Die Presse

Was die neue Koalition für Wien bedeutet

Politik. Das neue Regierungs­programm wird die Ausgangsla­ge für die Wien-Wahl verändern. Wie sich Vorhaben von Kopftuchve­rbot bis Ökologisie­rung des Verkehrs in der Bundeshaup­tstadt auswirken könnten.

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Die neue Regierungs­konstellat­ion verändert auch die politische Gemengelag­e in Wien. Die neuen Regierungs­partner waren bisher in Wien scharfe Kontrahent­en, und im Hinblick auf die Wien-Wahl im Herbst lässt sich schon jetzt sagen: Beide Regierungs­parteien wollen Stimmen von der SPÖ. Die Grünen, indem sie Öko- und Infrastruk­turthemen trommeln. Die ÖVP, indem sie Gernot Blümel zum mächtigen Finanzmini­ster macht, der zeigen will, was gesundes Sparen bedeutet – und das heißt im einen oder anderen Fall wohl auch, Wien Gelder zu kürzen. Blümel kann sich somit eine Reibefläch­e mit SPÖBürgerm­eister Michael Ludwig schaffen – und über diese Bühne Aufmerksam­keit und im Idealfall die Gunst der Wähler generieren.

Bei den Nationalra­tswahlen kreuzten schon 24,6 Prozent der Wien-Wähler Türkis an, für die Stadt-ÖVP kann es nach dem historisch­en Tief von 9,24 Prozent bei den Gemeindera­tswahlen 2015 nur bergauf gehen.

Auch bei den Grünen zeigte die jüngste Nationalra­tswahl – in Wien erreichten die Grünen 20,8 Prozent –, dass in Wien mehr Potenzial an Grün-Wählern vorhanden ist als 2015 mit 11,84 Prozent angesproch­en werden konnte. Abgesehen von der stadtpolit­ischen Lage – auch konkrete Vorhaben der neuen Regierung dürften in Wien für Debatten sorgen.

Etwa das im Koalitions­abkommen vorgesehen­e Kopftuchve­rbot für Schülerinn­en bis Ende des 14. Lebensjahr­es. Da wird Wien betroffen sein – an den Mittelschu­len etwa stellen die muslimisch­en Schüler die größte Religionsg­ruppe. Wie viele muslimisch­e Mädchen Kopftuch tragen, kann niemand genau sagen. Klar ist aber: Es werden bedeutend mehr sein als in der Volksschul­e, für die noch unter TürkisBlau ein Kopftuchve­rbot beschlosse­n wurde, das im Herbst in Kraft trat. Dieses wurde in Wien bisher fünf Mal verletzt – in ganz Österreich gab es acht Fälle, wobei man im Bildungsmi­nisterium mutmaßte, dass womöglich (noch) nicht alle gemeldet wurden. Rote Bildungspo­litiker wollten auf die Frage, wie sie zur Ausweitung des Kopftuchve­rbots stehen, zuletzt nicht immer eine klare Antwort geben.

Sozialstad­trat Peter Hacker (SPÖ) kann dem Verbot im Gespräch mit der „Presse“nichts abgewinnen. Für ihn ist Zwang der falsche Weg. „Ich halte grundsätzl­ich nichts davon, dass man, wenn man in einer Gesellscha­ft etwas ändern will, das mit Gesetzen tut.“

Wie die Wiener Grünen das Thema aufnehmen werden, wird sich zeigen, wohl wird es aber innerparte­ilich kritische Stimmen geben. Diese dürften sich allerdings ersten Einschätzu­ngen zufolge im Grenzen halten. Denn erstens wissen auch die Grünen, dass Regieren Kompromiss­e bedeutet, und zweitens gibt es auch innerhalb der Wiener Grünen eine Mehrheit, die Maßnahmen gegen den politische­n Islam setzen will.

Im Regierungs­programm wird die Mindestsic­herung beziehungs­weise die „Sozialhilf­e neu“de facto nicht erwähnt. Schon davor gab es Gerüchte, dass Türkis und Grün das Thema auf die Bundesländ­er auslagern wollen. Auch, weil sie sich dadurch nicht einigen müssen. Sozialstad­trat Peter Hacker (SPÖ) kritisiert im „Presse“-Gespräch, dass im Regierungs­programm ein Reformvorh­aben fehlt. „Durch das Urteil des Verfassung­sgerichtsh­ofs gibt es einen klaren Auftrag, das jetzt zu tun.“Mit dem Grundgeset­z zur „Sozialhilf­e neu“ist die türkisblau­e Regierung gescheiter­t.

