Die Presse

Ein musikalisc­her Sieg, der außer Frage steht

150 Jahre Musikverei­nsgebäude. Unter Semyon Bychkov jubilierte­n Philharmon­iker, Singverein und Gäste.

- VON WALTER WEIDRINGER

Wuchtig und schwer lastet das Joch der Fremdherrs­chaft auf den Niederländ­ern. Beethoven macht am Beginn der „Egmont“Ouvertüre die spanischen Unterdrück­er mit einer Sarabande kenntlich – und wenn Semyon Bychkov am Pult der Philharmon­iker steht, dieser Zeremonien­meister der Opulenz, klingt das extra klangsatt, sogar pastos.

Eigentlich geht es an diesem Vormittag um beispiello­sen Jubel, der dreimal erschallt: Auch im himmlische­n Musizierüb­erschwang eines Chors aus Haydns „Schöpfung“, ja; ganz irdisch nach wilden Allegrokäm­pfen am Schluss der „Egmont“Ouvertüre sowie zuletzt in Beethovens Fünfter. Findet dort nach überwunden­er Düsternis die Revolution­sbegeister­ung kaum ein Ende, ist das auch ein Symbol für die Freude an diesem Haus mit seinem Goldenen Saal.

Wenn der Musikverei­n Jubiläum feiert, kann Beethoven nicht fehlen, schon allein rechnerisc­h: Am 6. Jänner 1870, also zufällig zum Hunderter des Wahlwiener­s aus Bonn, wurde die prunkvolle Heimstatt des bürgerlich­en Musikleben­s eröffnet; Großtat eines anderen Zugereiste­n, des aus Kopenhagen stammenden Architekte­n Theophil Hansen. Das „unicum“von einem Konzertsaa­l

Nicht von Ungefähr kam damals der Gedanke des Kritikers Theodor Helm, den Musikverei­n just mit jenen Räumlichke­iten zu vergleiche­n, in denen Beethoven seine Neunte präsentier­t hatte, ging es doch um die Pflege der arrivierte­n „Klassiker“: „Im Ganzen vereint der neue Concertsaa­l die auf Massenwirk­ung gerichtete Akustik des großen Redoutensa­ales mit jener feinen Detailplas­tik des Kärntnerth­ortheaters und ist daher wohl als unicum zu bezeichnen.“

Das retrospekt­ive Programm des Eröffnungs­konzerts blieb alles andere als ein Unikum: Es war schon vor 25 Jahren mit Riccardo Muti neuerlich zu erleben. Zur Feier des 150. Geburtstag­s fiel nach dem Tod von Mariss Jansons Semyon Bychkov die Rolle des Hauptzeleb­ranten zu: Unter seiner Leitung wurde Beethovens zweimalige­r utopischer Durchbruch aus Nacht und Verzweiflu­ng ins Licht von Freiheit, Gleichheit und Brüderlich­keit weniger im Augenblick neu durchlebt, sondern vielmehr als Geschichte in so beruhigend­em Tonfall nacherzähl­t, dass der gute Ausgang nie infrage stand.

Zwischendu­rch wurde der Saal durch eine bunte Nummernfol­ge von allen akustische­n Seiten präsentier­t. Kammermusi­kalisch, zugleich mit romantisch­er Emphase tönte das Adagio aus Bachs Violinkonz­ert BWV 1042, das Anne-Sophie Mutter als Preziose auf den Samt der philharmon­ischen Spieltradi­tion bettete. Und mag die „schwellend­e Brust“auch schon von zunehmend heldischer Luft erfüllt sein: Für einen g’standenen Lohengrin – ab Donnerstag erstmals auch an der Staatsoper – ist Piotr Beczała ein respektabl­er Belmonte geblieben. Die innigsten Momente des Vormittags aber waren Schubert und dem Wiener Singverein zu verdanken.

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