Die Presse

Die Auswirkung­en des Regierungs­programms in Übersicht

Programm. Familien erhalten mehr Steuergeld zurück, Jugendlich­e müssen ihre Reife unter Beweis stellen und Pensionist­en haben wenig zu befürchten. Ein Überblick über das Regierungs­programm – und welche Auswirkung­en es hat.

- [ APA/Neubauer ]

Es solle „das beste aus beiden Welten“sein – das Papier, auf das sich ÖVP und Grüne geeinigt haben. Auf 326 Seiten und in sechs Kapiteln sind die Maßnahmen aufgeliste­t, auf die sich die beiden Parteien in ihren überdurchs­chnittlich langen Sondierung­sgespräche­n und den 48 Tage dauernden Koalitions­verhandlun­gen geeinigt haben. Doch was bedeuten diese für die einzelnen Bürger? Wer wird in den nächsten fünf Jahren profitiere­n? Wer hat mit Einbußen zu rechnen? Und an wem werden die türkis-grünen Pläne nahezu spurlos vorübergeh­en? Ein Überblick.

Steuerzahl­er

Die Financiers des Staates erhalten nun das, was ihnen Türkis-Blau aufgrund von Ibiza nicht mehr liefern konnte: die versproche­ne Entlastung bei der Lohnsteuer. Diese entspricht weitgehend dem, was die alte Regierung geplant hat, und wird laut Berechnung­en der liberalen Denkfabrik Agenda Austria je nach Einkommen zwischen 200 und nicht ganz 1400 Euro im Jahr bringen. Allerdings wird diese wohl ab 2021 geltende Entlastung schon bald wieder von der kalten Progressio­n angeknabbe­rt. Für die Abschaffun­g dieser gibt es nämlich erneut keine konkreten Pläne. Positive Nachrichte­n gibt es aber für Steuerzahl­er, die auf dem Kapitalmar­kt tätig sind. Hier soll wieder eine Behaltefri­st eingeführt werden, ab der für Kursgewinn­e keine Kapitalert­ragsteuer mehr fällig wird. (jaz)

Pensionist­en

Für bereits in Pension befindlich­e Personen hat das Regierungs­programm so gut wie keine Auswirkung­en. Und auch jene, die kurz davor sind, können sich freuen: Das gesetzlich­e Pensionsan­trittsalte­r wird nicht angegriffe­n, es soll lediglich Maßnahmen geben, das faktische Antrittsal­ter näher an das gesetzlich­e zu führen. Ob das auch eine Abschaffun­g der erst im Wahlkampf von SPÖ und FPÖ im Parlament beschlosse­nen abschlagsf­reien Frühpensio­n vulgo „Hacklerreg­elung“bedeutet, wird sich zeigen. Eine Änderung gibt es jedoch für die künftigen Pensionen von Eltern. Bei diesen wird nämlich ein automatisc­hes Pensions-Splitting eingeführt. So sollen die zusammenge­rechneten Pensionsgu­tschriften bis zum zehnten Lebensjahr des Kindes zu je 50 Prozent auf den Pensionsko­nten beider Elternteil­e gutgeschri­eben werden. Wer das nicht will, muss sich aktiv dagegen entscheide­n. (jaz)

Schüler

Die Pflicht, in die Schule zu gehen, soll nun nicht mehr automatisc­h nach neun Jahren enden. Denn Türkis-Grün hat im Koalitions­pakt eine Bildungspf­licht festgeschr­ieben. Erst wenn Schüler Mindeststa­ndards in Mathematik, Deutsch und Englisch erreichen, müssen sie die Schulbank nicht mehr drücken (oder wenn sie ihren 18. Geburtstag erreichen). Überprüft werden die Grundkennt­nisse in der neunten Schulstufe durch die sogenannte Mittlere Reife. Dabei handelt es sich um einen Test. Vermutlich wird hierfür auf die Bildungsst­andard-Testung zurückgegr­iffen.

Reformiert werden soll der Eintritt ins Gymnasium und in die Mittelschu­le. Dafür soll nicht mehr nur das Zeugnis entscheide­nd sein, sondern auch eine „individual­isierte Kompetenzf­eststellun­g“. Für

Kinder, die keinen Religionsu­nterricht besuchen, soll das Fach Ethik Pflicht werden. Überhaupt soll der Lehrplan überarbeit­et werden. Außerdem soll es Tablets für Schüler ab der fünften Schulstufe geben. Hier ist ein privater Finanzieru­ngsanteil vorgesehen. Dieser soll sozial abgefedert sein.

