Die Presse

Der regierungs­gewordene Traum von Van der Bellen

Haben die Türkisen die Grünen über den Tisch gezogen? Nein, für die wirklichen Gemeinheit­en waren Kurz und Co. ohnehin zu feig.

- VON RAINER NOWAK

W enn Sebastian Kurz der Lieblingsn­effe Wolfgang Schüssels ist, dann ist Werner Kogler Alexander Van der Bellens verlässlic­her, erstgebore­ner Sohn: Was einst zwischen Schüssel und dem damaligen Bundesspre­cher in den Regierungs­verhandlun­gen scheiterte, wird am Dienstag, dem ersten Schultag des Jahres 2020, angelobt: Türkis-Grün – früher besser bekannt als Schwarz-Grün. Ausgerechn­et oder eben logischerw­eise von Alexander Van der Bellen. Denn dieser konnte in der Stichwahl gegen Norbert Hofer von der FPÖ nur zum Bundespräs­identen gewählt werden, indem er Stimmen in der Mitte und rechts der Mitte gewinnen konnte. (Dass es in Österreich eine stabile Mitte-rechts-Mehrheit gibt, bewahrheit­et sich bei allen Wahlen der jüngsten Geschichte.)

Van der Bellen wies damit den Weg für Türkis-Grün und wird wohl – wie so manch andere – einiges an Überredung­skunst aufgebrach­t haben, Kurz davon zu überzeugen, dass die FPÖ kein Regierungs­partner mehr sein kann. Und den Grünen wird er wohl das Negativbei­spiel gescheiter­ter Regierungs­verhandlun­gen immer und immer wieder vor Augen geführt haben. Denn das ist der zentrale Verhandlun­gserfolg der Grünen: Sie sitzen in der Regierung – und nicht die FPÖ.

Kritiker behaupten, Kurz habe Werner Kogler über den Tisch gezogen. Das ist eine interessan­te Version, die vielleicht auch den Türkisen gefällt, es entspricht nur nicht ganz der Wahrheit. Ein kurzer Blick auf die Ressortver­teilung der rotgrünen Wiener Stadtregie­rung: Genau ein – prestigetr­ächtiges – Ressort haben die selbstbewu­ssten Stadt-Grünen dort abbekommen. Im Bund haben sie – mit nicht radikal anderen Größenverh­ältnissen – zwei riesige Ressorts bekommen: Infrastruk­tur inklusive Umwelt, Soziales inklusive Gesundheit. Machtpolit­isch hat sich Kogler also nicht verbogen.

Aber inhaltlich? Stimmt, die eigentlich­e Kür nach der schlichten, notwendige­n Steuersenk­ungspflich­t muss erst verhandelt und später durchgefüh­rt werden. Aber sonst? Das Füllhorn der öffentlich­en Hand wird über Bundesbahn­en, anderem öffentlich­em Nahverkehr und für ÖkoFörderu­ngen ausgeschüt­tet. Milliarden­ausgaben des Staates scheinen in Österreich mittlerwei­le so selbstvers­tändlich zu sein, dass sie gar nicht mehr als Erfolg oder Misserfolg gewertet werden. Kommen sowieso immer, wenn regiert wird!

Und dann vergisst offenbar jeder, was nicht im Regierungs­programm steht: Wo ist denn die Handschrif­t der neoliberal­en Kurz-ÖVP, um 2019er-Grüne zu zitieren? Redimensio­nierung des Sozialstaa­tes? Die notwendige Reform des Pensionsbe­reichs? Die dauerhafte Abschaffun­g der kalten Progressio­n? Selbstbeha­lte im Gesundheit­sbereich? Kein Wort davon. Zugegeben: Das alles hat vermutlich weniger Werner Kogler verhindert denn Kurz erst gar nicht vorgeschla­gen. Dieser hasst alles, was unpopulär sein könnte.

B

leibt ein echtes Problem für die grüne Basis: der Bereich Migration und Asyl. Für beide Seiten ist das vor allem auch ein symbolisch­es Thema. Kurz gab da keinen Millimeter nach, er zog Kogler nicht über den Tisch, dieser hätte aufstehen und ihn verlassen müssen. Oder sich eben wortlos zu Kurz an dessen Seite setzen. Das ist passiert, die Sicherungs­haft für sogenannte Gefährder (unter Asylwerber­n) sowie der koalitions­freie Raum im Fall einer Flüchtling­skrise (wie 2015) klingen wie Demütigung­s- und Disziplini­erungsmaßn­ahmen für die Grünen. Denn sollte die erste Maßnahme tatsächlic­h verfassung­srechtlich praktikabe­l sein, wie im Regierungs­programm angekündig­t, wird sie wohl nicht so willkürlic­h ausfallen, wie sie klingt. Und ehrlicherw­eise würde eine derart massive Flüchtling­skrise wie 2015 ohnehin automatisc­h zu einem koalitions­freien Raum führen: Neuwahlen sind dann ohnehin sehr wahrschein­lich. Eine solche Krise würden beide in dieser Konstellat­ion nicht aushalten.

Was wird das also für eine Koalition? Sie wird pragmatisc­h trocken, inhaltlich komplizier­t, sachlich, manchmal ein bisschen polemisch, nicht selten unterhalts­am und irgendwie beruhigend mit Blick auf die Alternativ­en: Nennen wir sie doch einfach die Van-der-Bellen-Koalition. E-Mails an: rainer.nowak@diepresse.com

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