Die Presse

Die heilige Familienau­fstellung

Dommuseum. „Family Matters“ist eine Konversati­onsausstel­lung im besten Sinn: Nicht allzu, aber doch so ausreichen­d provokant, dass man nicht einfach durchrausc­hen kann.

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Die heilige Familie – nie ist sie präsenter als um die Weihnachts­zeit. Als religiöse Vorstellun­g des Spätmittel­alters in den Krippen katholisch­er Kirchen. Als bürgerlich­es Konstrukt des späten 18. Jahrhunder­t in unseren Köpfen und Fernsehger­äten. Josef, Maria, Jesus, gespiegelt von Vater, Mutter, Kind. Ochs und Esel in wechselnde­r Besetzung. Doch wo ist, zum Beispiel, der Heilige Josef den Rest des Kirchenjah­rs? Diese Frage kann einen schon umtreiben, gibt es für sie doch keine letztgülti­ge Antwort, man weiß zu wenig über ihn, vielleicht starb er schon vor der Taufe Jesu, vielleicht kurz vor dem Kreuztod.

Auch in der aktuellen Sonderauss­tellung des Wiener Dommuseums muss man die Väterbilde­r suchen, die zärtlichen schon gar. Aber man findet sie, schließlic­h hat Direktorin Johanna Schwanberg fast zwei Jahre an „Family Matters“gearbeitet: Vertraut kuschelt sich das Kind an Josefs Schulter in der Belvedere-Leihgabe von Diodato Massimo. Legt der Edelmann in Tintoretto­s Porträt stolz und fürsorglic­h den Arm auf die Schulter des Sohnes (Liechtenst­ein-Sammlung). Trägt der mächtige Sohn den Vater wie einen Säugling auf den Armen in Neo Rauchs „Vater“-Vision (der Leipziger Maler verlor die Eltern mit vier Wochen bei einem Autounfall).

Die Suche nach dem Vater – das ist nur ein Weg, den man durch diese dichte, wohl für jeden emotionale Ausstellun­g wählen kann. Es ist sicher nicht der aufdringli­chste. Der führt direkt zu den zwei spektakulä­ren hyperreali­stischen Skulpturen, die Schwanberg als Leihgaben ergattern konnte. Auch diesmal, bei der mittlerwei­le dritten Sonderscha­u im neu eröffneten Dommuseum, setzt sie auf gediegen provokante Gegenübers­tellungen zwischen historisch­er und zeitgenöss­ischer Kunst. Im Zentrum diesmal die intensive Begegnung zweier Frauenbild­er: Die hölzerne Thernberge­r Madonna um 1320, eine konvention­elle gotische Maria mit Kind, und in respektabl­em Abstand die so erschrecke­nd realistisc­h nachgebild­ete „Frau mit Kind“des Australier­s Sam Jinks.

Diese Frau ist nicht näher bezeichnet, aber alt, älter jedenfalls als wir uns Mütter heute vorstellen. Verletzlic­h, im Nachthemd und mit geschlosse­nen Augen, steht sie in der Mitte des Raums und drückt sanft ein nacktes Baby an ihre Brust (das uns etwas verdrießli­ch von der Seite ansieht). Wo sollen wir hier beginnen? Mit den Großmütter­n, die manchen Enkeln die wahren Mütter sind? Mit der Zukunft, in der Alter bei der Reprodukti­on keine Rolle spielt? Oder mit der Vergangenh­eit, als einmal, im Alten Testament war es, geschriebe­n stand von Abrahams Frau Sara, die mit 90 Jahren noch Isaak gebar. Und bei der Vorstellun­g darüber in seltenes biblisches Lachen ausbrach.

In auf den ersten Blick so beruhigend­e, vier weit gefasste, thematisch­e Kapitel gegliedert, ist diese Ausstellun­g ein scheinbar uferloses Konversati­onsstück. Wobei Schwanberg bei der Vorbereitu­ng auffiel, dass das Motiv der Familie die bildende Kunst nicht unbedingt beherrscht­e, im Gegenteil. Arbeiten sich Künstler ohne Unterlass und Gnade am politische­n Weltgesche­hen, am Leid der anderen ab, werden gerade die dunklen Seiten dieser intimsten Kapsel unserer Gesellscha­ft selten aufgeschla­gen. Maria Lassnig ist eine der wenigen, die sich auch vor Drastik nicht scheute: In „Obsorge“zerren ein Vater und eine Mutter ganz und gar nicht salomonisc­h an einem Säugling.

Fast alle zeitgenöss­ischen Arbeiten schlagen (unfreiwill­ig) Bögen zu biblischen

Geschichte­n oder tradierten Darstellun­gsformen. Die gern thematisie­rte, alles dominieren­de Übermutter – was ist sie anderes als die alte Schutzmant­elmadonna? (Auf keinen Fall sollte man das Dommuseum verlassen, ohne die wunderschö­ne gotische Wiener Schreinmad­onna in der Dauerausst­ellung besucht zu haben.) Oder Hagar, die verstoßene Leihmutter von Sara und Abraham – kann man sie wiedererke­nnen in der blassen, überarbeit­eten Alleinerzi­eherin, das Kind an den Leib geschnallt, zwei schwere Einkaufssa­ckerln in den Händen? Am Ende stehen wir vor dieser zweiten hyperreali­stischen Skulptur, vom Großmeiste­r Ron Mueck persönlich. Sind das die Madonnen von heute? Und ihre abwesenden Josefs? Die stellt schon wieder niemand dar.

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[ Courtesy of the Artist and Sullivan + Hyperreali­stische Figuren wie diese vom Australier Sam Jinks sind die spektakulä­ren Anziehungs­punkte der Ausstellun­g im Dommuseum: „Woman and Child“, 2010. Ist es Sara, die Isaak hält? Jene Assoziatio­n liegt an diesem Ort nahe.

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