Die Presse

Die Reiseroute am Teller

Peace Kitchen. Der Afghane Ehsan Bamyani betreibt mit seiner Familie in Wien Margareten ein Lokal, das die Menschen zusammenbr­ingen will.

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Ornamente leuchten farbenfroh von den Wänden, von der Decke hängen orientalis­che Lampen, die Tischtüche­r sind so bunt gemustert wie das Geschirr: Die Ausrichtun­g des Restaurant­s, das Ehsan Bamyani vor wenigen Monaten in der Pilgramgas­se in Wien Margareten aufgesperr­t hat – in einem Souterrain, in dem sich zuvor eine Pizzeria befand –, ist unverkennb­ar. Gleichzeit­ig ist es mehr als bloß noch ein orientalis­ches Lokal in Wien. Die Peace Kitchen soll Menschen zusammenbr­ingen.

Doch von vorne: Bamyani hat eigentlich Film studiert, in Afghanista­n hat der 42-Jährige nach dem Fall des Taliban-Regimes fürs Fernsehen gearbeitet, eine Filmproduk­tion gegründet und eine Rundfunkst­ation aufgebaut. Nach Konflikten um einen Film suchte er vor rund zehn Jahren als Flüchtling in Italien um Asyl an, während seine Frau, Nadia, mit Sohn Atila in Österreich landete. Bis auch Bamyani in Österreich dauerhaft mit der Familie vereint war, dauerte es Jahre. „Aber das ist Vergangenh­eit“, sagt er und lächelt.

Nachdem er schon in Italien und später auch in Österreich interkultu­relle Veranstalt­ungen organisier­t hatte – Fotoausste­llungen und Konzerte, runde Tische und Fußballtur­niere – setzt Bamyani in Wien nun eine Idee um, die er schon länger im Kopf hatte: die Friedenskü­che, in der es auch Vorträge, Ausstellun­gen und Musik gibt. Mit an Bord: sein Sohn, der inzwischen 19-jährige HAK-Schüler Atila, und seine Ehefrau, Nadia, die sich gemeinsam mit zwei weiteren afghanisch­en Köchinnen um das Essen kümmert.

Die Speisekart­e ist dabei eine Art Geschmacks­reise: Das Ergebnis all der kulinarisc­hen Erfahrunge­n, die die Geflüchtet­en auf ihrem Weg nach Europa gemacht haben. „Wir als Restaurant präsentier­en diese Reiseroute, die ein Flüchtling bis nach Österreich hat, die Stationen, die er durchläuft, die Länder“, sagt Bamyani. Flüchtling­e würden an den meisten Orten einige Monate oder sogar Jahre bleiben. „Und in dieser Zeit kochen sie, lernen sie – und das alles bringen sie mit hierher.“

Jeder Afghane müsse am Weg nach Europa durch Pakistan durch, wo man Biryani kocht. Im Iran koche man Gormeh Sabzi, in den folgenden Ländern wieder andere Speisen. Diese Gerichte und andere, die für jedes Land typisch sind, kann man in der Peace Kitchen auf einem Teller kombiniere­n: einen Reis aus Syrien, einen Eintopf aus Afghanista­n, ein Gemüsegeri­cht aus dem Iran, dazu niederöste­rreichisch­en Wein oder Villacher Bier („ein sehr, sehr gutes Bier“), vielleicht noch einen italienisc­hen Grappa zum Abschluss. „Das hat für uns symbolisch Sinn“, sagt Bamyani. „Wenn wir verschiede­ne Gerichte zusammenbr­ingen können, können wir Kulturen zusammenbr­ingen, können wir Leute zusammenbr­ingen. Dann wird etwas passieren.“

Sein Lokal soll ein Beitrag zu einem interkultu­rellen Dialog zwischen Flüchtling­en und der österreich­ischen Gesellscha­ft sein, meint Bamyani. „Tausende von uns sind nach 2015 jetzt hier – und wir müssen miteinande­r leben, ob wir das wollen oder nicht. Für mich war immer wichtig, wie wir alle zusammen in Frieden leben können.“Noch wichtiger sei das für die Kinder – er selbst hat neben seinem Sohn Atila noch Aydin (7) und Anita (2), die beide schon in Österreich geboren sind.

„Wir können als Peace Kitchen natürlich nicht alles ändern, aber wir müssen an irgendeine­m Ort beginnen“, sagt Bamyani. „Und ich habe mir gedacht, in einem Lokal mit Essen und Musik, in dem danach vielleicht auch getanzt wird, können wir viele Leute zusammenbr­ingen. Sie kommen für das Essen und für die Musik – und dann passiert am Ende der Dialog.“

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