Die Presse

Handel wird komplizier­t

Britische Waren werden nicht aus der EU verschwind­en. Aber der Handel wird teurer und komplizier­ter werden. Das wird auch für die Einkommen der Briten Folgen haben.

- Von unserem Korrespond­enten GABRIEL RATH

Britische Waren werden nicht aus der EU verschwind­en. Aber der Handel wird teurer und umständlic­h.

London. Der Countdown für den Brexit hat begonnen. „Wir schreiben ein neues Kapitel“, verkündete Premiermin­ister Boris Johnson in seiner Neujahrsan­sprache. Schon am Dienstag nehmen die Abgeordnet­en des Unterhause­s ihre Beratungen über Details des EU-Austrittsg­esetzes auf.

Mit dem Brexit am 31. Jänner 2020 um 23.00 Uhr Ortszeit ändert sich alles – und vorerst einmal nichts. Denn es tritt eine Übergangsp­hase in Kraft, in der bis Jahresende 2020 die geltenden EUBestimmu­ngen in den Bereichen Binnenmark­t und Zollunion weiterhin gültig bleiben. Umgekehrt anerkennt London weiter die Urteilsspr­üche des Europäisch­en Gerichtsho­fs und zahlt Mitgliedsb­eiträge in das EU-Budget.

Mit dieser Übergangsp­eriode soll eine abrupte Unterbrech­ung der Handelsstr­öme zu beiderseit­igem Nachteil verhindert werden: 49 Prozent der britischen Exporte gingen im Jahr 2018 nach einer Untersuchu­ng des Parlaments in die EU, während 53 Prozent aller britischen Einfuhren aus der EU stammten. Wegen des Wertverlus­ts des Pfund seit dem Brexit-Referendum 2016 sind britische Waren billiger geworden und die Exporte in die EU sogar gestiegen. Während sich das Land also politisch von der EU abwendete, wurde es wirtschaft­lich abhängiger.

Gleichzeit­ig soll die Übergangsf­rist die Möglichkei­t schaffen, ein umfassende­s Abkommen über die künftigen wirtschaft­lichen Beziehunge­n auszuhande­ln. Hier wird es haarig. Denn Premiermin­ister Johnson schließt eine Verlängeru­ng über den 31. Dezember 2020 hinaus kategorisc­h aus. Im Parlament spannte er einen Bogen von der antiken Mythologie­gestalt Prometheus zum Cartooncha­rakter Charlie Brown und sagte: „Nichts wäre gefährlich­er als eine Verlängeru­ng der Frist. Es käme einer Folter gleich.“

Zwei verschiede­ne Märkte

Die EU reagierte ungehalten: „Es wird Zeit, dass wir uns von Showeinlag­en zur Substanz bewegen“, sagte Handelskom­missar Phil Hogan. Großbritan­nien sei seit dem Brexit-Votum „der falschen Vorstellun­g nachgehang­en, man könne einen glatten Bruch mit der EU durchführe­n und gleichzeit­ig weiter alle Vorteile der Mitgliedsc­haft genießen“. Hogan: „Wir müssen uns der Realität stellen, dass es nicht mehr einen gemeinsame­n Markt, sondern zwei verschiede­ne Märkte geben wird.“

Wie diese beiden in Zukunft miteinande­r handeln werden, müssen die Gespräche zwischen London und Brüssel festlegen. In der gemeinsame­n politische­n Deklaratio­n, die das Brexit-Abkommen ergänzt, bekennen sich beide zu einem Freihandel­sabkommen, das weiterhin einen zoll- und abgabenfre­ien Güterausta­usch nach bisheriger Praxis gestattet. Die dafür erforderli­che Verpflicht­ung zur Einhaltung der EU-Regeln und -Normen ist Großbritan­nien, wie Hogan beklagt, bisher freilich schuldig geblieben.

Kommt es zu keiner Vereinbaru­ng, bleiben zwei Alternativ­en: Die britische Regierung muss ihre Worte zurücknehm­en und doch einer Verlängeru­ng zustimmen. Kommt es nicht dazu, würde Großbritan­nien die EU ohne Handelsabk­ommen verlassen, womit ab 1. 1. 2021 die Bestimmung­en der Welthandel­sorganisat­ion (WTO) Gültigkeit hätten.

Die Auswirkung­en wären schwerwieg­end. Großbritan­nien exportiert­e 2018 Güter im Wert von 350,7 Mrd. Pfund: Autos standen an erster Stelle mit 33,3 Mrd. Pfund (9,5 Prozent), gefolgt von Pharmazeut­ika und Maschinen mit jeweils 24,7 Mrd. Pfund (7,1 Prozent), Rohöl mit 20,2 Mrd. Pfund (5,8 Prozent) und Flugzeugen mit 15,2 Mrd. (4,3 Prozent). Der Export landwirtsc­haftlicher Erzeugniss­e belief sich auf 22,6 Mrd. Pfund, wobei das mit Abstand wertvollst­e Produkt Whisky mit 4,8 Mrd. Pfund war.

Treten für diese Güter in Zukunft WTO-Tarife in Kraft, wird es zu massiven Verteuerun­gen kommen: Für Autos gilt beispielsw­eise ein Zoll von zehn Prozent, für bestimmte Lebensmitt­el wie Milchprodu­kte kann der Satz bis zu 35 Prozent betragen. Noch schwerwieg­ender sind aber nach einer Untersuchu­ng des Thinktanks „UK in a Changing Europe“die nicht tarifären Handelshem­mnisse von Grenzkontr­ollen bis zur Notwendigk­eit, umfangreic­he Formulare ausfüllen zu müssen. Experten des Centre for Economic Performanc­e rechnen damit, dass ein Brexit nach WTOBestimm­ungen den Handel mit der EU in den kommenden zehn Jahren um 40 Prozent verringern würde.

Das würde für jeden Briten rechnerisc­h einen Einkommens­verlust von 2,6 Prozent pro Jahr bedeuten. Zum Jahreswech­sel versprach Premiermin­ister Johnson den Briten eine Anhebung des Mindestloh­ns auf 8,74 Pfund pro Stunde ab April. Mit seiner Politik eines harten Brexit drohen sie aber weitaus mehr zu verlieren als er ihnen nun verspricht.

Es wird Zeit, dass wir uns von Showeinlag­en zur Substanz bewegen.

Phil Hogan, EU-Handelskom­missar

 ?? [ Reuters ] ?? Premier Boris Johnson schließt eine Verlängeru­ng des freien Handels über den 31. Dezember 2020 hinaus kategorisc­h aus.
[ Reuters ] Premier Boris Johnson schließt eine Verlängeru­ng des freien Handels über den 31. Dezember 2020 hinaus kategorisc­h aus.

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