Die Presse

„War Geisel Japans“

Affäre Ghosn. Der Ex-Chef von Renault-Nissan, Carlos Ghosn, trat erstmals seit seiner Flucht in den Libanon öffentlich auf. Er kritisiert vor allem die Behandlung durch Japans Behörden.

- (jaz/Bloomberg)

Der Ex-Chef von Renault-Nissan, Carlos Ghosn, trat erstmals seit seiner Flucht aus Japan öffentlich auf.

Es war die erwartete heftige Abrechnung mit Japan und dem japanische­n Justizsyst­em, als der ehemalige Renault-Nissan-Chef Carlos Ghosn am Mittwoch in Beirut vor die Öffentlich­keit trat. Wie mehrfach berichtet, floh der im November 2018 überrasche­nd in Japan festgenomm­ene Ex-Topmanager am 30. Dezember des Vorjahres spektakulä­r aus Japan und setzte sich in sein Herkunftsl­and Libanon ab. Ihm wird von Japan vorgeworfe­n, Firmengeld­er von Nissan veruntreut und seine Einkünfte auch gegenüber der japanische­n Steuer zu gering angegeben zu haben.

Ghosn bestreitet sämtliche Vorwürfe und bekräftigt­e am Mittwoch neuerdings, dass er unschuldig sei. „Diese Vorwürfe sind unwahr, und ich hätte deswegen nie verhaftet worden sein sollen“, so der Inhaber der libanesisc­hen, französisc­hen und brasiliani­schen Staatsbürg­erschaft. „Meine unvorstell­bare Tortur der vergangene­n 14 Monate war das Ergebnis einer orchestrie­rten Kampagne, die von einer Handvoll skrupellos­er Individuen bei Nissan und mit Unterstütz­ung der japanische­n Staatsanwa­ltschaft betrieben wurde“, so Ghosn weiter.

Konkret würden der ehemalige Vorstandsv­orsitzende von Nissan, Hiroto Saikawa, sowie die beiden hochrangig­en Nissan-Manager Hitoshi Kawaguchi und Masakazu Toyoda hinter der Intrige gegen ihn stecken. Saikawa wurde Ghosns Nachfolger an der Spitze des japanische­n Autoherste­llers, musste jedoch nach weniger als einem Jahr seinen Platz räumen, da es rund um ihn ebenfalls einen Skandal wegen überzogene­r Zahlungen durch Nissan gab.

„Brutal aus Welt gerissen“

Laut Ghosn hätten der Autokonzer­n und seine Anwälte sowie die Tokioter Staatsanwa­ltschaft in den vergangene­n 14 Monaten falsche Informatio­nen über ihn bekannt gegeben und andere wichtige Informatio­nen – die ihn entlasten würden – zurückgeha­lten. „Ich habe mich wie eine Geisel des

Landes gefühlt, dem ich für 17 Jahre gedient habe“, so Ghosn. „Ich wurde brutal aus meiner Welt gerissen. Ich wurde von meiner Familie, meinen Freunden und von Renault, Nissan und Mitsubishi ferngehalt­en.“

Besonders das japanische Justizsyst­em kommt in der Beurteilun­g durch Ghosn nicht gut weg. Es sei auch der maßgeblich­e Grund für seine Flucht gewesen, da er in Japan kein faires Verfahren zu erwarten hatte. „Ich stand einem System gegenüber, in dem die Verurteilu­ngsrate bei 99,4 Prozent liegt und diese Zahl bei Ausländern noch höher ist.“

Durch den Fall fällt nun auch zunehmend internatio­nale Aufmerksam­keit auf die japanische Justiz, bei der es etwa erlaubt ist, dass Staatsanwä­lte Verdächtig­e wiederholt ohne Beisein ihrer Anwälte befragen. Westliche Menschenre­chtsorgani­sationen kritisiere­n schon seit Längerem, dass es in Japan häufig zu Fällen von erzwungene­n Geständnis­sen komme.

Ghosn kritisiert­e am Mittwoch zudem, dass ihm von der japanische­n Justiz auch nach seiner Entlassung in den Hausarrest der Kontakt zu seiner Frau, Carole, de facto verboten wurde. Dass gegen sie am Dienstag nun ebenfalls ein Haftbefehl wegen Falschauss­age ausgestell­t wurde, ist laut dem Franko-Libanesen ein weiterer Beweis für die Unfairness der japanische­n Justiz, die nun versuche, ihn einzuschüc­htern.

Nissan: Beweise gegen Ghosn

Aber auch die Gegenseite ging nun in die Offensive. Nissan erklärte, dass aufgrund der internen Untersuchu­ng nun „unbestreit­bare Beweise“für ein mehrmalige­s Fehlverhal­ten von Ghosn gefunden wurden. Gleichzeit­ig erklärte der japanische Justizmini­ster, dass das Land einen Weg finden will, um Ghosn aus dem Libanon herauszube­kommen. Wie diese Möglichkei­t aussehen könnte, ist offen. Denn das nahöstlich­e Land hat kein Auslieferu­ngsabkomme­n mit Japan.

 ?? [ APA/AFP/Joseph Eid ] ?? Ex-Nissan-Chef Carlos Ghosn will nicht über seine Flucht sprechen, sondern vielmehr seine „Ehre wiederhers­tellen“.
[ APA/AFP/Joseph Eid ] Ex-Nissan-Chef Carlos Ghosn will nicht über seine Flucht sprechen, sondern vielmehr seine „Ehre wiederhers­tellen“.

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