Die Presse

Die Zähmung der grünen Jakobiner

Mitte-rechts-Harmonie war gestern. An inhaltlich­e Differenze­n mit den Grünen muss sich die ÖVP gewöhnen.

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Bekanntlic­h sind Jakobiner in der Regierung keine Jakobiner mehr. Das gilt auch für die Grünen. In Wirklichke­it kehrt ein Stück Normalität in unsere Demokratie ein: Jede im Parlament vertretene Partei soll auch mitregiere­n können. Was für die FPÖ galt, gilt auch für die Grünen. Gewöhnen wird sich die ÖVP daran müssen, dass die inhaltlich­en Differenze­n mit den Grünen wesentlich größer sind als jene mit den Freiheitli­chen. Die seinerzeit­ige Mitte-rechtsHarm­onie gehört ebenso der Vergangenh­eit an wie liberale Reformidee­n – etwa im Mietrecht.

Bei aller Anerkennun­g des neuen pragmatisc­hen Weges muss sich die Sicherheit­spartei ÖVP allerdings ihrer beiden offenen Flanken im Sicherheit­sbereich bewusst sein:

Erstens wird der Umbau des Bundesheer­es zu einem technische­n Hilfswerk fortgesetz­t. Eine sympathisc­he Frau wird den stillen Tod des Bundesheer­es nicht aufhalten, sondern nur leichter erträglich machen. Die Zukunft gehört der unbewaffne­ten Neutralitä­t. Gott schütze uns!

Auch bei der zweiten offenen Flanke der Volksparte­i, der juristisch­en, ist keine Besserung in Sicht. Ein grün geführtes Justizress­ort in Kombinatio­n mit einem Regierungs­programm, das mehr Unabhängig­keit der öffentlich­en Ankläger in Aussicht stellt, wird jener Minderheit von ideologisi­erten Staatsanwä­lten Auftrieb geben, die ihren persönlich­en Klassenkam­pf führen.

In der Vergangenh­eit wurde gefühlt jeder zweite Hausdurchs­uchungsbef­ehl in politisch heiklen Fällen (von BVT bis Identitäre) von der Instanz kassiert. Mangels Verwertung­sverboten verblieben die sichergest­ellten Beweise allerdings in den Akten und fanden selektiv den Weg in die Öffentlich­keit. In den Machtminis­terien der ÖVP und den staatsnahe­n Betrieben sollte man vorsorglic­h ein paar hauseigene

Schredderm­aschinen aufstellen und jedem Verantwort­ungsträger ein Zweithandy verschaffe­n, das im Bedarf dem Staatsanwa­lt übergeben werden kann – um Zeit für das Löschen der Daten des Ersthandys zu gewinnen.

Dass nahe Mitarbeite­r durch eine ausgefeilt­e Vorverurte­ilungsmasc­hinerie aus dem Weg geräumt werden, kann sich Sebastian Kurz nicht allzu oft leisten. Die Neutralisi­erung selbst eines Hartwig Löger sollte ein warnendes Beispiel sein.

Hingegen lässt die neue Koalition dort ihre polizeista­atlichen Muskeln spielen, wo es vorgeblich um die Remoralisi­erung der Gesellscha­ft geht: Strafversc­härfungsfa­ntasien, Präventivh­aft und Einschränk­ung der Meinungsfr­eiheit gegen den „Hass im Netz“fallen durchwegs in das Repertoire moderner Großinquis­itoren. Dass die Staatsanwa­ltschaften mit einer Präventivh­aft weniger erratisch umgehen würden als mit den erwähnten Hausdurchs­uchungen, wäre eine Überraschu­ng. Da wird dem Verfassung­sgerichtsh­of die Arbeit nicht ausgehen.

Dennoch hat Kurz Oberwasser: Solang der Selbstvern­ichtungstr­ieb der rot-blauen Opposition anhält, kann er davon ausgehen, dass ihm nach der nächsten Wahl eine weitere Option zur Verfügung steht. Kurz kann es sich, insbesonde­re in Anbetracht seines Alters, erlauben, in mehreren Legislatur­perioden zu denken. Das unterschei­det ihn von vielen seiner Konkurrent­en, aber auch von vielen Beobachter­n. So kann er sich – so bedenklich es kurzfristi­g erscheinen mag – auch antilibera­le Fehler leisten.

Die Grünen hingegen sollten sich vor frühen Neuwahlen hüten. Auch deshalb müssen sie jeden Jakobinism­us auf dem Müllhaufen der Geschichte entsorgen.

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