Wie Brus in Boschs Hölle landete
Er ist immer noch eine der unbekanntesten Kostbarkeiten der Wiener Museumsszene – obwohl so spektakulär: der dreiteilige Altar mit dem Jüngsten Gericht von Hieronymus Bosch. Den rührenden Kunstamateuren, die etwa nach der großen Bruegel-Ausstellung im KHM erfreut feststellen durften, dass im KHM auch sonst die größte Bruegel-Sammlung der Welt zu sehen ist, sei hiermit also mitgeteilt: Wir haben auch das zweitgrößte erhaltene Werk vom noch großartigeren Bruegel-Vorgänger Bosch im Angebot. Man muss es nur finden.
Was bei diesem geheimnisvollen Wahnsinnswerk mit seinen Kopffüßlern und Schnabelwesen und Folterexzessen zugegeben immer schon ein bisschen tricky war. Befand es sich doch in einem oberen Stockwerk des Kunstakademie-Gebäudes am Schillerplatz, in das man sich sowieso nicht so ohne Weiteres hineintraut (darf man aber auch ohne bestandene Aufnahmeprüfung). Zurzeit wird das Haus allerdings generalsaniert, die Gemäldegalerie gastiert daher seit mittlerweile auch schon gut zwei Jahren im Theatermuseum. Ein Grund – neben Klimts ebenfalls großartiger „Nuda Veritas“–, dieses ebenfalls nicht rasend populäre Museum aufzusuchen. Wo? Gleich bei der Albertina.
Um zeitgenössische Künstler mit dem heute noch überragenden Bosch ein bisschen zu sekkieren, hat sich GemäldegalerieDirektorin Julia Nauhaus übrigens ein eigenes Format ausgedacht: „Korrespondenzen“nennt sich die Serie, in der ein jüngerer Künstler, öfter noch Künstlerin, den qualitativ meist peinigenden Platz genau gegenüber dem Triptychon bespielen darf. Dieses neunte ist das bisher beste Zwiegespräch in diesem kleinen, schummrigen Raum: Eingeladen hat Kurator Klaus Speidel die französische Zeichnerin Agathe Pitie,´ 1986 in Castres geboren, hierzulande bisher unbekannt.
Dafür kennt sie uns: In ihrer fast drei Meter breiten, zwei Meter hohen Monsterzeichnung kommen einem im höllischen Gewimmel einige Figuren verdächtig bekannt vor. Steht da nicht Valie Export in typischer Genital-Panik-Pose (siehe Abb., Foto: Thomas Celaries)? Und neben ihr, der Herr mit dem Hackebeil? Der von einem Bosch’schen Teufelchen gerade einen Strich durch die Körpermitte gezogen bekommt? Es ist Günter Brus, der so für seinen legendären „Wiener Spaziergang“zurechtgemacht wird (der ihn diesmal direkt in die Hölle führt). Dort fühlt sich Hermann Nitsch natürlich längst schon pudelwohl und weist ein paar dunkle Gesellen beim ordentlichen Zerfleischen eines Kadavers an. Halleluja.
Agathe Pitie´ war sichtlich im Himmel bei der ihr hier gebotenen Gelegenheit. Immerhin ist sie Spezialistin beim humorvollen Aktualisieren mittelalterlicher Bildwelten. Dafür arbeitet sie mit Tusche und Pinsel, stilistisch von Comic und Gotik, vor allem von deutschen Drucken (Dürer, Urs Graf ) inspiriert. Aus einer Familie kommend, in der nicht in Museen gegangen, sondern über Sport und Fernsehen geredet wurde, benutzt sie diese ihrer Meinung nach „schönsten und würdigsten Kompositionscodes der Kunstgeschichte, um Pop-Referenzen, Humor, Gegenkulturen oder junge Bandmitglieder erstrahlen zu lassen wie Diamanten oder Gottheiten der Vergangenheit“, wie sie es beschreibt.
Daraus entsteht ihre ganz eigene, dichte interkulturelle (und interreligiöse) Ikonografie, in der gleichrangig Disneys Schneewittchen, das Luci-Teufelchen aus der NetflixSerie „Disenchantment“, Odin, besagte Wiener Aktionisten und der kopflose hl. Dionysius aufeinandertreffen. Demokratisch vernetzt durch Pities´ gleichmütige Zeichenweise, Generation Internet halt. Eine „Respektlosigkeit“, findet sie, die sie zu ihrem Prinzip erkor. Nice. Muss man hier sagen.