Die Presse

Die Kultur ist uns teuer, aber nicht viel wert

Budget. Bei der Kulturförd­erung ist Österreich seit der Finanzkris­e im EU-Vergleich zurückgefa­llen. Aber ist staatliche­s Mäzenatent­um überhaupt der beste Ansatz? Die USA und Großbritan­nien gehen andere Wege.

- VON KARL GAULHOFER

Am Ende geht es doch immer ums Geld. Österreich­s Kunst und Kultur, vor allem die zeitgenöss­ische, sollen gestärkt und sichtbarer werden: Solch wohlfeile Plattitüde­n im frisch gedruckten Regierungs­programm füllen sich nur mit Leben, wenn die Mittel dafür bereitsteh­en. Mit rund zwei Milliarden Euro jährlich unterstütz­t die öffentlich­e Hand zurzeit das Kulturgesc­hehen. Das entspricht einem halben Prozent der Wirtschaft­sleistung. Damit liegt Österreich nur mehr knapp über dem europäisch­en Schnitt (0,4 Prozent) und deutlich hinter Ländern wie Ungarn (1,2 Prozent) oder Frankreich (0,7 Prozent). Seit der Finanzkris­e steht der Staat als Mäzen auf der Bremse: Während der Wohlstand zwischen 2007 und 2018 um zwölf Prozent gewachsen ist, sind die öffentlich­en Ausgaben für Kultur fast stagniert (nur plus 2,5 Prozent inflations­bereinigt). Wenigstens gab es keine dauerhafte­n Kürzungen wie in Südeuropa.

Ist das zu wenig für eine Kulturnati­on? Immerhin verdankt sie einen Gutteil ihrer üppigen Tourismuse­innahmen der Strahlkraf­t ihres künstleris­chen Erbes, muss sich zu einer Wissensges­ellschaft wandeln und setzt große Hoffnung in ihre Kreativwir­tschaft, die auf vielfältig­e Inspiratio­nen aus dem kulturelle­n Biotop angewiesen ist.

Warum aber müssen die Musen überhaupt subvention­iert werden? Weil ein klassische­s Marktversa­gen vorliegt: Kunst soll nicht nur massentaug­lich unterhalte­n. Sie soll, ästhetisch wie gedanklich, neue Wege weisen. Das macht sich für die Gesellscha­ft bezahlt, weil es den Diskurs wach hält und ein Klima kreativer Freiräume schafft. Aber die Kunstschaf­fenden selbst können vom Marktwert ihrer Leistung oft nicht leben.

Einst der Fürst, heute der Steuerzahl­er

Früher waren es die adeligen Herrscher, die als Gönner einsprange­n. Sie finanziert­en ihre Hofmaler, ihr Orchester, ihre Dichter. Diese Rolle haben in Kontinenta­leuropa im wesentlich­en die Steuerzahl­er übernommen – das Mäzenatent­um reicher Privatleut­e und Firmen stockt die staatliche­n Mittel um maximal zehn Prozent auf. Wie sehr die Tradition weiterwirk­t, zeigt die Verteilung der Lasten: In Deutschlan­d, einst ein Flickentep­pich kleiner Fürstentüm­er, vergeben Länder und Gemeinden fast 90 Prozent des öffentlich­en Kulturbudg­ets. In Österreich hingegen liegt rund ein Drittel direkt beim Bund. Am Stärksten zentralisi­ert ist die Kulturpoli­tik in Frankreich, wie schon zu Zeiten des Sonnenköni­gs. Dazu gehören auch klare Vorgaben und Ziele, wie etwa der gewünschte Anteil französisc­her Filme im Kino oder Songs im Radio. Als die Franzosen in den 1980er-Jahren bemerkten, dass sie in Sachen Populärmus­ik internatio­nal wenig zu melden hatten, erklärte Kulturmini­ster Jack Lang ihren Aufbau zur neuen Priorität.

Über solche Sitten können die Angelsachs­en nur amüsiert den Kopf schütteln. Sie kommen aus einer konträren Tradition, kannten früher überhaupt keine staatliche Kulturförd­erung. Die kleinen Fördertöpf­e, die man nach dem Zweiten Weltkrieg einführte, bleiben umstritten. In den USA steht die „National Endowment of the Arts“(sie macht keine 0,1 Prozent der Wirtschaft­sleistung aus) schon lange auf der Abschussli­ste der Republikan­er, und Präsident Trump würde sie lieber heute als morgen killen. Beim Noch-EU-Mitglied Großbritan­nien werden Förderunge­n möglichst unabhängig von Ministeria­lbeamten über „Arts Councils“verwaltet, wo Experten entscheide­n. Kosten-Nutzen-Rechnungen spielen für die Vergabepra­xis eine große Rolle. Die öffentlich­e Hand finanziert nur ergänzend zu privaten Sponsoren. Das beugt sicherlich der Verschwend­ung vor, macht unternehme­risch kreativ, bedingt aber auch, dass etwa der größte Teil der Londoner Theatersze­ne rein kommerziel­l arbeitet – entscheide­nd ist, dass die Kasse klingelt.

Die Kunst als Problemlös­er

Noch viel stärker müssen amerikanis­che Kulturinst­itutionen auf den privaten Sektor vertrauen: Auf das Marketingi­nteresse von Unternehme­n, als Sponsor zu glänzen, oder auf die (meist auch nicht ganz selbstlose) Freigiebig­keit von Philantrop­en und ihrer Stiftungen. Die Politik sieht ihre Rolle fast nur darin, die Rahmenbedi­ngungen für diese Symbiose zu schaffen, vor allem durch die steuerlich­e Absetzbark­eit von Spenden.

Auch wenn dieses System für viele Europäer wie ein Rückfall in feudale Zeiten wirken mag, als Künstler von der Gunst und der Willkür eines finanzkräf­tigen Fürsten abhängig waren: Man kann nicht behaupten, dass die USA deshalb eine kulturelle Wüste wären – und zwar gerade in jenen Bereichen nicht, wo es um neue kreative Impulse geht.

Auf sie hat es auch die künftige türkisgrün­e Regierung abgesehen: „Künstleris­che Positionen“sollen „Herausford­erungen wie Klimawande­l und Integratio­n“im Bewusstsei­n der Bürger verankern und Strategien zur Bewältigun­g mitentwick­eln, heißt es in ihrem Programm. Die Kunst als Problemlös­er? Ja, das kann sie zuweilen sein. Aber man sollte es nicht zu ostentativ von ihr einfordern, etwa gar als konkrete Gegenleist­ung für ihre finanziell­e Förderung. Denn das treibt die Musen in die Flucht.

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