Der finale Flug ins Rampenlicht
Vierschanzentournee. Stefan Horngacher, Alexander Stöckl oder Richard Schallert hatten in Bischofshofen noch die Chance auf den Tourneesieg – über Umwege, Philosophien und Tricks.
Knapp 100.000 Besucher an allen vier Tourneeorten, in Deutschland wieder TV-Quoten jenseits der zehn Millionen Zuschauer, auch aus Deutschland, Schweiz und Norwegen positive Resonanzen – die 68. Auflage des Schanzenklassikers war ein Erfolg. Trotzdem wird hinter den Kulissen über Reformen und höhere Preisgelder diskutiert, der Ruf nach Veränderung und Fortschritt laut.
Derzeit bekommt der Tourneesieger 20.000 Franken (18.450 Euro) als Bonus, nebst dem Goldenen Adler und den Tagesprämien. Für Beobachter zu wenig, geht es nach Tourneepräsident Johann Pichler (SC Bischofshofen) sollen bald Gespräche mit der FIS starten. Und, auch in einem weiteren Punkt will er den Weltverband überzeugen: eine Tournee für Skispringerinnen.
Beim ÖSV, sagt Pichler, hätte er eine „positive Haltung“herausgehört. Vom deutschen Skiverband gebe es noch keine Rückmeldung, auch die FIS ziere sich. Dass im Sinn der Gleichberechtigung und des gestiegenen Interesses – immerhin gibt es einen Frauenweltcup mit neun Großschanzen und auch bei einer WM Medaillen – Stimmen lauter werden, sei logisch. Ob und wann Daniela Iraschko-Stolz, Chiara Hölzl und Co. Teil des Spektakels werden?
Pichler glaubt, 2023 könnte es so weit sein. Logistik, Anreise, Unterkunft, Ablauf und Richtlinien (Verschiebungen) müssten vorab geklärt sein. Ein Frauenspringen am Qualifikationstag der Männer durchzuführen, hält Pichler für verfehlt. Am gleichen Tag wird es jedoch schwer. Bei der in Norwegen stattfindenden und finanziell höher dotierten „Raw-Air-Serie“funktioniert es jedoch bereits.
Die seit 1953 laufende Vierschanzentournee würde es schmücken. Selbst die geringere Leistungsdichte bei den Frauen dient nicht länger als „Ausrede“. . . (fin)
Ein höchst schweigsamer Bastler von Modellflugzeugen aus Polen, ein HobbyDJ aus Oslo, der vor der 68. Vierschanzentournee noch kein Weltcupspringen gewonnen hatte, ein Deutscher Zöllner oder ein still lächelnder Japaner, der schnelle Autos und Mode liebt – das Finale dieser Skisprungtournee war in Bischofshofen zwar durchaus mit kuriosen Protagonisten geschmückt. Doch es war so ausgeglichen und spannend wie schon seit Jahren nicht mehr.
Offenbar sind die Zeiten, in denen einer allen auf und davon gesprungen ist, vorbei. Nach zwei „Grand-Slam“-Siegen in Serie, durch Kamil Stoch (2018) und Ryo¯yu¯ Kobayashi (2019) hatte der vor dem letzten Sprung führende Pole Dawid Kubacki, 29, sogar die Chance, den Klassiker als erster Springer nach Janne Ahonen (1999) ohne Tagessieg zu gewinnen. Der Weltmeister von Seefeld (Normalschanze) war zudem der
Einzige, der verhindern konnte, dass ein österreichischer Trainer jubeln konnte. Denn mit Stefan Horngacher (Deutschland), Alexander Stöckl (Norwegen) und Japan, wo der Vorarlberger Richard Schallert als Heimtrainer der meisten Athleten in Sapporo agiert, hat die rot-weiß-rote Trainerphilosophie weiterhin Saison am Schanzenturm.
Horngacher, 50, hat mit Polen bereits alles gewonnen, wovon Trainer träumen können. Seit Sommer ist der Tiroler als Nachfolger des Kleinwalsertalers Werner Schuster für den DSV unterwegs und hat alles umgekrempelt. Er legt Wert auf Kraft, Athletik, „die Wissenschaft hielt Einzug“, verriet er stolz in Oberstdorf. Bei Tempo und Anfahrtshocke kennt er kein Pardon, die in anderen Ländern geduldete Arbeit mit Heimtrainern ist ihm als Teamchef fremd. Er setzt Akzente und gibt die Richtung vor, all das macht der Familienvater, der schon vor vielen Jahren in Titisee
Neustadt sein zweites Zuhause gefunden hat, mit ungeheurer Akribie. All das aber still und leise, große PR-Termine und Shows gibt es nicht mehr.
Auch das Schauspiel vor dem ersten Durchgang, wenn Kameras durch das Containerdorf pilgern und der Reihe nach Springer beim Gablern, Aufwärmen oder Wachseln zeigen, ist ihm zuwider. Seitdem Horngacher der Chef ist, kommen die Deutschen pünktlich zum Turm. Keine Minute zu früh, direkt zur Schanze. Dass mit Geiger, einem Mitglied des Zollskiteams, bis zum Tourneefinale noch ein Deutscher die Chance auf den ersten Triumph nach Sven Hannawald (2002) hatte, war eindeutig sein Verdienst.
Alexander Stöckl, 47, ist seit 2010 in Norwegen die Autorität am Schanzentisch. Er hat alles gewonnen, ob WM- und Olympiagold, Gesamtweltcup, Skifliegen, Rekorde – nur die Tournee strahlt noch nicht in seiner Vita. Dass Marius
Lindvik, 21, ein Senkrechtstarter aufblühte, dürfte seiner Motivationskunst und Materialvisionen geschuldet sein. „Der Bua“, sagt Stöckl, „ist enorm kaltschnäuzig. Und er macht, was ich ihm sage. Sofort“. Sollte dem „Buam“, der in Oslo ob seiner Musikliebe „Avicii“gerufen wird, nach Siegen in Garmisch und Innsbruck der Coup gelingen, wäre auch Stöckl am Ziel.
So hoch wie nie fliegt derzeit auch Richard Schallert. Seit April 2019 ist der 57-Jährige als Coach (zuvor Tschechien, Russland) in Sapporo engagiert. Kobayashi ist einer der „begabtesten Athleten“– ein Versprechen für die Zukunft.