Die Legende als letztes Puzzlestück
Analyse. Thomas Muster wird Dominic Thiem betreuen. Er wäre nicht der erste „Supercoach“, der einem Schützling zum Durchbruch verhilft.
Der ATP Cup ist für Österreich nach einer 1:2-Niederlage gegen Polen nach der Vorrunde zu Ende. Teamleader Dominic Thiem beendet den Saisonauftakt in Sydney mit einer 1:2-Matchbilanz (4:4 Sätze), Niederlagen gegen den Kroaten Borna C´oric´ (ATP 28) und den Polen Hubert Hurkacz (ATP 37) hatte man vom Weltranglistenvierten nach seinem fulminanten Saisonfinish 2019 mit dem Finaleinzug bei den ATP Finals in London eher nicht erwartet.
Das durchwachsene Abschneiden könnte sich rächen. Thiem droht Platz vier im Ranking an den beim ATP Cup bisher makellosen Daniil Medwedew zu verlieren und damit auch die Top-vier-Setzung bei den Australian Open (ab 20. Jänner). Er könnte dort schon vor dem Halbfinale auf einen der Topstars treffen, also Rafael Nadal, Novak Djokovic´ oder Roger Federer.
Dennoch: Die Zusammenarbeit mit Kapitän Thomas Muster beim neuen Teambewerb gefiel offenbar, und was sich angedeutet hatte, wurde nun offiziell verkündet: Das Duo wird 2020 für 20 Wochen gemeinsam auf Tour sein.
Muster wird Thiem wohl bei den Masters- und Grand-Slam-Turnieren betreuen. „Es hat gut funktioniert, und wir werden das dieses Jahr machen“, erklärte Thiem. Hauptcoach des 26-Jährigen bleibt allerdings Nicola´s Massu´, daran gab es niemals Zweifel, der Chilene ist schließlich mitverantwortlich für die Leistungssteigerung nach der Trennung von Langzeittrainer Günter Bresnik. „Ich glaube, dass wir uns sehr gut ergänzen und für Dominic das Beste herausholen können“, meinte Muster.
Doch wie wird der 52-Jährige seine Rolle anlegen? Beim ATP Cup war Muster emotional sehr präsent, Österreichs Nummer zwei, Dennis Novak, musste sich nach katastrophalem Auftakt eine Standpauke vom Steirer anhören, die er als „nicht jungendfrei“beschrieb. Danach gewann er die Partie. Auch Thiem erklärte: „Tom entwickelt als Betreuer eine unglaubliche Energie.“
Die Bilanz der Supercoaches, also ehemaliger Topspieler, die sich als Trainer versuchen, kann sich sehen lassen. Erfolgreich waren sie immer dann, wenn sie mit ihren Stärken ein Detail – spielerisch oder mental – bei ihren Schützlingen verbessern konnten. Stefan Edberg machte Federers Angriffsspiel effektiver, Ivan Lendl weckte Andy Murrays Killerinstinkt, Magnus Norman machte Stan Wawrinka mental zum Champion, und mit Goran Ivaniseviˇc´ servierte sich Marin Cˇilic´ zum US-Open-Titel.
Bei Muster/Thiem ist ein solches Detail noch nicht zu erkennen. Muster erklärte: „Man kann an jeder Schraube noch drehen.“Thiems zuletzt so erfolgreiches Spiel, das hohe Tempo, der kompromisslose Angriff, entspricht jedenfalls nicht Musters damaligem Stil. Verbesserungspotenzial gibt es vor allem auf Rasen, beim Return und am Netz – auch das waren nicht Musters Spezialgebiete.
Seine Rolle dürfte eine andere sein: Die Ratschläge eines FrenchOpen-Champions, die Aura einer ehemaligen Nummer eins in der Spielerbox. „Ich habe das Gefühl, dass er mir weiterhelfen kann“, sagt Thiem. „Und er ist der einzige Österreicher, der einen GrandSlam-Titel geholt hat. Das ist eines meiner großen Ziele.“
Die deutschen Medien sind mit Alexander Zverev ohnehin nicht zimperlich, nun muss sich der Weltranglistensiebente, der seit Jahren als zukünftige Nummer eins gehandelt wird, auch noch öffentliche Ratschläge von seinem Teamchef anhören. Boris Becker gab den deutschen Kapitän beim ATP Cup in Australien und scheitere auch wegen dreier Einzel-Niederlagen von Zverev bereits in der Vorrunde.
Nach diesem völlig enttäuschenden Auftritt hat Becker dem 22-Jährigen personelle Konsequenzen nahegelegt. „Er muss erkennen, dass er auf der falschen Straße ist“, meinte Becker, 52, im „FAZ“-Interview. „Ich würde mir wünschen, er würde bald einen neuen Trainer finden. Vielleicht im Februar, und dass er dann auch mal Zeit mit dem Trainer alleine verbringt.“Nach der Trennung von Ivan Lendl im Vorjahr wird Zverev wieder von seinem Vater trainiert. „Ich glaube, solange der Vater so eine dominante Rolle auf dem Trainingsplatz spielt, wird es letztendlich immer nach seinem Kopf gehen“, sagte Becker.
Zverev meinte in Brisbane: „Ich brauche Trainingszeit, muss Matches gewinnen, dann wird es wieder irgendwie laufen.“Bis zu den Australian Open (ab 20. Jänner) will er auf dem Trainingsplatz an seiner Form arbeiten. (joe)