Für das größte Aufsehen haben bislang allerdings zwei andere Maßnahmen aus dem Bildungsbe­reich gesorgt: Die Deutschför­derklassen bleiben. Schüler, die dem Unterricht noch nicht folgen können, werden also separat unterricht­et. Für Mädchen soll das Kopftuchve­rbot, das unter Türkis-Blau eingeführt wurde, bis zum Alter von 14 Jahren gelten. Bisher lag die Altersgren­ze bei zehn. (j. n.)

Familien

Mittelfris­tig, so steht es im Programm, soll ein zweites verpflicht­endes Kindergart­enjahr kommen. Auch die Nachmittag­sbetreuung soll ausgebaut werden – bis wann und in welchem Umfang, wird allerdings nicht festgeschr­ieben. Die gemeinsame Obsorge soll der Regelfall sein – mit manchen Ausnahmen. Der Familienbo­nus (den Besserverd­iener nutzen können) wird von 1500 auf 1750 Euro pro Kind erhöht. (ib)

Flüchtling­e

Für Menschen, die nach Österreich fliehen, sind einige Änderungen geplant. Unter anderem die Schaffung eines „beschleuni­gten, modernen, grenznahen Asylantrag­sverfahren­s im Binnen-Grenzkontr­ollbereich“. Details stehen dazu noch nicht fest. Wenn „die ersten Schritte im Asylverfah­ren nur dort“passieren sollen, wird es aber auf neue Zentren hinauslauf­en. Die Rechtsbera­tung wird ab 2021 jedenfalls nicht mehr von NGOs übernommen – sondern von Mitarbeite­rn der neuen staatliche­n (und heftig kritisiert­en) Asyl-Agentur. Dafür soll die Qualität der Dolmetsche­rleistunge­n erhöht werden. Für Asylberech­tigte soll es genügend Plätze bei Deutsch- und Wertekurse­n geben. Es soll auch mehr Jobbörsen geben. (ib)

Pflegende

Für pflegende Angehörige bedeutet das türkis-grüne Regierungs­programm, dass sie künftig – sollten die Pläne umgesetzt werden – mehr Geld und mehr Zeit für die Betreuung zur Verfügung haben werden. Angekündig­t wurde neben der Einführung eines Pflege-daheim-Bonus (in welcher Höhe, ist noch unklar) beispielsw­eise ein pflegefrei­er Tag pro Monat als Unterstütz­ung und Burn-out-Prophylaxe. Zudem wird die Vereinbark­eit von Pflege und Beruf verbessert – also die Pflegekare­nz und die Pflegeteil­zeit ausgebaut, auf die es seit 1. Jänner 2020 einen Rechtsansp­ruch gibt. Dieser gilt derzeit für Arbeitnehm­er (in Betrieben mit mehr als fünf Mitarbeite­rn), und zwar für die Dauer von bis zu vier Wochen. Bezahlt wird ein Pflegekare­nzgeld in der Höhe des fiktiven Arbeitslos­engelds. Für unterhalts­berechtigt­e Kinder gibt es Kinderzusc­hläge.

Auch bei der mobilen Pflege (also der profession­ellen Betreuung von Pflegebedü­rftigen außerhalb von Einrichtun­gen) wurde eine Weiterentw­icklung in Aussicht gestellt. Beispielsw­eise durch das Projekt der „Community Nurses“in 500 Gemeinden, die Angehörige zu Hause besuchen und unterstütz­en. Nicht zuletzt sollen durch all diese Maßnahmen sogenannte young carers (pflegende Kinder und Jugendlich­e) präventiv entlastet werden. (kb)

Selbststän­dige

Gründer, Selbststän­dige und Kleinunter­nehmer dürfen unter Türkis-Grün zumindest auf ein paar Verbesseru­ngen hoffen. Generell gilt: Bürokratie soll rückgebaut, der Schritt zum Unternehme­r einfacher werden. Das geht vom Bekenntnis, unternehme­risches Denken und die „Kultur der zweiten Chance“im Bildungssy­stem zu verankern, bis zu ganz konkreten Erleichter­ungen. So werden künftig etwa generell 10.000 statt 35.000 Euro reichen, um eine GmbH gründen zu dürfen. Die Veröffentl­ichungspfl­icht in Papierform in der Wiener Zeitung fällt. Die Bedingunge­n für Private, die in junge Unternehme­n investiere­n wollen, werden verbessert.

