Umweltschutz: Rot-grüner Masterplan „für 100 oder 200 Jahre“
Bauverbot. Ähnlich wie den Wienerwald will die rot-grüne Regierung der Bundeshauptstadt auch andere große Naturräume langfristig vor Bebauung sichern. Karl Lueger hat Anfang des 20. Jahrhunderts gar von einem Wald- und Wiesengürtel für „alle Zeiten“gespro
Prater, Wienerwald, Lobau, Bisamberg – Wien ist von relativ viel Natur umgeben, die für saubere Luft und Kühle sorgt. Aktuell sind 53 Prozent der Fläche der Bundeshauptstadt Grünraum. Doch wie lang noch? Die zwei Millionen Menschen, die die Stadt schon im Jahr 2027 beherbergen dürfte, werden wohl immer mehr Platz brauchen.
Daher will sich Wien selbst ein Bauverbot auferlegen – hinsichtlich der großen, noch unberührten Naturflächen am Rand der Stadt. Mit einem „Leitbild Grünräume neu“wolle man diese langfristig sichern, verkündete die rot-grüne Stadtregierung Ende des abgelaufenen Jahres. „Auch in 100 oder 200 Jahren wollen wir diese Gebiete nicht angreifen“, sagt Peter Kraus, Planungssprecher der Wiener Grünen, zur „Presse“.
Nicht hundert Jahre in die Zukunft, sondern in die Vergangenheit ist die Stadt zurückgegangen, um sich die Idee für das Leitbild zu holen. So hat der Gemeinderat unter Bürgermeister Karl Lueger bereits im Jahr 1905 ein Gesetz beschlossen, um den Wald- und Wiesengürtel im Westen Wiens „für alle Zeiten“als Naherholungsraum zu schützen. Es ist die Grundlage für den sich bis heute von der Donau im Norden bis nach Liesing im Süden erstreckenden Wienerwald.
Nach diesem Vorbild sollen nun weitere Gebiete als „Ausschlusszonen“definiert werden, auf denen nicht gebaut werden darf. „Gerade im Süden und Osten fehlt eine solche Grünraumqualität“, meint Kraus. Der Goldberg bei Oberlaa in Favoriten, das Gebiet um Neuessling oder die Ausläufer des Marchfelds in der Donaustadt seien Gebiete, die künftig geschützt werden sollen. „Viele dieser Gebiete haben keine Widmung. Die Stadt hat nie eine Aussage getroffen, was mit diesen passieren soll.“Das soll sich ändern.
Wie viele Flächen es sein sollen, die zu den vorhandenen
Schutzzonen – dazu gehören auch der Prater, der gesamte Raum entlang der Donau sowie die Donauinsel und die Lobau – hinzukommen, steht noch nicht fest.
Der „grundstücksgenaue“Schutzzonenplan, soll im Frühling dem Gemeinderat vorgelegt werden. Unterstützt wird die Stadt vom Landschaftsplaner Thomas Knoll. So werden die infrage kommenden Grünflächen von seinem Team untersucht: Wie gut eignen sie sich für Erholung? Wie hoch ist die Biodiversität? Wie groß ist deren kühlende Wirkung? „Je größer die Funktionen der Flächen sind, desto eher werden sie für die Stadt als Grünräume dauerhaft gesichert“, so Knoll. Für ihn sind die Großgrünräume die „wichtigste Basis“für die Klimastrategie Wiens, denn sie haben den größten Einfluss auf die Produktion kalter Luft.
„Fassadenbegrünung, Baumpflanzungen, Dachgärten – ohne Großgrünräume ist das alles nichts“, erklärt Knoll. Das neue rot-grüne Leitbild sei Ausdruck einer neuen Herangehensweise in der Stadtplanung Wiens. „Vor ein paar Jahren war man noch der Ansicht, dass Grünraum zukünftiges Bauland ist. Es war sozusagen immer in Reserve.“Mittlerweile orientiere sich die Raumordnung aber an der Natur: „Bauland kann ich nur dort weiterentwickeln, wo ich den Grünraum nicht störe.“
Knoll hält das Leitbild für einen „schönen und großen Schritt“in die richtige Richtung, bei dem man aber noch weiter gehen, noch präziser werden könne. Genau das fordert auch die Wiener Opposition. Sowohl ÖVP als auch Neos begrüßen das Vorhaben grundsätzlich, vermissen aber „Verbindlichkeit“.
Neos-Planungssprecher Stefan Gara: „Das Konzept ist nicht rechtsverbindlich. Da bleibt viel Interpretationsspielraum, was dann zu Diskussionen führt.“Wie das enden könne, habe man etwa in dem jahrelangen Konflikt um das Heumarkt-Projekt gesehen. Gara fordert deswegen, das Leitbild in der Wiener Bauordnung gesetzlich zu verankern, denn sonst könne ein Grundstück allzu leicht wieder zu Bauland umgewidmet werden.
Für den Grünen Kraus ist das Argument nicht schlüssig. Denn sowohl für eine Flächenwidmung als auch für ein Gesetz brauche man dieselbe Mehrheit im Gemeinderat. Sollten sich dort die politischen Mehrheiten ändern, „dann können sich auch die Leitbilder ändern“. So oder so: Für immer gesichert sind die Grünräume rund um die Millionenmetropole also wohl doch (noch) nicht.