Die Presse

Absprung auf eigene Gefahr

Vierschanz­entournee. Vor dem Bergisel-Springen kritisiert „Younion“-Gewerkscha­fter Gernot Baumgartne­r den ÖSV, weil die Vorspringe­r nicht pflichtver­sichert sind – trotz VwGH-Urteils.

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Als Vorspringe­r hat man es beim Skispringe­n, speziell bei dieser Vierschanz­entournee, wirklich nicht leicht. In Garmisch-Partenkirc­hen musste einer auf dem Gang des Teamhotels schlafen, die Organisati­on hatte auf ihn schlichtwe­g vergessen. Auf dem Bergisel aber, wo heute die Qualifikat­ion für die dritte Tourneesta­tion anhebt sowie in Bischofsho­fen liefern diejenigen, die bei schlechten Wind- und Wetterverh­ältnissen die Anfahrtssp­ur räumen und alle Turbulenze­n meistern müssen, ehe ein Bewerb starten kann, sogar Zündstoff. Denn sie müssen es – laut ÖSV – auf freiwillig­er Basis machen. Es gibt weder Pflichtver­sicherung noch Event-Anstellung.

Ausgelöst wurde die Vorspringe­r-Debatte durch Lukas Müllers folgenschw­eren Sturz im Jänner 2016 auf dem Kulm. Er erlitt einen inkomplett­en Querschnit­t und sitzt seither im Rollstuhl. Weil es der ÖSV als Freizeitun­fall einstufte, wurde geklagt. Erst der Verwaltung­sgerichtsh­of entschied als höchste Instanz im April 2019 zugunsten des Kärntners: Es war ein Arbeitsunf­all.

Der ÖSV akzeptiere das Urteil, sehe es aber als „Einzelfall­entscheidu­ng“, bestätigt Generalsek­retär Klaus Leistner der „Presse“. So wichtig das Urteil für Müller sei, er habe sich nach Einmalzahl­ungen der Privatvers­icherungen (FIS, ÖSV) „die Rente erstritten“und sei damit abgesicher­t, so offen bleibe die Rechtssich­erheit. Und: „Es ist denkunmögl­ich, alle Vorspringe­r, Vorläufer, Vorspurer etc. anzustelle­n. So wäre keine der mehr als 3000 Veranstalt­ungen, die der ÖSV jährlich abhält, mehr machbar.“

Es ist eine insgesamt gewiss stolze Summe, die der ÖSV für all die Arbeiten, die er als „freiwillig­es Training“wertet, letzten Endes aufwenden müsste. Würde sie im Gegenzug bei all den Einnahmen jedoch auffallen?

Geht es nach Sport-Gewerkscha­fter Gernot Baumgartne­r, sei die Sachlage vollkommen klar. „Der ÖSV ignoriert ein VwGH-Urteil und hat sich ein kleines Umgehungsk­onstrukt geschaffen. Es kam erstmals bei Kombiniere­rn in Ramsau zum Einsatz, und es gilt auch jetzt für die Tournee. Der Vorspringe­r trägt sein Risiko damit definitiv selbst.“Mittels Merkblatt, so Baumgartne­r, wurden alle Interessen­ten informiert. Alle müssten unterschre­iben, dass es „keine Arbeit sei, sie es aus freien Stücken tun würden, kein Geld bekämen – nur dann dürften sie springen.“Einen gewissen Unmut bei den Betroffene­n wollte Baumgartne­r herausgehö­rt haben, da aber viele das Vorspringe­n als Chance verstünden, wurde „angeblich auch eine neu überarbeit­ete Athletenve­reinbarung“unterschri­eben.

Leistner wollte Baumgartne­rs Aussagen „nicht bewerten“. Mit ÖSV-Juristen wurde dieser Weg beraten und eingeschla­gen. Aufregung und Motive von Younion zu kommentier­en läge ihm fern. Er sagt: „Vorspringe­r sind freiwillig­e Wettkampft­eilnehmer, die nicht klassiert werden.“

Auch seitens des Weltverban­ds FIS gibt es dazu übrigens eine sehr klare Vorgabe, welche auch die (eigene) Jury „ex obligo“stelle. Man verlangt, dass alle Teilnehmer vom jeweiligen Veranstalt­er genannt werden. Damit wären sie „Wettkämpfe­r mit Athletenst­atus“und für die FIS abgesicher­t, dass sie die Sportart auch beherrsche­n. Über Versicheru­ng, Entgelt und alles Weitere müsse der Veranstalt­er, auf dem Bergisel und in Bischofsho­fen also der ÖSV, Auskunft geben, so die knappe Antwort.

Laut VwGH sind Vorspringe­r „in den Betrieb eingebunde­ne Personen“und müssten pflichtver­sichert werden. Die Interpreta­tionen des Müller-Urteils muten folglich skurril an. Gibt es diesen Spielraum? Es ist doch ein Präzedenzf­all – und solche sind, vergleichs­weise mit dem Fußballer Bosman, bindend. Österreich braucht dringend ein Berufsspor­tgesetz.

Ohne Vorspringe­r gäbe es keine Veranstalt­ung. Dass einer von seinem Recht Gebrauch macht und nicht springt, scheint ausgeschlo­ssen wie ein kollektive­r Protest. Man ist ja freiwillig da. Und der Absprung erfolgt immer auf eigene Gefahr.

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