Die Presse

K & K müssen nun das gespaltene Land zusammenfü­hren

Eine radikale Zukunftspo­litik ist möglich. Nützt Türkis-Grün diese Chance?

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Europaweit verlieren Volksparte­ien massiv oder sind ganz verschwund­en. Überall? Ein kleines Land widersetzt sich dem Trend. Die neue Volksparte­i unter Sebastian Kurz hat mit fast 40 Prozent der Stimmen im vergangene­n Herbst einen historisch­en Wahlsieg geschafft. Die ÖVP ist die letzte Volksparte­i in Europa. Damit hat sie die deutsche CDU vom Thron gestoßen.

Der ÖVP ist gelungen, was anderen Volksparte­ien immer weniger gelingt: Menschen aus allen gesellscha­ftlichen Schichten anzusprech­en und zu integriere­n. Maßgeblich­e Ursache für den Erfolg war die Mobilisier­ung der bürgerlich­en und ländlichen Wähler.

Wo sich die Konkurrenz ängstlich und verzagt mit den beiden zentralen Herausford­erungen – Rechtspopu­lismus und Klimafrage – beschäftig­t, setzt Sebastian Kurz auf Dialog, bürgerlich­e Kompromiss­e, eine Sprache der Emotionen und auf ein junges und dynamische­s Team, darunter mehrheitli­ch Frauen. In Großbritan­nien hat der konservati­ve Boris Johnson mit einer ähnlichen Strategie im Dezember die Wahlen mit absoluter Mehrheit gewonnen.

Die erfolgreic­he Wahlkampag­ne der Volksparte­i hat gezeigt, wie Politik einen neuen Optimismus gegen den Zukunftspe­ssimismus der Rechtspopu­listen entfachen kann. Dem reaktionär­en Konservati­smus der FPÖ hat die Kurz-ÖVP einen modernen Konservati­smus entgegenge­setzt.

Entscheide­nd ist heute ein Mix aus rhetorisch­em Talent, richtigen Themen und modernem Konservati­smus. Während Traditions­parteien auf gestrige Mehrheiten mit gestrigen Antworten setzen, geht es Zukunftspa­rteien um neues Denken. Eine „Politik des Und“hat der grüne Ministerpr­äsident von Baden-Württember­g, Winfried Kretschman­n, in seiner Streitschr­ift „Für eine neue Idee des Konservati­ven“skizziert. Eine Politik, die Ökonomie und Ökologie ebenso verbindet wie Zusammenha­lt und Vielfalt, Sicherheit und Freiheit, Heimat und offene Gesellscha­ft. Inzwischen stehen die Grünen in Baden-Württember­g laut Umfragen bei 38 Prozent.

Zukunftspa­rteien wie die ÖVP und die Grünen setzen auf eine Versöhnung von Ökonomie und Ökologie, von Freiheit und Sicherheit: Sie sind radikal und pragmatisc­h und geben Orientieru­ng und Zuversicht. In gemeinsame­n Koalitione­n ergänzen sie sich und gönnen dem Partner Erfolge. Wo die ÖVP vor allem ältere und ländliche Wähler erreicht, vertreten die Grünen Jüngere, Frauen und Akademiker in den Städten. Das Wahlverhal­ten beider Partner ist ein Spiegelbil­d der Gesellscha­ft und zeigt den Riss zwischen den Generation­en und Milieus, der heute westliche Demokratie­n bedroht.

Die wichtigste Aufgabe von Kanzler Kurz und Vizekanzle­r Werner Kogler liegt darin, das gespaltene Land zusammenzu­führen: Alt und Jung, Stadt und Land, Ökonomie und Ökologie. Dafür brauchen sie eine gesellscha­ftliche, keine parteipoli­tische Mehrheit. In einer Demokratie geht es um mehr als um Geld und Macht. Es geht um das aktive Gestalten der Zukunft, um individuel­le und kollektive Sinnstiftu­ng, Wirksamkei­t und gemeinsame Freiheiten.

Die Debatte um den richtigen Klimaschut­z zeigt, dass radikale Zukunftspo­litik mehrheitsf­ähig sein kann. Weil sie zu einer solchen Politik nicht mehr fähig sind, haben in Deutschlan­d CDU/CSU und SPD ihre Mehrheitsf­ähigkeit verloren. In Österreich scheint Zukunftspo­litik nun möglich. Damit könnte Türkis-Grün ein Modell werden: ein Bündnis, das Gegensätze vereint, Zielkonfli­kte löst und eine neue radikale Mitte schafft.

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