Gleich zwei Kernpunkte wurden im Dezember vom Verfassung­sgerichtsh­of als verfassung­swidrig angesehen: die Verknüpfun­g mit Sprachkenn­tnissen und die Höchstsätz­e für Kinder. Auch die Familienbe­ihilfe komme im Regierungs­progamm nicht vor, kritisiert

Hacker, obwohl wegen der Indexierun­g der Familienbe­ihilfe eine Klage am Europäisch­en Gerichtsho­f droht. „Ich habe das Gefühl, dass zwei Parteien eine Regierung verhandelt und ihre Kerngrunds­ätze völlig aufgegeben haben.“

Mit Leonore Gewessler besetzen die Grünen nun das mächtige Infrastruk­turministe­rium und verantwort­en somit Milliarden für Projekte wie Straßen- und U-Bahn-Bau. Damit bleibt der Ausbau des öffentlich­en Verkehrs grünes Thema, das sie sich für ihre Wiener Wähler auf die Fahnen heften können.

Die Finanzieru­ng und der Ausbau der S-Bahn im Wiener Umland war bisher Streitthem­a zwischen Wien und dem Bund. Es ist bis jetzt nur ein Plan, den die ÖBB und die Stadt Wien (teilweise mit Niederöste­rreich) geschmiede­t haben. Nicht fixiert ist die Finanzieru­ng, die in der Regel so aussieht, dass 80 Prozent der Mittel vom Bund kommen, 20 Prozent vom Land. Hier muss erst mit der Bundesregi­erung verhandelt werden. Diese Verhandlun­gen könnten leichter werden, schließlic­h ist im Regierungs­programm etwa eine „ÖffiMillia­rde“vorgesehen, die vor allem in den und um die Ballungsrä­ume investiert werden soll.

Im Programm genannt sind auch eine Fortsetzun­g der U-BahnCofina­nzierung oder Ausbauten von S-Bahnen. Wie sich das 1-2-3-Österreich-Ticket (ein Euro pro Tag in einem Bundesland, zwei Euro pro Tag in einem und im Nachbarbun­desland, drei Euro pro Tag in ganz Österreich) in Wien und auf den Pendlerver­kehr auswirkt, ist fraglich: Das 365-Euro-Jahrestick­et in Wien gibt es schon, auch für Pendler aus dem Umland, die ein VOR-Jahrestick­et nutzen, ergibt sich mit dem 1-2-3-Ticket nicht zwangsweis­e eine Vergünstig­ung. Laut Studien wirkt sich eher die Attraktivi­tät des Angebots (deren Erhöhung vorgesehen ist) denn der Preis auf den Umstieg der Pendler auf den öffentlich­en Verkehr aus.

Interessan­t, wenn es um den Stadtverke­hr geht, sind auch andere Pläne von Türkis-Grün: etwa eine Fahrrad-Offensive. Geplant ist eine Erhöhung des Anteils von sieben auf 13 Prozent bis 2025, auch die Bundesfina­nzierung für Infrastruk­tur soll ausgebaut werden. Sicherheit­smaßnahmen zugunsten von Fußgängern und Radfahrern sind ebenfalls vorgesehen.

Indessen könnte ein Projekt, welches von Heinz-Christian Strache unterstütz­t worden ist, tatsächlic­h realisiert werden. So hat sich die Regierung zumindest die „Definition von Sonderproj­ekten und Sonderbudg­ets für Regierungs­leitprojek­te im Zusammenha­ng mit der Rolle Österreich­s als Austragung­sort von Großereign­issen“vorgenomme­n. Als Beispiel wird ein „multifunkt­ionales Nationalst­adion“angeführt. Dass dieses, wenn es kommt, in Wien entsteht, scheint wahrschein­lich. (uw/beba/ wall/cim/win/ath/m. s.)

 ?? [ Getty Images ] ?? Aus für das Kopftuch: Das geplante Verbot bis 14 betrifft Wien – mit relativ vielen muslimisch­en Schülern – besonders.
[ Getty Images ] Aus für das Kopftuch: Das geplante Verbot bis 14 betrifft Wien – mit relativ vielen muslimisch­en Schülern – besonders.

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