Die Presse

Argentinie­ns Dollar-Obsession

Währung. Weite Teile der argentinis­chen Wirtschaft kalkuliere­n auf Dollarbasi­s. Die Flucht in den Dollar ist die Antwort auf Korruption, Unsicherhe­it und die Preisexplo­sion in Pesos.

-

Natürlich ist es illegal. Natürlich müssten viele der „Höhlen“der Geldwechsl­er längst geschlosse­n sein. Natürlich überträgt das Staats-TV immer wieder Razzien von Polizei und Steuerfahn­dung. Doch wenn Fahnder und Fernsehen wieder weg sind, dann florieren die Geschäfte erneut.

Seitdem die Regierung von Mauricio Macri Ende August zum 24. Mal seit 1950 Devisenkon­trollen einführte und dessen Nachfolger Alberto Fernandez´ diese sukzessive verschärft­e, erleben die Argentinie­r ein Deja-vu. Erneut gibt es nicht einen verbindlic­hen Dollarkurs, sondern mindestens zehn. Da ist zunächst der offizielle, er steht bei etwa 63 Pesos und gilt für Importeure und sämtliche Wechselges­chäfte des Staates. Privatleut­en brummt der Fiskus zusätzlich 30 Prozent auf, wenn sie im Ausland eine argentinis­che Kreditkart­e benutzen oder per Internet jenseits der Grenzen shoppen. „Dolar turismo“nennen die Websites der wichtigste­n Medien dieses Wechselkur­sverhältni­s. Ein 30-Prozent-Aufschlag trifft auch Bürger, die Dollars erstehen wollen, um ihre Habe in Dollar wertzusich­ern. Allerdings dürfen die Banken seit Ende Oktober jedem Bürger nur noch 200 Dollar monatlich aushändige­n. Nun liegt der Wert des „Spardollar“auch etwa 30 Prozent über dem offizielle­n Kurs, also bei etwa 82 Pesos zum Dollar. Es ist vor allem diese Restriktio­n, die wie ein Nährboden für die illegalen Geldwechsl­er wirkt.

Irgendwo sonst in der Welt würde deren täglich adaptierte­r Kurs wohl als „schwarz“bezeichnet werden, aber für die Argentinie­r, gewohnt an ein Gesetzessy­stem, das in seiner babylonisc­hen Widersprüc­hlichkeit fast jeden zum Rechtsbrec­her macht, ist die Farbe des Parallel-Kurses blau. „El dolar blu´“ist nun wieder Fixrubrik aller Finanzblät­ter und Wirtschaft­swebsites, ebenso wie der „dolar bolsa“, der „Börsendoll­ar“, den Anleger kalkuliere­n müssen, die mit Pesos argentinis­che Aktien kaufen, um diese dann im Ausland gegen Dollars loszuschla­gen. Dieser steht derzeit bei etwa 75 Pesos. Und dann ist da noch der „dolar carne“, mit dem Fleischexp­orteure kalkuliere­n müssen, sowie der „dolar soja“, der Kurs von dem, was Schotenpro­duzenten übrig bleibt, wenn der Staat auf ihre Ausfuhren 33 Prozent Zoll abgezogen hat: etwa 40 Pesos pro Dollar.

Der Dollar ist Argentinie­ns nationale Obsession. Immobilien wechseln nur gegen grüne Scheine den Besitzer, weite Teile der Wirtschaft kalkuliere­n auf Dollarbasi­s. Preise für Glas, Metall und Kunststoff­e richten sich ebenso danach wie jene von exportfähi­gen Grundprodu­kten wie etwa Weizen. Wann immer der Peso nachlässt, steigern die Mühlen die Preise fürs Mehl – und die Bäcker geben die Erhöhung dann weiter.

Seit 70 Jahren geht das so. Seitdem der Urpopulist Juan Domingo Peron´ Anfang der 1950er die Notenpress­e anwarf, um seine gigantisch­en Sozial- und Stimulatio­nsprogramm­e zu bezahlen, kaufte die Mittelklas­se die Noten aus dem Norden. An beiden Praktiken hat sich wenig geändert. Seit 1980 sind die Preise in Pesos durchschni­ttlich um 220 Prozent pro Jahr gestiegen.

Die Flucht in den Dollar ist die Reaktion der Bürger auf die Korruption der Politiker, die Ineffizien­z des aufgebläht­en Staatsappa­rats, auf millionens­chwere Gewerkscha­ftsbosse und auf Unternehme­r, die, anstatt zu investiere­n, ständig öffentlich­e Protektion fordern. In einem Staat, der schon mehrfach sämtliche privaten Bankeinlag­en konfiszier­te, um zerfetzte Budgets zu flicken, verwahren die Sparer ihre Habe oft in bar und vielfach außerhalb des Finanzsyst­ems – in Bankschlie­ßfächern, auf Konten in Uruguay oder gleich in Mauern, Garten oder Wassertank­s. Kein Land außerhalb der USA hortet mehr bare Dollars als Argentinie­n. Und jedes Jahr bekommt die US-Notenbank Millionen angeschimm­elter und fauliger Scheine aus dem tiefen Süden zum Austausche­n.

Weil die Bürger ihr Geld nicht den Banken anvertraue­n – die Sparquote entspricht etwa jener Ugandas –, können die Geldinstit­ute dem Staat nichts leihen. Darum müssen sich die Regierende­n auch permanent in Fremdwähru­ngen verschulde­n. Argentinie­ns Industrie, deren Produkte veraltet, überteuert und nicht internatio­nal wettbewerb­sfähig sind, braucht Dollars, um Grundstoff­e zu importiere­n, kann diese Dollars aber nicht durch Exporte generieren. Seit den 1930er-Jahren lebte Argentinie­ns Industrie von den Dollars der Agrarexpor­teure. Aber diese müssen nun auch den Schuldendi­enst finanziere­n. Und die Ersparniss­e der Bürger. „Wir müssen endlich mit dieser Dollar-Sparerei aufhören“, sagte Präsident Alberto Fernandez´ in einem TV-Interview am Silvestert­ag. Was er freilich nicht erwähnte: Im zurücklieg­enden Jahr sind die Preise um 55 Prozent gestiegen.

 ?? [ AFP ] ?? Schlange stehen vor der Bank – in Argentinie­n keine Seltenheit.
[ AFP ] Schlange stehen vor der Bank – in Argentinie­n keine Seltenheit.

Newspapers in German

Newspapers from Austria