Leitartikel von Oliver Pink: Gibt es die Fundis noch? Wenn ja, wie viele?
Kann Türkis-Grün auf den letzten Metern noch scheitern? Selbst wenn nicht: Leicht wird es Werner Kogler auch danach nicht haben mit seinen Leuten.
Der Tiroler Blogger Markus Wilhelm hat dann auch jene, die noch nicht in Aufregung versetzt waren, in Aufregung versetzt: „Türkise Grauslichkeiten, grün verpackt“würde man im Integrationskapitel des Regierungspakts zu sehen bekommen. Wie etwa einen Sanktionsmechanismus bei Integrationsverweigerung. Und auch der oberösterreichische SPÖ-Landesgeschäftsführer, Georg Brockmeyer, stichelte via Twitter mit: „Sicherheitshaft, Präventivhaft? Früher hieß so etwas Schutzhaft, und es ist mit Menschen- und BürgerInnenrechten unvereinbar.“
Noch wurde der Koalitionspakt gar nicht vorgestellt, das soll Donnerstagnachmittag geschehen. Dennoch lassen Informationen, die bisher durchgesickert sind, den erwartbaren Schluss zu, dass etwa bei Zuwanderung und Integration die Handschrift der ÖVP deutlich stärker zu lesen sein wird. Das zeigt sich auch daran, dass die Integrationsagenden nicht zu den Grünen, zu Rudolf Anschober, gewandert sind, sondern bei der ÖVP bleiben. Und zwar in den Händen von Susanne Raab, jener Frau, die als Beamtin schon bisher federführend den Kurs in dieser Frage vorgegeben hat: Integration durch Leistung, Vorrang des Rechtsstaats vor Willkür – auch wenn es humanitär gut gemeint sein mag –, Realismus statt Blauäugigkeit.
Auch zu anderen Feldern könnte man nach dem, was bisher bekannt und nicht dementiert wurde, schreiben – wenn man die Bildung der türkis-grünen Koalition noch torpedieren wollte –, dass die ÖVP die Grünen über den Tisch gezogen habe: Die Arbeitsagenden gehen vom künftig grünen Sozialressort an die ÖVP. Ins wichtigste grüne Ressort, das Verkehrsministerium, wurde mit Magnus Brunner ein türkiser Aufpasser gesetzt. Und so weiter.
Allerdings sei noch einmal auf die realen Gegebenheiten hingewiesen: Die ÖVP kam bei der Nationalratswahl auf 37,5 Prozent, sie legte gegenüber der vorhergehenden Wahl noch einmal zu. Mit der Schlussfolgerung, dass der KurzKurs bestätigt wurde, wird man also nicht ganz falsch liegen. Die Grünen erreichten 13,9 Prozent, durchaus beachtlich, nur eben kein Regierungsbildungsauftrag. Aber – auch in Anbetracht der Alternativen – ein Regierungsbeteiligungsauftrag.
Und die Grünen haben sich im Lauf der Regierungsverhandlungen ebenso beachtlich geschlagen: mit professioneller Herangehensweise, staatspolitischer Verantwortung und einem Bekenntnis zum Stillschweigeabkommen, an das sie sich strikter gehalten haben als die ÖVP, um die Verhandlungen nicht zu gefährden. Und immerhin: Die Grünen haben das für die ÖVP so wichtige Nachhaltigkeitsministerium ausgeräumt. Da bleibt nur noch die Landwirtschaft übrig, die Umweltagenden wechseln zu den Grünen. Was auch machtpolitisch bezüglich der NGOs, die daran hängen, nicht so ohne ist. Den ÖVP-nahen Bauern wird das nicht gefallen.
Dennoch wird in den kommenden Tagen und Stunden bis zum grünen Bundeskongress am Samstag die Frage dominieren, wo die grüne Führung nachgegeben hat. Befeuert von SPÖ und Neos, aber auch von jenen Grünen, die weiterhin der reinen Lehre anhängen wollen. Und das ist dann auch eine wesentliche Frage für den Bundeskongress: Wie viele Fundis gibt es bei den Grünen eigentlich noch? Und bringen diese eine Mehrheit zustande?
Und selbst wenn nicht: Sie werden Werner Kogler das Leben im Regierungsalltag schwer machen. Ob Abschiebungen abgelehnter Asylwerber oder Rücksichtsnahme auf Standortinteressen beim Klimaschutz: Kogler wird mit friendly fire rechnen müssen. Der erste grüne Vizekanzler der Bundesrepublik Deutschland, Joschka Fischer, hat all das erlebt und erlitten. Allerdings passiert in Österreich traditionell alles in abgemilderter Form.
Deswegen kommt ja auch TürkisGrün. Und nicht Rot-Grün. Sofern die Grünen-Funktionäre genug staatspolitische Verantwortung aufbringen. Auch wenn es schwerfällt. Mehr zum Thema: Seiten 1 bis 3