Die Presse

Morgen ist ein neuer Tag

Literatur. „Vom Winde verweht“bleibt trotz Verzicht aufs N-Wort politisch unkorrekt – was sonst? Über die Neuüberset­zung eines der erfolgreic­hsten Schmökers aller Zeiten.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON

„Vom Wind verweht“heißt die neue Übersetzun­g eines der erfolgreic­hsten Bestseller des 20. Jahrhunder­ts. Auch nach 80 Jahren kann man den Schmöker noch verschling­en.

Was ist das zweitbelie­bteste Buch der Amerikaner nach der Bibel? „Gone With the Wind“, gleich zwei Umfragen der letzten Jahre zufolge. In den USA ist eben nicht nur der Film mit Vivien Leigh und Clark Gable bis heute legendär. Bei uns hingegen ist ziemlich vergessen, dass der unglaublic­he Erfolg von „Vom Winde verweht“auch ein literarisc­her war: Margaret Mitchells 1936 erschienen­es Südstaaten-Bürgerkrie­gsepos wurde einer der größten Bestseller des 20. Jahrhunder­ts. Es ist mehr als nur ein Roman, es ist ein Kulturphän­omen, das Liat Himmelhebe­r und Andreas Nohl mit einer frischen Neuüberset­zung („Vom Wind

(sic!) verweht“, Kunstmann Verlag) wieder zugänglich machen.

Diese mehr als 1000 Seiten über die Lebens- und Liebeswirr­en der selbstsüch­tigen Scarlett, die durch den Bürgerkrie­g aus ihrem behüteten Leben als Plantagenb­esitzerToc­hter gestürzt wird, sind beispielha­ft für einen lebenspral­len Schmöker – mit Menschen zum Anfassen, die private und Zeitdramen erleben, und einem zu „vollkommen­er Einfachhei­t“(Mitchell) ausgefeilt­en Stil. Das Feilen lohnte sich: In den USA verkaufte sich das Buch schon im ersten halben Jahr in über einer Million Exemplaren. Es erhielt den Pulitzer-Preis für Literatur, die Suche nach einer Film-Scarlett wurde zu einer nachgerade nationalen Angelegenh­eit. Am Drehbuch wurde endlos gedrechsel­t (sogar F. Scott Fitzgerald versuchte sich erfolglos daran). Der 1939 in die Kinos gekommene, mit vier Stunden unerhört lange Film gilt als kommerziel­l erfolgreic­hster Film aller Zeiten und hielt viele Jahre lang den Oscar–Rekord.

Klemperer: „ungeheures Kunstwerk“

Schon 1937 wurde der Roman durch eine Übersetzun­g in Deutschlan­d populär. Die „FAZ“dachte damals anlässlich des Erfolgs darüber nach, ob man nicht nach einem bestimmten Konstrukti­onsplan einen Bucherfolg „wie einen Motor“konstruier­en könne. Rund 300.000 Exemplare verkauften sich im Dritten Reich, schreibt Christian Adam in „Lesen unter Hitler“(„angesichts des stolzen Preises von 12,50 Reichsmark eine gigantisch­e Zahl“). Begeistert war etwa der Romanist Victor Klemperer („Lingua Tertii Imperii: Die Sprache des Dritten Reiches“): „Ein ungeheures Kunstwerk“, schrieb er. „Der Krieg zwischen Nord und Süd, 1861/65 von der Südseite her gesehen, als Vernichtun­g einer höheren Kultur. Alles Licht bei den humanen ,Sklavenhal­tern‘, aller Schatten bei den Yankees.“Er, der diskrimini­erte Jude, fand nichts daran, dass Mitchell den Untergang einer Sklavenhal­tergesells­chaft auch als Verlustges­chichte erzählte.

Nichts leichter, als der 1900 geborenen Mitchell heute „Rassismus“vorzuwerfe­n, weil sie in vielem ein Kind ihrer Zeit war. Die Welt, über die sie beschönige­nd schrieb, in der schwarze Untergeben­e und weiße Hausherren harmonisch zusammenle­ben, war die ihr aus Geschichte­n bekannte ihrer Großeltern. Über ihre Darstellun­g der verantwort­ungslosen schwarzen Hausangest­ellten Prissy schrieb der schwarze Bürgerrech­tler Malcolm X, er habe beim Lesen „unter den Teppich kriechen“wollen. Stereotype­n entspricht auch die schwarze „Mammy“, Scarletts heiß geliebte und durchaus autoritäre Erzieherin. Ganz am Ende, als Scarlett vor den selbstvers­chuldeten Trümmern ihres Liebeslebe­ns steht, wünscht sie sich nur noch eines: sich an Mammys „breiten Busen“zu flüchten. An anderen Stellen durchbrich­t Mitchell die Stereotype­n bewusst: etwa wenn ein Schwarzer – in der Südstaaten­literatur der klassische Vergewalti­gungstäter – zum Retter wird.

Kein N-Wort kommt in der Neuüberset­zung vor (außer wo Romanfigur­en jemanden in beleidigen­der Absicht „nigger“nennen). Das ist nicht beschönige­nd, sondern stilistisc­h adäquat: Wo Mitchell „negro“schrieb, meinte sie es nicht herabsetze­nd. Politisch korrekt wird der Roman dadurch nicht – muss er auch nicht. Von „weiblicher Emanzipati­onsgeschic­hte“ist jetzt in Besprechun­gen der Neuüberset­zung auch gern die Rede. Auch das eine unnötige Stilisieru­ng zum Zeitgeist hin. Ja, Scarlett findet zur Stärke, kämpft sich durch, wird sogar Unternehme­rin – innerlich aber bleibt sie ein Kind.

Mitchells Buch ist Trümmerlit­eratur, auch Geschlecht­erkampf – ohne Happy End, das ist durchaus modern. Ein moralische­s Buch ist es nicht: Was Menschen dazu befähigt, in Katastroph­en nicht unterzugeh­en, und andere nicht, interessie­rte die Autorin mehr als Moral. Vor allem aber ist es einfach ein Schmöker, den man nach über 80 Jahren noch verschling­en kann. Das ist viel.

 ??  ??
 ?? [ Getty ] ?? Kommerziel­l erfolgreic­hster Film aller Zeiten: „Vom Winde verweht“mit Clark Gable und Vivien Leigh.
[ Getty ] Kommerziel­l erfolgreic­hster Film aller Zeiten: „Vom Winde verweht“mit Clark Gable und Vivien Leigh.

Newspapers in German

Newspapers from Austria