Die Schönwettereuropäer
Unionsbudget, indexierte Familienbeihilfe, Asylreform: Türkis-Grün schweigt sich zu den heikelsten europapolitischen Themen aus. „Österreich wird die Fragen von Flucht und Migration sauber trennen.“Das will ganz Europa. Doch wie?
Bei der Durchsicht des Kapitels „Österreich in der EU und der Welt“des Regierungsabkommens fällt schnell auf, dass ÖVP und Grüne ihre frischen Bande nicht durch kontroversielle europapolitische Ideen gefährden wollen. Was zum Beispiel ist Österreichs Position bei den Verhandlungen über den mehrjährigen Finanzrahmen der EU (2021–2027)? Höchstens ein Prozent der Wirtschaftsleistung, wie es der designierte Kanzler Kurz und vor ihm die Übergangsregierung trommelte? Oder 1,3 Prozent, wie es die grüne Europaabgeordnete Monika Vana am 27. Dezember forderte? Der EU-Finanzrahmen wird überhaupt nur zweimal erwähnt – und zwar dahingehend, dass die Landwirte keine Kürzung ihrer Subventionen erleiden dürften.
Auch zur Indexierung der Familienbeihilfe für EU-Ausländer erfährt man nichts. Demnächst wird die Europäische Kommission entscheiden, ob sie die Republik vor den Gerichtshof der EU zitiert. Konnten oder wollten die Grünen, welche die Indexierung stets abgelehnt hatten, hier nichts verschriftlichen?
Neue Ideen zur Reform der geltenden Dublin-III-Verordnung, welche Asylkriterien und -verfahren in der EU festschreibt, findet man ebenfalls nicht. „Österreich wird in Zukunft die Fragen von Flucht und Migration sauber trennen“, heißt es. Das will ganz Europa. Doch wie? Gleich zweimal heißt es: „Mechanismen zur Verteilung von Migranten/Asylwerbern innerhalb der EU sind gescheitert.“Was also tun mit Asylwerbern, die an Europas Grenzen stranden? „Wirksame Sanktionen für Mitgliedstaaten, die das DublinAbkommen brechen, indem sie illegale Migration nach Mitteleuropa zulassen und nicht gegen Schlepperei vorgehen“, heißt es. Das ist die Handschrift der ÖVP. So hielt sie es schon mit der FPÖ. Akzeptieren die Grünen das?
Eine kleinere Kommission wünschte sich Türkis-Grün – bleibt aber Ideen schuldig, wie man andere Mitgliedstaaten überzeugt, diese bereits im EUVertrag festgeschriebene Verkleinerung tatsächlich anzuwenden. Genauso verhält es sich mit der Abschaffung des Straßburger Sitzes des Europaparlaments: Wie genau möchte Wien Frankreich dazu bringen? Dies dürfte umso mehr ins Illusorische entrücken, als die Regierung das Handelsabkommen der EU mit den Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay „in der derzeitigen Form“ablehnt. Dieses ist jedoch nach zwei Jahrzehnten Mühen fertig verhandelt – und sowohl Frankreichs Präsident, Emmanuel Macron, also auch der neuen Kommissionspräsidentin, Ursula von der Leyen, ein Herzensanliegen.