Ein Ausstieg aus dem Königreich
Mit dem Rückzug von den royalen Pflichten versetzen Prinz Harry und Gattin Meghan der Monarchie einen Schlag. Sie dürften sich geschadet, die Institution der Royals aber sogar gestärkt haben.
Vor wenigen Jahren machte auf den Bühnen Londons das Theaterstück „King Charles III“Furore. Darin heißt
es: „Ich möchte lieber ein nachdenklicher Prinz als ein König des Versagens sein.“
In Wahrheit hat ein Mitglied des Königshauses keine Wahl. Mit der Ankündigung, sich samt Gattin Meghan von den Verpflichtungen der Royals zurückzuziehen, zog Prinz Harry in der Nacht auf Donnerstag daraus die Konsequenz. Was der 35-Jährige für seine Familie als Rettung sieht, stürzt das Haus Windsor in eine schwere Krise.
Das merkte man an der bestürzten Reaktion aus dem Buckingham Palace: Man sei „enttäuscht“, namentlich ungenannte Mitglieder seien „verletzt“; „Insider“sprechen von „beispiellosem Vorgehen“: Harry und Meghan Markle (38) hatten die Aktion nicht mit der Familie abgesprochen, sondern per Instagram verkündet. Deftiger als die dezente BBC meldete das Boulevardblatt „The Sun“, Prinz Charles, Harrys Vater, und sein Bruder, William, würden „vor Zorn glühen“.
Es gab schon länger eine Krise
Dass es um den Hausfrieden im Palast nicht zum Besten steht, war kein Geheimnis. Zwischen William (37) und Harry soll es ebenso gekracht haben wie zwischen den Ehefrauen Kate (38) und Meghan. Der Honeymoon nach der Traumhochzeit 2018 war kurz: Da hatten viele gehofft, Harry und Meghan könnten die versteinerte Monarchie erneuern. Er – der rothaarige Liebling der Nation, den Millionen immer noch sehen, wie er als
Zwölfjähriger dem Sarg seiner Mutter, Diana, folgt. Sie – die geschiedene Amerikanerin mit teils afroamerikanischem Hintergrund und einer Karriere als Schauspielerin.
So kometenhaft sie aufstiegen, so rasch zerschellten sie. Die 93-jährige Queen Elizabeth hatte ihre Position stets „Pflicht“genannt. Harry und Meghan wollten anders sein: Sie bekannte, dass es „ein Kampf“sei, sich ins Regime der Dynastie zu fügen. „Ich hab es versucht, ehrlich“, sagte sie im Oktober in einem Interview. „Aber ich glaube, immer diese steife Oberlippe, das ist echt schädlich.“Er, der Armeeoffizier und Kampfhubschrauberpilot mit Erfahrung in Afghanistan, legte sich mit dem Boulevard an, dem er Eindringen in die Privatsphäre und rassistische Untertöne gegenüber seiner Frau vorwarf.
Als klar war, dass das Paar nicht nach den traditionellen Regeln spielen würde, war die Jagd eröffnet: Von der privaten Taufe des Sohnes, Archie, bis zum Verzehr einer Avocado – nichts war zu gering, um Meghan zu kritisieren. Dass zu Neujahr das Königshaus ein Foto der Queen nur mit den Prinzen Charles, William und George publizierte, soll für Harry der Auslöser gewesen sein, aus dem goldenen Käfig auszubrechen.
Kritik an Steuergeld für das Paar
Seine Entscheidung indes ist halbherzig. In der Erklärung wird „unsere volle Unterstützung der Queen“betont. Graham Smith kritisierte namens der republikanischen Organisation Republic: „Sie wollen die Rosinen aus dem Kuchen picken. Sie wollen nur mehr die königlichen Aufgaben wahrnehmen, die ihnen Spaß machen, aber dem Steuerzahler auf der Tasche liegen.“Tatsächlich kostete der Umbau ihres Wohnsitzes 2,4 Millionen Pfund (2,8 Mio. Euro), die Hochzeit zehn Millionen. Bezahlt hat das ebenso der Steuerzahler wie die 600.000 Pfund für Bewachung. Für Sommerurlaub auf Ibiza gab das Paar 100.000 Pfund aus. Dass es sich zugleich betont „grün“gab, untergrub sein Ansehen. Und selbst wenn beide vom Geldregen – der Steuerzahler dotierte das Königshaus im Vorjahr mit 82 Millionen Pfund – abgeschnitten würden, würden sie nicht hungern: Harry allein hat ein Vermögen von 30 Millionen Pfund, großteils aus der Erbschaft seiner Mutter, Diana.
Erinnerungen an die Abdankung
Der Rückzug von Harry und Meghan wecke Erinnerungen an 1936, meint KönigshausKenner Phil Dampier. Damals verzichtete Edward VIII. zugunsten der Liebe zur Amerikanerin Wallis Simpson auf den Thron. Das letzte Urteil, wer die neue Konfrontation zwischen Institution und Individuum gewinnt, wird die öffentliche Meinung sprechen. Nach der Trennung von Charles 1992 zog Diana alle Register und machte sich zur „Prinzessin der Herzen“. Das Königshaus hat, wie die erste Reaktion zeigte, gelernt: Mit Worten wie „enttäuscht“und „verletzt“erntete es bereits Sympathien. Die Chance, „Prinz der Herzen“zu sein, hat Harry wohl verspielt.
