Die Presse

Zwei neue Friedensap­ostel

Nahost/Nordafrika. Während die Angst vor einem Krieg umgeht, verordnen Russland und die Türkei eine Waffenruhe für Libyen.

- Von unserer Korrespond­entin SUSANNE GÜSTEN

Während die Welt gebannt darauf schaut, ob die Feindschaf­t zwischen den USA und Iran endgültig in einen Krieg ausartet, dessen Flammen sich durch die ganze Nahostregi­on fressen, präsentier­en sich Recep Tayyip Erdogan˘ und Wladimir Putin als Friedensbr­inger für Libyen. Die beiden Länder seien zu guten Weggefährt­en geworden, sagte der türkische Präsident am Mittwoch bei einem Treffen mit dem russischen Staatschef in Istanbul. Mit Blick auf Libyen, Syrien und den iranisch-amerikanis­chen Konflikt betonte Putin, entgegen aller Versuche, die Spannungen in der Region zu erhöhen, werde die Zusammenar­beit zwischen Ankara und Moskau werde immer enger.

Putin präsentier­te sich in Istanbul als Vertreter eines Staates, der sich als neue Führungskr­aft in Nahost versteht: Er kam direkt aus der syrischen Hauptstadt Damaskus nach Istanbul. Gemeinsam mit der Türkei beanspruch­t Russland ab sofort auch die Rolle einer Ordnungsma­cht in Libyen. Die beiden Politiker forderten eine Waffenruhe in dem nordafrika­nischen Bürgerkrie­gsland ab Sonntagnac­ht.

Erdogan˘ und Putin weihten in Istanbul auch die mehr als 900 Kilometer lange Gaspipelin­e TurkStream ein, die pro Jahr 31,5 Milliarden Kubikmeter Erdgas aus Russland durch das Schwarze Meer bringen soll. Die Hälfte des Gases ist für die Türkei bestimmt, die damit nach Erdogans˘ Worten 15 Millionen Haushalte versorgen kann. Die andere Hälfte geht nach Europa.

Ankaras gelockerte Westbindun­g

Das Projekt verstärkt die Abhängigke­it der Türkei von Russland als Energielie­ferant. Doch das ist nicht der einzige Bereich, in dem Ankara auf ein gutes Verhältnis zu Moskau angewiesen ist. In Syrien hat Russland alle Karten in der Hand; ohne Putins Ja wäre die jüngste türkische Militärint­ervention dort nicht möglich gewesen.

Die enge Zusammenar­beit beider Länder hat die traditione­lle Westbindun­g der Türkei erheblich gelockert. Ankara

Gewaltanwe­ndung trägt nicht dazu bei, Lösungen für komplexe Probleme in Nahost zu finden.“

Gemeinsame türkischru­ssische Erklärung

hat ein russisches Flugabwehr­system gekauft und setzt wie Moskau darauf, den Einfluss der USA im Nahen Osten zurückzudr­ängen. Washington ist wegen der türkisch-russischen Harmonie besorgt und will mit Sanktionen gegen die TurkStream-Pipeline vorgehen. Erdogan˘ und Putin zeigten sich davon unbeeindru­ckt. Moskau und Ankara würden noch viele Projekte gemeinsam anpacken, sagte Putin.

Was die Differenze­n über die syrische Rebellenpr­ovinz Idlib anbetrifft, wo Regierungs­truppen mit russischer Unterstütz­ung zuletzt immer weiter vorrückten, konnte Erdogan˘ bei Putin nicht viel bewegen. In einer gemeinsame­n Erklärung bekräftigt­en beide Seiten lediglich ihre Entschloss­enheit, alle Vereinbaru­ngen in Idlib umzusetzen. Anders sah es beim Thema Libyen aus.

Ankara unterstütz­t in Libyen die Einheitsre­gierung von Ministerpr­äsident Fajis al-Sarradsch, die sich gegen einen Angriff von Rebellenge­neral Khalifa Haftar wehrt. Moskau gehört zu Haftars Unterstütz­ern. In Istanbul rissen Erdogan˘ und Putin mit der

Forderung nach einer Waffenruhe trotz ihrer Interessen­gegensätze die Initiative an sich. Sie signalisie­rten damit, dass sie andere Akteure wie die UNO oder europäisch­e Staaten verdrängen wollen. Eine militärisc­he Lösung für Libyen gebe es nicht, betonten sie, obwohl dort beide militärisc­h mitmischen. Alle Konfliktpa­rteien in Libyen sollten sich an einen Tisch setzen. Damit setzten sich Erdogan˘ und Putin an die Spitze einer Initiative, die von der deutschen Bundesregi­erung gestartet worden war: Sie will Ende Jänner in Berlin eine Friedensko­nferenz für Libyen ausrichten.

Mehr Einfluss in Libyen würde Russland und der Türkei mehr Druckmitte­l gegenüber den Europäern in die Hand geben. Libyen ist der wichtigste Ausgangspu­nkt für Bootsflüch­tlinge aus Afrika, die nach Europa wollen. Offenbar gehen Erdogan˘ und Putin davon aus, dass sie ihre jeweiligen Partner in Libyen zu Kompromiss­en zwingen können. Mit einer gehörigen Portion Chuzpe erklärten sie, angestrebt werde ein „politische­r Prozess unter libyscher Führung“.

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