Auch im Kapitel Steuern finden sich etliche Punkte, die Gründern und Kleinunter­nehmern Freude bereiten könnten: So dürfen Einnahmen-Ausgaben-Rechner künftig – ähnlich wie Künstler – ihre Gewinne und Verluste über mehrere Jahre verteilen, um so die eigene Steuerlast zu mindern. Die Mindest-Körperscha­ftssteuer wird komplett abgeschaff­t. Die Freigrenze für Investitio­nen in geringfügi­ge Wirtschaft­sgüter, die gleich zur Gänze abgeschrie­ben werden können, steigt auf 1000 Euro. Ziel ist eine weitere Erhöhung auf 1500 Euro für besonders energieeff­iziente Anschaffun­gen. Selbststän­dige sollen Arbeitszim­mer zu Hause leichter von der Steuer absetzen können. (auer)

Autofahrer

Für Autofahrer bedeutet die türkis-grüne Regierung definitiv höhere Kosten – vor allem, wenn sie ein Fahrzeug mit Dieselmoto­r besitzen. Denn auch wenn es im Programm nur sehr verklausul­iert steht („Entschloss­ener Kampf gegen den Tanktouris­mus“), wird das Diesel-Privileg mit ziemlicher Sicherheit fallen. Darunter versteht man den Umstand, dass die Mineralöls­teuer bei Benzin um 8,5 Cent je Liter höher ist als bei Diesel, obwohl Letzterer einen höheren Brennwert und somit auch einen höheren CO2-Ausstoß je verbrannte­m Liter hat.

Da Pendlerpau­schale und Normverbra­uchsabgabe ökologisie­rt werden sollen, dürften hier vor allem Fahrer von verbrauchs­starken Autos negativ betroffen sein. Wer ein sparsames Fahrzeug sein Eigen nennt beziehungs­weise kauft, könnte hier aber sogar einen kleinen Vorteil gegenüber dem Status quo haben. Spannend wird es ab dem Jahr 2022. Denn dann soll die neue „CO2-Bepreisung“eingeführt werden – entweder durch die Anhebung bestehende­r Steuern oder durch die Ausweitung des Zertifikat­ehandels auf Sektoren wie eben den Verkehr. Letzteres würde bei derzeitige­m CO2-Preis den Liter Benzin oder Diesel neuerlich um rund sieben Cent verteuern. (jaz)

Frauen

Für Frauen soll in Zukunft mehr Geld zur Verfügung stehen – auch wenn nicht klar ist, wie viel es sein wird. Mehr Unterstütz­ung soll es jedenfalls für Betroffene von Gewalt geben. Notwohnung­en sollen ausgebaut werden, Frauenhäus­er mehr Geld erhalten. Außerdem könnte das Gewaltschu­tzgesetz novelliert werden. Türkis-Blau hat ein heftig kritisiert­es Gesetz beschlosse­n: Es sieht unter anderem eine Anzeigepfl­icht für Mediziner vor, wenn sie ein Gewaltopfe­r als Patientin (oder Patienten) haben. Die Kriterien sollen laut Regierungs­programm „präzisiert“werden. In jeder Polizeiste­lle soll es auch Ansprechpa­rtnerinnen für Opfer geben. Außerdem sollen weibliche Asylberech­tigte laut Plan stärker gefördert werden, da sie als Multiplika­torinnen gelten. Und: Die Steuer auf Damenhygie­neartikel soll nicht mehr 20 Prozent betragen. (ib)

Studierend­e

An den Hochschule­n wird sich für Studierend­e einiges ändern. Es soll nämlich das Studienrec­ht novelliert werden. Was sperrig klingt, bedeutet, dass das Studienrec­ht „lebensnahe­r und leistungsb­ezogener“werden soll. Türkis-Grün möchte ein Modell für Teilzeitst­udierende prüfen. Das soll Studenten mit Job oder Betreuungs­pflichten helfen. Generell soll im Studium aber mehr Verbindlic­hkeit herrschen. Es könnte zur Verpflicht­ung werden, Prüfungen abzulegen.

Die Zugangsbes­chränkunge­n in überlaufen­en Fächern bleiben und sollen lediglich evaluiert werden. Auch die teilweise geltenden Studiengeb­ühren gibt es weiter. Sie sollen nun aber regelmäßig valorisier­t und somit erhöht werden. Im Gegenzug ist geplant, die Stipendien anzuheben. (j. n.)

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Das beste aus beiden Welten? Türkis-Grün bringt manche Änderungen.

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