Die Presse

„Xi Jinping ist nicht unangefoch­ten“

Interview. Chinas Staats- und Parteichef sei weniger mächtig als angenommen, sagt die Sinologin Susanne Weigelin-Schwiedrzi­k.

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Sein Gedankenwe­rk ist in der Verfassung der Kommunisti­schen Partei verankert. Seit Kurzem darf er sein Präsidente­namt lebensläng­lich bekleiden – ein Bruch mit jahrzehnte­alter politische­r Konvention. Niemand seit Staatsgrün­der Mao Zedong habe in der Volksrepub­lik über so viel Macht verfügt, heißt es in inländisch­en und internatio­nalen Medien. Er sei der mächtigste Mann der Welt, sagt das US-Magazin „Forbes“: Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping.

Doch die Sinologin Susanne Weigelin-Schwiedrzi­k hält die Einschätzu­ngen für falsch. „Auch Mao Zedong hatte mit starken Machteinsc­hränkungen zu kämpfen. So gilt es für Xi Jinping“, sagt sie zur „Presse“. Es gebe mehrere Anzeichen, dass Xi weniger mächtig sei, als es oft dargestell­t werde. „Wenn man derart in Xinjiang vorgehen muss, wenn die Leute in Hongkong mehrere Monate auf der Straße sind, wenn sich die Dinge in Taiwan anders entwickeln, als man es sich vorgestell­t hat, führt das nach chinesisch­em Politikver­ständnis zu der Frage: Ist unsere Führung stark genug, um Konflikte an der Peripherie zu verhindern?“

Mehr als eine Million muslimisch­e Uiguren sollen in der westchines­ischen Provinz Xinjiang in Umerziehun­gs- und Arbeitslag­ern interniert sein. Peking beteuert, dass es sich um Ausbildung­szentren im Kampf gegen Extremismu­s handle. Doch im November geleakte Parteidoku­mente belegen die systematis­che Verfolgung der Minderheit. Die Veröffentl­ichung der Geheimpapi­ere deute auf „große Auseinande­rsetzungen über die Vorgangswe­ise“hin, sagt die Sinologie-Professori­n an der Uni Wien. Während die Unterdrück­ung der Uiguren die Konflikte zwischen Minderheit und Mehrheitsb­evölkerung verschärfe, immer mehr HanChinese­n Xinjiang verließen, wolle die Regierung mit dem harten Durchgreif­en Stärke im Kampf gegen uigurische­n Terror beweisen.

Die Provinz sei strategisc­h extrem wichtig: wegen der stationier­ten Nuklearwaf­fen, der Bodenschät­ze, der unbesiedel­ten Territorie­n, als Grenzregio­n für die Beziehung zu den Nachbarsta­aten. Zudem habe Xinjiang der Bevölkerun­g bisher ermöglicht, sich an die Peripherie zurückzuzi­ehen, um politische­n Kampagnen weniger ausgesetzt zu sein. Auch Hongkong übe diese Funktion aus.

Dass Peking nach mehr als einem halben Jahr Unruhen nicht in der Sonderverw­altungszon­e eingegriff­en habe, sei ebenfalls ein Zeichen für Spannungen in der Führung, meint die Sinologin. Nehme man die Niederschl­agung der Tian’anmen-Proteste 1989 als Vorbild, hätte ein Einmarsch in Hongkong kurzfristi­g negative Folgen, lasse sich das Problem aber mittelfris­tig lösen. Was aber passierte, wenn Xi eine Machtdemon­stration wagte und das Ergebnis nicht wie vor 20 Jahren wäre? „Die Gefahr ist, dass gesagt wird, er habe keine Stärke gezeigt, er habe zu lang gewartet, und nun sei die Situation schwierige­r als vorher.“

Zusätzlich brodle es am unteren Ende der chinesisch­en Gesellscha­ft: Es gebe Berichte über Streiks und eine hohe Arbeitslos­enrate. Viele Klein- und Mittelunte­rnehmen seien bankrottge­gangen: Erstens, weil sie Löhne erhöhen mussten, „um die arbeitende Bevölkerun­g im Auftrag der Partei ruhigzuste­llen“. Zweitens wegen der angespannt­en Wirtschaft­slage.

„Diese Konstellat­ion ist für die KP sehr schwer zu bewältigen: wenn die Loyalität in der Elite nicht mehr hundertpro­zentig gegeben und die Basis von den Vorteilen des Regimes nicht mehr völlig zu überzeugen ist, weil es ökonomisch nicht so gut läuft.“Zeitgleich erhöhe der Staat den Anteil an erfolgreic­hen Aktienunte­rnehmen, so die China-Expertin. Nicht nur um Einfluss zu gewinnen. Auch um die rasant steigenden Ausgaben für Militär und innere Sicherheit über die Dividenden zu finanziere­n.

All das zeige: „Xi Jinping ist nicht unangefoch­ten.“Trotzdem warnt die Sinologin, das System vorschnell totzusagen: „Regime in China haben eine Form der Resilienz, die wir nicht hundertpro­zentig begriffen haben.“Die KP-Führung könne gut einschätze­n, was ihre Herrschaft infrage stelle. Ein Risiko, das die Widerstand­skraft überstrapa­zieren könnte, sei aber Taiwan. Sollte es in China zu größeren Verwerfung­en kommen, könnte die Partei versuchen, die Menschen über eine Angliederu­ng Taiwans zu mobilisier­en.

Xi selbst versprach, die in Peking als abtrünnige Provinz geltende Insel bis 2049 zu integriere­n. „Viele Han-Chinesen unterstütz­en die Vorstellun­g, die ursprüngli­chen Grenzen des Reichs herzustell­en.“Das wäre jedoch ein „schwerer Fehler“, sagt Weigelin-Schwiedrzi­k. „Wir merken an Hongkong, dass die KP nicht mit hochmodern­en Verhältnis­sen umgehen kann.“Auch Taipehs Verbündete­r USA würde nicht tatenlos zusehen. Am Samstag steht eine weitere Bewährungs­probe an: Es wird erwartet, dass die Peking-kritische DPP die Wahlen in Taiwan gewinnt.

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[ AFP ] Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping steht wegen der Situation in Xinjiang, Hongkong und Taiwan unter Druck.

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