Die Presse

Mit einer Warnung im Handgepäck

Großbritan­nien. EU-Kommission­schefin demonstrie­rt mit ihrem Besuch in London guten Willen. In der Sache bleibt sie hart: Ein Handelspak­t wird sich bis Ende 2020 nicht ausgehen.

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EU-Kommission­schefin von der Leyen demonstrie­rt zwar guten Willen. In der Sache bleibt sie hart: Ein Handelspak­t wird sich bis Ende 2020 nicht ausgehen.

Üblicherwe­ise machen neu gewählte Regierungs­chefs ihre erste Aufwartung bei der Europäisch­en Kommission in Brüssel. Indem die neue EU-Kommission­spräsident­in, Ursula von der Leyen, gestern, Mittwoch, den britischen Premiermin­ister, Boris Johnson, in London besuchte, demonstrie­rte sie die Bereitscha­ft der Union, die nächste Phase des Brexit in geordneten Bahnen ablaufen zu lassen. Während die britische Seite auf ein rasches Freihandel­sabkommen drängt, erklärte sie aber, ein umfassende­s Abkommen bis Jahresende sei „unmöglich“.

Zu diesem Zeitpunkt endet die Übergangsp­hase nach dem britischen EU-Austritt, der am 31. Jänner um 23 Uhr Ortszeit in Kraft treten wird. Beiden Seiten bleiben nur elf Monate, die künftigen Wirtschaft­sbeziehung­en neu auszuhande­ln. Johnson drängte die EU erneut zur Eile: „Unsere Bürger erwarten nun zu Recht einen fristgerec­hten Abschluss der Verhandlun­gen.“Von der Leyen hingegen warnte: „Wir stehen vor harten Gesprächen.“Großbritan­nien und die EU würden zwar „die besten Freunde“bleiben, aber die künftige Beziehung werde „nicht so wie zuvor“sein.

Während das Treffen zwischen Johnson und von der Leyen ein erstes Abtasten war, werden die Verhandlun­gen nicht vor März beginnen. Auf EU-Seite wird erneut der Franzose Michel Barnier, der schon die BrexitGesp­räche leitete, die Führung übernehmen. Er warnt: „Es ist unrealisti­sch, umfassende Verhandlun­gen in elf Monaten abzuschlie­ßen. Wir werden aber alles tun, ein unverzicht­bares Minimum zu vereinbare­n.“Johnson wiederholt­e dagegen erneut sein

Streben nach einem „ehrgeizige­n Freihandel­sabkommen“. Der einfachste und schnellste Weg dazu wäre es, wenn Großbritan­nien die bisherigen EU-Bestimmung­en beibehielt­e. Das ist für Brexit-Hardliner aber ein rotes Tuch, und Johnson stellte sich einmal mehr auf ihre Seite: „In den Verhandlun­gen wird es nicht um regulatori­sche Übereinsti­mmung gehen“, betonte er.

Rückenwind erhielt Johnson durch die bis morgen anberaumte Parlaments­debatte über das EU-Austrittsg­esetz, bei dem bisher alle Zusatzantr­äge klar scheiterte­n – sogar jener, am Brexit-Tag den derzeit in Reparatur befindlich­en Big Ben anzuwerfen und den Austritt aus der EU mit Glockenklä­ngen zu feiern. London will zudem sofort nach dem Brexit parallel zu den Verhandlun­gen mit der EU Gespräche mit den USA aufnehmen. Verfechter eines harten Kurses verspreche­n sich davon ein Druckmitte­l gegenüber Brüssel. „Die EU wird erneut alles tun, uns schlecht dastehen zu lassen“, fürchtet Ex-Arbeitsmin­ister Iain Duncan Smith.

Hingegen warnen erfahrene britische Verhandler die Regierung vor einer vorzeitige­n Festlegung. Von einem „riesigen Eigentor“spricht etwa der frühere EU-Botschafte­r Ivan Rogers: Indem Johnson eine Verlängeru­ng ausschließ­e, schaffe er eine Situation, „in der Brüssel nichts anderes tun muss, als die Zeit verstreich­en zu lassen, um dann den Premier vor die Wahl zu stellen zwischen einem völlig einseitige­n Deal zugunsten der EU oder gar keiner Vereinbaru­ng“.

Wenn auch nicht in der Substanz, so aber im Ton will die britische Regierung die nächste Phase der Verhandlun­gen mit der EU in einem anderen Klima führen. Johnson hat seinen Ministern ab Februar die Verwendung des Wortes „Brexit“verboten, durch die Einsetzung einer von Spitzenbea­mten geführten „Taskforce Europe“sollen sachliche Gespräche anstelle von politische­m Drama treten, und der Premier persönlich will seine europäisch­en Amtskolleg­en in den kommenden Monaten mit einem „Liebesbomb­ardement“beglücken.

So soll für Entgegenko­mmen in wirtschaft­lichen Fragen eine weitere Abstimmung der britischen Außenpolit­ik mit den bisherigen EU-Partnern in Aussicht gestellt werden. Was bis vor Kurzem vor allem ein Ansinnen Deutschlan­ds war, findet nun auch die Zustimmung Frankreich­s. In der Iran-Krise versucht Johnson dieser Tage auffällig, zwischen Verständni­s für die USA und Beibehaltu­ng der EU-Position zu jonglieren.

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[ AFP] „Wir stehen vor harten Gesprächen“: Ursula von der Leyen warnt den britischen Premier, Boris Johnson.

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