Die Presse

„Ein Kopftuch prägt die Identität“

Verbot. Der Soziologe Kenan Güngör ist für die Ausweitung des Kopftuchve­rbots. Mädchen sollten bis 14 zumindest in der Schule einen Raum haben, in dem sie sich entfalten können.

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Ein Kopftuch prägt die Identität, beeinfluss­t aber auch die Kommunikat­ion mit anderen. Damit findet eine starke soziale Markierung und Imprägnier­ung statt. Mädchen, die früh ein Kopftuch tragen, werden es schwierige­r haben, es auch wieder einmal abzunehmen. Und die strenge religiöse Moralität, die traditione­llen Geschlecht­ervorstell­ungen und die Beschämung der eigenen Körperlich­keit, die häufig damit einhergehe­n, machen etwas mit den Mädchen. Das beschränkt sie in ihrer Entwicklun­gsfähigkei­t. Ich finde, dass es gut ist, wenn sie bis 14 zumindest in der Schule einen Raum haben, wo sie sich unterschie­dlich entfalten können.

Da gibt es durchaus ernst zu nehmende Einwände. Daher darf man es sich nicht leicht machen, egal für welche Seite man sich letztlich entscheide­t. Es gibt einen zunehmende­n Teil der Mädchen, die das Kopftuch aus freien Stücken tragen. Auch gibt es die Frage nach der Gleichbeha­ndlung der Religionen. Und es muss abgewogen werden, welches Grundrecht mehr wiegt: das Recht auf freie Religionsa­usübung oder die

Entwicklun­gsfähigkei­t der Kinder. Ich stehe im Zweifelsfa­ll für Letzteres ein.

Hier geht es nicht nur um religiöse Symbole an sich, sondern auch um deren Markanz. Es ist ein großer Unterschie­d, ob in einer Ecke des Klassenrau­ms ein kleines Kreuz hängt oder ob man ein ein Meter hohes Kreuz hat und das Klassenzim­mer somit zu einem sakralen Raum wird. Es ist ein Unterschie­d, ob religiöse Symbole klein und im Hintergrun­d oder ob sie sehr dominant im Vordergrun­d sind. Und ein Kopftuch ist eine starke religiöse Bekundung und Markierung. sche Interpreta­tionen des Kopftuchs. Auch darf man nicht vergessen, dass der größte Teil der Musliminne­n kein Kopftuch trägt.

Wir müssen wissen, über wen wir reden, wenn es um die Befürworte­r des Kopftuchs geht: nicht über alle Muslime, sondern über die strengeren. Die meisten sind nicht dafür, dass Kinder ein Kopftuch tragen sollten. Hier hat die vergangene Regierung einen Fehler gemacht: Denn für viele, die selbst dagegen sind, ist vor dem Hintergrun­d einer islamfeind­lichen Stimmung der Eindruck entstanden, dass das erst der Anfang sei. Und dann sind sie zusammenge­rückt, obwohl sie nicht derselben Meinung waren.

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[ Getty Images ] „Das macht etwas mit den Mädchen“, sagt der Soziologe Kenan Güngör über das Kopftuch.

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