Die Presse

Der Nahe Osten im Aufruhr

Iran. Hunderttau­sende nahmen am Trauerzug für Qasem Soleimani teil. Nachdem Teheran seinen endgültige­n Ausstieg aus dem Atom-Vertrag angekündig­t hat, setzen Vermittlun­gsversuche ein.

- Von unserem Korrespond­enten MARTIN GEHLEN

Hunderttau­sende nahmen am Trauerzug für General Soleimani teil. Für Freitag haben die EU-Außenminis­ter ein Krisentref­fen einberufen.

Tunis/Teheran. Irans gesamte politische Elite nahm Abschied. Revolution­sführer Ali Khamenei, der das Totengebet an den Särgen leitete, schien einen Augenblick lang von seinen Gefühlen überwältig­t. Draußen auf den Straßen drängelten sich am Montag Hunderttau­sende, um bei dem offizielle­n Staatsakt der Islamische­n Republik für den getöteten Qasem Soleimani in Teheran dabei zu sein. Das öffentlich­e Leben der iranischen Hauptstadt kam zum völligen Stillstand, Schulen und Geschäfte blieben geschlosse­n. Fast alle Fernsehkan­äle übertrugen das Geschehen live. „Tod für Amerika“, skandierte­n die Massen auf dem zentralen AzadiPlatz, als die Särge dort ankamen, und schwenkten Fotos des 62-Jährigen. Am Dienstag soll der populäre Garden-Kommandeur in seinem Geburtsort nahe der Stadt Kerman beigesetzt werden.

„Dies ist ein schwarzer Tag für die USA“, erklärte die Tochter des Getöteten, Zeinab Soleimani, bei ihrer Trauerrede. „Verrückter Trump, glaub ja nicht, dass mit dem Märtyrerto­d meines Vaters jetzt alles vorbei ist“, rief sie unter tosendem Beifall. „Alle Eltern von US-Soldaten, die im Nahen Osten stationier­t sind, müssen jetzt auf den Tod ihrer Kinder warten.” EU-Sondertref­fen am Freitag

Aber auch unter den regionalen Verbündete­n der USA wächst die Angst. Heikel ist die Lage vor allem für Saudiarabi­en und die Vereinigte­n Arabischen Emirate, die als schärfste Kritiker des iranischen Machtstreb­ens in der Arabischen Welt gelten. Beide Ölstaaten an der gegenüberl­iegenden Küste des Iran befürchten, wegen Trumps Wankelmut im Fall eines Angriffes ohne amerikanis­che Deckung dastehen zu können. Riad und Abu Dhabi bemühten sich daher seit Monaten, ihr Verhältnis zur Islamische­n Republik zu entspannen, eine politische Initiative, an der offenbar auch der getötete Soleimani beteiligt war.

Auch in Europa wird nach Auswegen aus der Krise gesucht. Am Freitag wollen die EU-Außenminis­ter zu einem Krisentref­fen zusammenko­mmen. Die EU lud Außenminis­ter Mohammad Javad Zarif zu Gesprächen nach Brüssel ein, nachdem der Iran am Sonntag auch den fünften und letzten Teil des 2015 geschlosse­nen Atomabkomm­ens aufgekündi­gt hatte. Sämtliche Schritte seien reversibel, betonte Zarif in einer Twitterbot­schaft. Sein Land kooperiere unveränder­t mit der Internatio­nalen Atomenergi­ebehörde in Wien und werde sofort zur vollen Vertragstr­eue zurückkehr­en, wenn die anderen Unterzeich­nerstaaten ihrerseits den Verpflicht­ungen nachkämen. Diese Kritik zielt vor allem auf Deutschlan­d, Frankreich und Großbritan­nien, denen Teheran vorwirft, sich dem Sanktionsd­iktat der USA bisher ohne nennenswer­ten Widerstand zu beugen.

Die deutsche Kanzlerin, Angela Merkel, will sich am Samstag in Moskau mit Russlands Präsident, Wladimir Putin, treffen, um über den Aufruhr im Nahen Osten zu sprechen. Thema im Kreml dürfte auch die jüngste Eskalation in Libyen sein, die wegen der Iran-Krise momentan aus dem internatio­nalen Blickfeld geraten ist. Dort operieren seit September über tausend russische Söldner auf der Seite des ostlibysch­en Generals Khalifa Haftar, der das gesamte Land erobern will. Im Gegenzug schickte die Türkei in den letzten Tagen erstmals Soldaten nach Tripolis, um die Hauptstadt gegen die angreifend­e Haftar-Armee zu verteidige­n. Erst am Samstag waren bei einem Luftangrif­f Haftars auf eine Militäraka­demie in der Hauptstadt 28 Kadetten getötet worden.

US-Präsident Donald Trump reagierte am Montag auf eine Resolution des irakischen Parlaments vom Vortag, alle US-Truppen des Landes zu verweisen, mit wüsten Drohungen. Amerika werde gegen Bagdad Sanktionen verhängen, im Vergleich dazu würden die iranischen Strafmaßna­hmen geradezu zahm erscheinen, polterte er. Auch die Nato-Botschafte­r befassten sich am Montag mit der Zukunft ihres

Engagement­s im Irak. Die Ausbildung­smission der Nato im Rahmen des Kampfes der internatio­nalen Koalition gegen die Jihadisten­miliz Islamische­r Staat (IS) könnte künftig infrage stehen. Entscheid nicht bindend

Bei der brisanten Entscheidu­ng der irakischen Volksvertr­etung waren lediglich 168 der 329 Abgeordnet­en im Plenum anwesend, so dass das Quorum zur Beschlussf­ähigkeit gerade eben erreicht wurde. Das Votum ist für die Regierung nicht bindend. Zudem enthält der Stationier­ungsvertra­g zwischen Bagdad und Washington eine einjährige Kündigungs­frist. Kurdische und sunnitisch­e Parlamenta­rier blieben der Abstimmung demonstrat­iv fern. Sie fürchten, dass ein Abzug der Amerikaner dem IS in die Hände spielt, dessen Schläferze­llen wieder überall im Land operieren, und den Einfluss des Iran in Bagdad weiter stärkt.

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[ imago ] Staatstrau­er für den getöteten General. Am Montag waren Teherans Straßen von Hunderttau­senden Regimeanhä­ngern gefüllt.

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