„Starker Tobak“für Grüne
Interview. Nina Tomaselli war im Verhandlungsteam der Grünen und ist Stellvertreterin von Werner Kogler. Dennoch fällt ihr die Zustimmung zum Koalitionspakt nicht leicht. Denn stolz ist sie darauf nicht. Besonders das Migrationskapitel sieht sie kritisch.
Die Presse: Wie stolz sind Sie als Mitverhandlerin und stellvertretende Bundesobfrau der Grünen auf den Koalitionspakt?
Nina Tomaselli: Stolz wäre wirklich der falsche Ausdruck. Wir haben einige gute Punkte durchbekommen. Wir haben unsere Wahlversprechen, für eine saubere Politik und eine saubere Umwelt zu sorgen, umgesetzt.
Was wäre das richtige Wort?
Richtig wäre zu sagen: Ich bin froh, dass wir unsere Wahlversprechen, saubere Umwelt und saubere Politik, durchsetzen konnten.
Es hieß, dass sich sowohl für die Grünen als auch für die ÖVP schmerzhafte Punkte im Pakt finden. Wie groß sind Ihre Schmerzen?
Für mich persönlich kann ich sagen, dass es, wenngleich die Freude über die tollen Erfolge im Justizkapitel und das wahrscheinlich ambitionierteste Klimaprogramm in ganz Europa groß ist, es trotzdem Dinge auf der Minusseite gibt. Dazu zählt natürlich der restriktive Kurs bei der Migration. Da stehen schon einige Dinge drinnen, die sind starker Tobak. Das ist alles andere – nur nicht grünes Wahlprogramm. Das ist die Haltung der ÖVP. Und die kann ich – unabhängig davon, ob ich in einer Koalition bin oder nicht – nicht gutheißen. Punkt.
Werden Sie dem Koalitionspakt auf dem grünen Bundeskongress trotzdem Ihre Zustimmung geben?
Ich glaube, dass die Delegierten insgesamt ihre Zustimmung geben werden, weil die Erfolge in den Kapiteln Transparenz und Klimaschutz immens sind. Aber ich erwarte mir auch einiges an Kritik für das ganze Kapitel Integration, Migration und innere Sicherheit. Diese Kritik ist auch angebracht.
Und Sie persönlich werden zustimmen oder nicht?
Als stellvertretende Bundessprecherin ist es mir wichtig, dass sich in meinem Stimmverhalten nicht nur meine persönliche Haltung widerspiegelt, sondern auch die Stimmung der Mitglieder. Deshalb werde ich die Diskussion genau verfolgen und in meine Entscheidung einfließen lassen.
Fix ist Ihre Zustimmung also noch nicht?
Die Personen, die wir in die Regierung schicken, haben mein großes Vertrauen. Deshalb werde ich meine Zustimmung an das Regierungsteam jedenfalls geben.
Sie werden also das Regierungsteam absegnen, aber nicht das Regierungsprogramm?
Die Abstimmung wird im Paket erfolgen. Ich werde das Vertrauen aussprechen.
Sie halten Kritik im Integrationskapitel für angebracht. Sind Sie überrascht, dass die Grünen hier so viel geschluckt haben?
Die Bevölkerung und unsere Wähler sollten wissen, dass die Fantasien der ÖVP in der Migrations- und Asylpolitik noch viel weiter gingen. Sie wollten noch viel mehr Law and Order reinbringen. Man muss beim Migrationskapitel auch das lesen, was gar nicht dasteht, das, was wir verhindert haben.
Was zum Beispiel?
Bei der Seenotrettung ging die Vorstellung der ÖVP etwa noch deutlich weiter. Aber wenn es um Menschenleben geht, dann sind wir nicht zu Kompromissen bereit. Wir stehen im Übrigen auch für das Grundrecht auf Asyl. Das ist unteilbar. Wenn wir nur das Gefühl haben, dass die Menschenrechte in der Bundesregierung irgendwie verletzt werden könnten, werden wir da nicht mitmachen. Dieses Versprechen kann ich geben.
Im Koalitionspakt ist die von den Grünen einst heftig kritisierte Sicherungshaft festgeschrieben. Sie soll, wie es heißt, in einer verfassungskonformen Art und Weise umgesetzt werden. Ist das Ihrer Meinung nach überhaupt möglich?
Ich bin Ökonomin und keine Juristin. Aber für mein jetziges Dafürhalten gibt es keine verfassungskonforme Präventivhaft. Daher glaube ich auch nicht, dass eine solche kommen wird.
Die Sicherungshaft steht also im Koalitionspakt, wird aber nicht umgesetzt?
Nein. Ich bin keine Expertin. Das sollen sich die Juristen anschauen. Das wird im Justizministerium, das grün besetzt ist, gemacht werden. Aber ich gehe im Moment, mit all dem, was ich weiß, davon aus, dass das verfassungsmäßig nicht möglich ist, dass man Menschen nur aufgrund ihrer Gedanken oder aufgrund dessen, was sie tun könnten, einsperrt.
Wenn sich Grüne und ÖVP im Fall einer Asylkrise künftig nicht einigen können, dann gilt ein koalitionsfreier Raum. Sie erteilen der ÖVP also eine Lizenz zum Fremdgehen?
Diese Passage gilt vice versa. Ich glaube nicht, dass es einer der Koalitionspartner darauf anlegt, diesen Joker zu ziehen. Meine Fantasie reicht dafür nicht aus, dass das eine Koalition überstehen würde.
Sie gehen trotz Kritik davon aus, dass der Bundeskongress den Koalitionspakt absegnen wird. Ist der Buko nur eine Abnickveranstaltung?
Keinesfalls. Uns, als basisdemokratischer Bewegung, ist es wichtig, dass Inhalt und Personen wirklich genauestens von der Basis unter die Lupe genommen werden. Es hat sich bewährt, dass wir viele Reflexionsschleifen ziehen und dass nicht nur einige wenige entscheiden.
Einen Spielraum für die Veränderung des Koalitionspakts gibt es aber ohnehin nicht mehr.
Wenn die Kritik so massiv wird – wovon ich nicht ausgehe – könnte der Bundeskongress den ganzen Koalitionspakt zu Fall bringen.
Sie gehen von grünem Licht der Basis aus. Aber wie hoch wird der Anteil derer, die dafür stimmen, sein?
Ich gehe von einer hohen Zustimmung aus. Wie viel genau, das kann ich noch nicht sagen. Ich will nichts vorwegnehmen.