V or
etwas mehr als eineinhalb Jahren fieberte nicht nur das Vereinigte Königreich, sondern die halbe Welt an diesem glanzvollen Tag mit dem glücklichen Paar mit: Endlich gab es wieder eine königliche Hochzeit, Prinz Harry heiratete die strahlende Schauspielerin Meghan Markle. Das britische Königshaus legte an Popularität zu. Harry, der Liebling der Nation, hatte die Liebe seines Lebens gefunden. Dass sie Amerikanerin ist und eine geschiedene Schauspielerin, sah man Meghan nach. Bot sie doch die Chance, der Welt zu zeigen, dass die britische Monarchie im 21. Jahrhundert angekommen war: jung, modern, multikulturell.
Heute ist von der Begeisterung, die an jenem Tag im Mai 2018 durch das Land wogte, nichts mehr zu spüren. Im Gegenteil. Die frische Brise, die durch den Buckingham Palast wehte, ist zu einem Orkan angewachsen, der an den Mauern der britischen Institution rüttelt.
Dass die Herzogin von Sussex nicht widerstandslos in die ihr vom Königshaus vorgegebene Rolle schlüpfen würde, war schnell klar. An viele der Traditionen, deren Einhaltung von der Ehefrau der Nummer sechs der britischen Thronfolge erwartet worden war, hielt Meghan sich nicht. Immer wieder, aber oft recht ungeschickt, wies sie auf ihr Recht auf Privatsphäre hin. Schnell wurde ihr die Schuld dafür zugeschoben, dass die einst unzertrennlichen Brüder Harry und William sich entfremdeten. Die „Fab Four“, wie William und Kate sowie Harry und Meghan anfangs genannt wurde, waren Geschichte geworden; man sei auf „unterschiedlichen Pfaden unterwegs“.
Dass Harry mit seiner jungen Familie zu Weihnachten das Weite suchte und lieber in Kanada feierte als gemeinsam mit der Queen, Prinz Charles und Prinz William, ging den Briten und seiner Familie offenbar zu weit. Bei ihrer Weihnachtsansprache aus Windsor Castle standen auf dem Schreibtisch der Queen Fotos ihres Mannes, dem gesundheitlich angeschlagenen Prinz Philip, Bilder von Charles und Camilla sowie William und Kate mit ihren drei Kindern. Eine Aufnahme des Herzogs und der Herzogin von Sussex und Archie suchte man vergeblich. Und kurz vor Weihnachten veröffentlichte der
Buckingham Palast ein offizielles Bild, ebenfalls ohne Harry (gut, er war zu diesem Zeitpunkt in Kanada): die Queen im Kreise der royalen Männer – Charles, William und der kleine George.
Der Ruf von Meghan und Harry nach mehr Privatsphäre und ihr Wunsch, Baby Archie unbekümmert aufwachsen zu lassen, ist nachvollziehbar. Für jemanden, der sich einmal im Fadenkreuz der britischen Boulevardpresse befindet, gibt es kein Entkommen. Illegale Methoden wie das Abhören und Beschatten von Celebrities und Royals waren jahrelang gang und gäbe. Das haben Harry und Meghan gnadenlos am eigenen Leib erfahren. Skandale und Skandälchen haben die Massenblätter herbeigeschrieben. Alles wurde ausgegraben, was quotenbringend ausgeschlachtet werden konnte. Hat man die Daily Mail einmal gegen sich, dann herrscht Krieg.
Was
aber wesentlich schwerer wiegt: In Brexit-Chaoszeiten hat sich das Land nicht noch einen Exit verdient. Während Großbritannien zerbröselt und sich EU-Gegner und EU-Befürworter zerreiben, war die Monarchie – in Gestalt der Queen – immer eine Konstante im Land. Dass ausgerechnet ihr einstiger Lieblingsenkel das Königshaus ohne Vorwarnung derart düpiert, dürfte die 93-Jährige schwer treffen.
Wenn für sie das Vorjahr ein „Annus horribilis“war, wie mag dann dieses junge neue Jahr in die Annalen eingehen? 2019 brachte schlimme Missbrauchsvorwürfe gegen ihren Sohn Andrew. Seine Freundschaft zu dem US-Sexualstraftäter Jeffrey Epstein, Rufe nach seiner Auslieferung in die USA, um sich dort strafrechtlich relevanten Fragen zu stellen, und sein desaströses Interview mit der BBC ließen die Queen die Notbremse ziehen: Sie enthob ihren Sohn seiner royalen Pflichten.
Doch wer weiß, vielleicht beginnt mit den Fällen Andrew und Harry eine neue Ära: jene einer erschlankten Monarchie, einer kleineren „Firma“, in der britische Steuerzahler entlastet werden.