Wie die MeToo-Bewegung unsere Gesellschaft verändert hat
In New York begann der Prozess gegen den früheren Hollywoodproduzenten Harvey Weinstein. Egal, wie das Urteil ausfällt – gewonnen hat der Fortschritt.
Zwei Jahre, drei Monate und ein Tag mussten vergehen. Am 5. Oktober 2017 veröffentlichte die „New York Times“einen Artikel, in dem mehrere Schauspielerinnen Vorwürfe gegen den mächtigen Hollywoodproduzenten Harvey Weinstein erhoben. Er habe sie zu sexuellen Handlungen gezwungen. Fünf Tage darauf folgte eine Geschichte im „New Yorker“, die weitere Anschuldigungen enthielt. Darauf folgte die MeTooBewegung, ausgelöst von einem Tweet der Schauspielerin Alyssa Milano.
Wer schon einmal sexuell belästigt worden sei, solle mit „ich auch“antworten, schrieb sie. Die Anzahl der Reaktionen war überwältigend. Bald zeigte sich, dass MeToo mehr war als nur ein viraler Hashtag. MeToo hat unsere Gesellschaft verändert, Unsicherheit war vielerorts die Folge. Was, darf man jetzt nicht mehr flirten? Gleichzeitig kamen unfaire Machtstrukturen ans Licht.
Zwei Jahre, drei Monate und einen Tag nach den eingangs erwähnten Artikeln begann am Montag in New York der Strafprozess gegen Harvey Weinstein. Insgesamt hatten ihm über 80 Frauen sexuelle Übergriffe vorgeworfen, das Muster war in allen Fällen ähnlich: Er bedrängte die Frauen und versprach ihnen, ihre Karriere voranzutreiben. Aufgrund des Machtgefälles war das eine ausweglose Situation für die Betroffenen: Wenn sie sich nicht darauf einließen, brachten sie ihre berufliche Zukunft in Gefahr.
Viele der Frauen gaben sogar an, deshalb nach den Übergriffen mit Weinstein in freundschaftlichem Kontakt geblieben zu sein. Zur Anklage in New York kommen nur zwei Fälle: eine mutmaßliche Vergewaltigung aus dem Jahr 2013 sowie sexuelle Nötigung aus dem Jahr 2006.
Aktuell werden die Geschworenen für Weinsteins Prozess ausgewählt. Der gesamte Prozess soll rund zwei Monate dauern. Wird Weinstein verurteilt, drohen ihm bis zu 25 Jahre Haft. Bill Cosby sitzt bereits im Gefängnis.
Abschreckung für künftige Täter, Trost für die Opfer – alles wichtig. Doch auch abseits der Gerichte hat sich in den vergangenen zwei Jahren viel getan. Anfangs war MeToo dafür kritisiert worden, zu vage zu sein, nicht zwischen Vergewaltigung, Belästigung und sexistischen Kommentaren zu unterscheiden. Doch gerade, dass die Bewegung so allumfassend ist, stellte sich letztendlich als Stärke heraus. Über all die Nuancen von Geschlechterverhältnissen im Alltag wird nun gesprochen. Es ist ein Gewinn für uns alle, dass über die Grenzen zwischen einem ungeschickten Flirt und übergriffigem Verhalten öffentlich diskutiert wird.
„Egal, wie das Urteil ausfällt, bestraft ist der Mann schon jetzt“, beklagte die rechtsgerichtete Schweizer „Weltwoche“. Weinsteins Lebenswerk und Ruf seien zerstört. Ein Argument, das oft zu hören ist. Von „Vorverurteilung“ist dann die Rede und von Unschuldigen, die an den Pranger gestellt würden. Was gerade im Fall Weinstein lächerlich ist, galt doch sein Verhalten als offenes Geheimnis in Hollywood. Trotzdem: Journalistinnen und Journalisten sind bei der Berichterstattung über solche Fälle aufgefordert, Verdachtsmomente ausgewogen darzustellen, Beweise und Tatsachen zu präsentieren und auch die Beschuldigten zu Wort kommen zu lassen.
Das trifft auf die bekannt gewordenen Fälle zu, die sich um den USSchauspieler Kevin Spacey, den Regisseur Gustav Kuhn oder den US-Komiker Bill Cosby drehen. Dass viele Anschuldigungen zuerst in sozialen Medien auftauchen, ist als „Kinderkrankheit“der neuen feministischen Bewegung zu sehen. Oft steht Aussage gegen Aussage, oft ist die Beweislage schwierig. Hier braucht es mehr Sensibilisierung für Polizei und Gerichte, sodass Betroffene die Selbstjustiz nicht als einzige Möglichkeit sehen.
Aber ist es deshalb gleich eine Hexenjagd? Die sonst nicht als Zentralorgan des Feminismus bekannte „Welt“brachte es in einem Leitartikel auf den Punkt: „Hexen, die auf Besenstielen reiten und mit dem Teufel kopulieren, hat es nie gegeben. Männer, die ihre Machtposition ausnützen, dagegen schon.“