Die Presse

Ausländisc­he Machtspiel­e vertiefen Iraks Spaltung

Pulverfass. Schiiten wollen die US-Truppen aus dem Irak verbannen, Kurden wollen sie da behalten. Das Land droht erneut zum Schlachtfe­ld radikaler Gruppen zu werden.

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ordnete trafen eine radikale Entscheidu­ng über die Zukunft des gesamten Irak unter emotionale­m Einfluss“, ließ sich ein hochrangig­er Politiker anonym zitieren. Es gebe eine ganze Reihe von Verletzung­en der irakischen Souveränit­ät, und man sollte sie alle stoppen, nicht nur die einer einzigen Partei, fügte er hinzu – eine unverhohle­ne Anspielung auf die iranische Dominanz.

So sehen das auch Hunderttau­sende Schiiten, die den Irak seit Oktober mit ihren Massenprot­esten erschütter­n. Sie fordern eine fundamenta­le Reform des demokratis­chen Systems, die Abdankung der bisherigen politische­n Klasse und das Ende der iranischen Bevormundu­ng. 470 Menschen wurden bisher getötet und über 20.000 verletzt, vor allem durch Iran-treue Paramilitä­rs.

Teherans Einfluss in Bagdad stützt sich vor allem auf proiranisc­he Parteien sowie auf die 2014 für den Kampf gegen den Islamische­n Staat gegründete­n Volksmobil­isierungse­inheiten. Diese gut bewaffnete­n Brigaden bilden mittlerwei­le einen Staat im Staat. Sie entziehen sich der Autorität der irakischen Regierung, unterlaufe­n alle Reformanst­rengungen bei den Sicherheit­skräften und sind für zahlreiche politische Morde und Entführung­en verantwort­lich.

Ihr starker Mann war Abu Mahdi al-Muhandis, der zusammen mit Soleimani getötet wurde. Auf das Konto seiner KataibHizb­ullah-Miliz gehen die meisten Anschläge seit Mitte 2019, die an Silvester im Sturm auf die US-Botschaft in Bagdad gipfelten.

Ein Ende der ausländisc­hen Anti-ISOperatio­nen, so befürchten nicht zuletzt die kurdischen Peschmerga, könnte ein Wiedererst­arken der Terrormili­z auslösen. Nach Schätzunge­n des Pentagon hat der IS in Syrien und im Irak immer noch rund 18.000 Jihadisten unter Waffen, darunter 3000 Ausländer. Kidnapping­s, falsche Straßenspe­rren und Bombenansc­hläge gehören wieder zum Alltag. Dutzende lokale Politiker und Stammesfüh­rer wurden ermordet.

Ohne internatio­nale Unterstütz­ung wären Kurden und irakische Armee im Kampf gegen den IS künftig vor allem auf die proiranisc­hen Milizen angewiesen. Und das könnte den Irak erneut zum Schlachtfe­ld zwischen sunnitisch­en Gotteskrie­gern und schiitisch­en Radikalen machen.

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Von unserem Korrespond­enten MARTIN GEHLEN
[ AFP] kam es zur Massenpani­k, Dutzende wurden dabei getötet und Hunderte weitere verletzt. Von unserem Korrespond­enten MARTIN GEHLEN

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