US-Interessen in Teheran vertritt. Robert Malley, Chef der Denkfabrik International Crisis Group, prophezeite auf Twitter eine weitere Eskalation. Die USA und der Iran trieben auf eine militärische Konfrontation zu, die keine der beiden Seiten wolle, die aber durch die Entscheidungen der Politiker von Washington und Iran „unausweichlich zu werden scheint“.