Selbstironie, Sex und Sardinen
Premiere in Wien. Martin Kuˇsej zeigt mit seiner aus München übernommenen Inszenierung von Michael Frayns „Der nackte Wahnsinn“, was im neuen Ensemble steckt.
Martin Kuˇsej zeigt mit seiner Inszenierung von Michael Frayns „Der nackte Wahnsinn“, was im neuen Burg-Ensemble steckt.
Früher Abend zu Silvester. Vor dem Burgtheater knallen bereits die Böller, Massen wälzen sich in einer Orgie aus Licht und Lärm durch den Rathauspark. Im Haus aber ist das Publikum bereits still, als hinter dem Vorhang die Kennmelodie der einst beliebten TV-Serie „Dallas“ertönt. Der Lappen geht hoch, und man wird unversehens in die frühen Achtzigerjahre gebeamt: Auf einem kleinen Röhrenfernseher läuft tatsächlich die alte Klamotte aus Texas. Annette Murschetz hat auf zwei Ebenen ein Kunstwerk aus Treppen und Türen und damals modischem Mobiliar als Bühnenbild gebaut: Solch ein Loft galt einst als schick.
Mittendrin steht eine Haushälterin. Ist das tatsächlich die Diva Sophie von Kessel, die in Salzburg einst eine Buhlschaft war? Man sieht eine Frau in prekärem Kostüm, mit dunklen Locken, wattierter Hängebrust und schlechten Manieren. Sie hantiert mit einem Telefon und einem Teller Sardinen. Da ertönt von weit hinten aus dem Zuschauerraum Norman Hackers Stimme. Er will, dass diese Sophie die Sardinen stehen lässt. Er spielt den routinierten Regisseur Martin K., der mit einem unzulänglichen Team eine leichte Komödie aufführen will.
Die wahren Dramen hinter der Bühne
Und schon ist man mitten drin im Spiel im Spiel im Spiel, in Michael Frayns 1982 in London uraufgeführter Farce „Der nackte Wahnsinn“(Original: „Noises Off“), die seither ein Dauererfolg ist – auch wegen der Sardinen. Sie gehören zu diesem Stück wie der Totenkopf zu Hamlet und der Pudel zu Faust. Sie sind der Stresstest für alle Schauspieler, die in diesem Stück ein bizarres Ensemble spielen, das eben im Begriff ist, mit der Dutzendware „Nackte Tatsachen“auf Tournee zu gehen. Frayns Dreiakter zeigt diese Hymne aufs verkrachte und doch auch beglückende Theater aus unterschiedlichen Perspektiven. Erster Akt: die Generalprobe, bei der in Serie alles schiefgeht und die Darsteller immer wieder aus der Rolle fallen dürfen. Die Nerven liegen nach Mitternacht blank. Am nächsten Tag soll Premiere sein. Zweiter Akt: eine Matinee Wochen später, der Blick hinter die Bühne. Dort ereignen sich die wahren Dramen: Alkohol, Amouren, Intrigen, eine Schwangerschaft, verzweifelte Versuche, die Facon¸ zu wahren. Nur Fragmente der zuvor gesehenen Probe sind fern auf der Bühne zu sehen. Dritter Akt: Ende der Tournee. Man weiß bereits über die Zerrüttungen im Ensemble Bescheid und wundert sich nicht mehr, dass sich das Drama selbstständig gemacht hat.
Dumme Blonde, tauber Trinker
Kaum noch ist der ursprüngliche Plot wiederzuerkennen: Die Haushälterin möchte sich einen gemütlichen Nachmittag machen, Fernsehen und Sardinen essen. Sie wähnt sich allein, weil die Hausbesitzer in Spanien sein sollen. Doch nicht nur die kommen irgendwann zurück, um Sex zu haben, sondern auch der Makler, der die Wohnung vermieten soll, in weiblicher Begleitung. Und dann stolpert noch ein Einbrecher herein, interveniert zudem das Regieteam. Ideale Bedingungen also für ein Türauf, Tür-zu, allerlei Klamauk und kleine Kunststücke. Das ist doch einfach, oder?
Nein, es ist einfach kompliziert, erfordert höchste Konzentration, perfekte Schauspieler und einen raffinierten Meister der Regie. Beides wird in dieser Inszenierung, mit der sich Martin Kusejˇ im Vorjahr als Direktor des Residenztheaters in München verabschiedet hat, spielend erreicht. Er lässt sich Zeit. Da wird nicht gehudelt, sondern punktgenau jede Pointe gesetzt – perfektes Timing, zweieinhalb Stunden lang.
Von Kessel brilliert als Prolo-Queen, Hacker versetzt sich derart gekonnt in K., dass man manchmal glaubt, da stehe eine kompakte Version von Kusej.ˇ Till Firit ist als Makler eine Sensation an lustbetontem Komödiantentum. Das gilt auch für Genija Rykova, die klug dosiert die dumme Blonde spielt. Zwei Artisten leben sich hier aus. Kongenial dazu das zweite Paar: Thomas Loibl als so unbegabter wie sensibler Schauspieler Thomas, der zu Ohnmachtsanfällen und Nasenbluten neigt und den steuerflüchtigen Dramatiker Franz Xaver Hötz (!) spielt, Katharina Pichler als Schauspielerin Kata, die sich gerne als Superheldin in Pose wirft und die aufgedonnerte Belinda Hötz gibt. Deleila Piasko agiert als Regieassistentin so ehrgeizig brav und zugleich berechnend, dass man für diesen Beruf Mitleid empfindet. Arthur Klemt demonstriert: Selbst Inspizienten wollen nur eines – auf die Bühne! Und eine Paraderolle als schwerhöriger, schwer trinkender Mime hat Paul Wolff-Plottegg: Paul im Stück ist der Einbrecher im Stück im Stück. Ein dankbarer Part. Wen wundert es, dass den am Ende auch noch ganz andere spielen möchten?