Handel wird kompliziert
Britische Waren werden nicht aus der EU verschwinden. Aber der Handel wird teurer und komplizierter werden. Das wird auch für die Einkommen der Briten Folgen haben.
Britische Waren werden nicht aus der EU verschwinden. Aber der Handel wird teurer und umständlich.
London. Der Countdown für den Brexit hat begonnen. „Wir schreiben ein neues Kapitel“, verkündete Premierminister Boris Johnson in seiner Neujahrsansprache. Schon am Dienstag nehmen die Abgeordneten des Unterhauses ihre Beratungen über Details des EU-Austrittsgesetzes auf.
Mit dem Brexit am 31. Jänner 2020 um 23.00 Uhr Ortszeit ändert sich alles – und vorerst einmal nichts. Denn es tritt eine Übergangsphase in Kraft, in der bis Jahresende 2020 die geltenden EUBestimmungen in den Bereichen Binnenmarkt und Zollunion weiterhin gültig bleiben. Umgekehrt anerkennt London weiter die Urteilssprüche des Europäischen Gerichtshofs und zahlt Mitgliedsbeiträge in das EU-Budget.
Mit dieser Übergangsperiode soll eine abrupte Unterbrechung der Handelsströme zu beiderseitigem Nachteil verhindert werden: 49 Prozent der britischen Exporte gingen im Jahr 2018 nach einer Untersuchung des Parlaments in die EU, während 53 Prozent aller britischen Einfuhren aus der EU stammten. Wegen des Wertverlusts des Pfund seit dem Brexit-Referendum 2016 sind britische Waren billiger geworden und die Exporte in die EU sogar gestiegen. Während sich das Land also politisch von der EU abwendete, wurde es wirtschaftlich abhängiger.
Gleichzeitig soll die Übergangsfrist die Möglichkeit schaffen, ein umfassendes Abkommen über die künftigen wirtschaftlichen Beziehungen auszuhandeln. Hier wird es haarig. Denn Premierminister Johnson schließt eine Verlängerung über den 31. Dezember 2020 hinaus kategorisch aus. Im Parlament spannte er einen Bogen von der antiken Mythologiegestalt Prometheus zum Cartooncharakter Charlie Brown und sagte: „Nichts wäre gefährlicher als eine Verlängerung der Frist. Es käme einer Folter gleich.“
Zwei verschiedene Märkte
Die EU reagierte ungehalten: „Es wird Zeit, dass wir uns von Showeinlagen zur Substanz bewegen“, sagte Handelskommissar Phil Hogan. Großbritannien sei seit dem Brexit-Votum „der falschen Vorstellung nachgehangen, man könne einen glatten Bruch mit der EU durchführen und gleichzeitig weiter alle Vorteile der Mitgliedschaft genießen“. Hogan: „Wir müssen uns der Realität stellen, dass es nicht mehr einen gemeinsamen Markt, sondern zwei verschiedene Märkte geben wird.“
Wie diese beiden in Zukunft miteinander handeln werden, müssen die Gespräche zwischen London und Brüssel festlegen. In der gemeinsamen politischen Deklaration, die das Brexit-Abkommen ergänzt, bekennen sich beide zu einem Freihandelsabkommen, das weiterhin einen zoll- und abgabenfreien Güteraustausch nach bisheriger Praxis gestattet. Die dafür erforderliche Verpflichtung zur Einhaltung der EU-Regeln und -Normen ist Großbritannien, wie Hogan beklagt, bisher freilich schuldig geblieben.
Kommt es zu keiner Vereinbarung, bleiben zwei Alternativen: Die britische Regierung muss ihre Worte zurücknehmen und doch einer Verlängerung zustimmen. Kommt es nicht dazu, würde Großbritannien die EU ohne Handelsabkommen verlassen, womit ab 1. 1. 2021 die Bestimmungen der Welthandelsorganisation (WTO) Gültigkeit hätten.
Die Auswirkungen wären schwerwiegend. Großbritannien exportierte 2018 Güter im Wert von 350,7 Mrd. Pfund: Autos standen an erster Stelle mit 33,3 Mrd. Pfund (9,5 Prozent), gefolgt von Pharmazeutika und Maschinen mit jeweils 24,7 Mrd. Pfund (7,1 Prozent), Rohöl mit 20,2 Mrd. Pfund (5,8 Prozent) und Flugzeugen mit 15,2 Mrd. (4,3 Prozent). Der Export landwirtschaftlicher Erzeugnisse belief sich auf 22,6 Mrd. Pfund, wobei das mit Abstand wertvollste Produkt Whisky mit 4,8 Mrd. Pfund war.
Treten für diese Güter in Zukunft WTO-Tarife in Kraft, wird es zu massiven Verteuerungen kommen: Für Autos gilt beispielsweise ein Zoll von zehn Prozent, für bestimmte Lebensmittel wie Milchprodukte kann der Satz bis zu 35 Prozent betragen. Noch schwerwiegender sind aber nach einer Untersuchung des Thinktanks „UK in a Changing Europe“die nicht tarifären Handelshemmnisse von Grenzkontrollen bis zur Notwendigkeit, umfangreiche Formulare ausfüllen zu müssen. Experten des Centre for Economic Performance rechnen damit, dass ein Brexit nach WTOBestimmungen den Handel mit der EU in den kommenden zehn Jahren um 40 Prozent verringern würde.
Das würde für jeden Briten rechnerisch einen Einkommensverlust von 2,6 Prozent pro Jahr bedeuten. Zum Jahreswechsel versprach Premierminister Johnson den Briten eine Anhebung des Mindestlohns auf 8,74 Pfund pro Stunde ab April. Mit seiner Politik eines harten Brexit drohen sie aber weitaus mehr zu verlieren als er ihnen nun verspricht.
Es wird Zeit, dass wir uns von Showeinlagen zur Substanz bewegen.
Phil Hogan, EU-Handelskommissar