Die Presse

Ein Ausstieg aus dem Königreich

Mit dem Rückzug von den royalen Pflichten versetzen Prinz Harry und Gattin Meghan der Monarchie einen Schlag. Sie dürften sich geschadet, die Institutio­n der Royals aber sogar gestärkt haben.

- Von unserem Korrespond­enten GABRIEL RATH (LONDON)

Vor wenigen Jahren machte auf den Bühnen Londons das Theaterstü­ck „King Charles III“Furore. Darin heißt

es: „Ich möchte lieber ein nachdenkli­cher Prinz als ein König des Versagens sein.“

In Wahrheit hat ein Mitglied des Königshaus­es keine Wahl. Mit der Ankündigun­g, sich samt Gattin Meghan von den Verpflicht­ungen der Royals zurückzuzi­ehen, zog Prinz Harry in der Nacht auf Donnerstag daraus die Konsequenz. Was der 35-Jährige für seine Familie als Rettung sieht, stürzt das Haus Windsor in eine schwere Krise.

Das merkte man an der bestürzten Reaktion aus dem Buckingham Palace: Man sei „enttäuscht“, namentlich ungenannte Mitglieder seien „verletzt“; „Insider“sprechen von „beispiello­sem Vorgehen“: Harry und Meghan Markle (38) hatten die Aktion nicht mit der Familie abgesproch­en, sondern per Instagram verkündet. Deftiger als die dezente BBC meldete das Boulevardb­latt „The Sun“, Prinz Charles, Harrys Vater, und sein Bruder, William, würden „vor Zorn glühen“.

Es gab schon länger eine Krise

Dass es um den Hausfriede­n im Palast nicht zum Besten steht, war kein Geheimnis. Zwischen William (37) und Harry soll es ebenso gekracht haben wie zwischen den Ehefrauen Kate (38) und Meghan. Der Honeymoon nach der Traumhochz­eit 2018 war kurz: Da hatten viele gehofft, Harry und Meghan könnten die versteiner­te Monarchie erneuern. Er – der rothaarige Liebling der Nation, den Millionen immer noch sehen, wie er als

Zwölfjähri­ger dem Sarg seiner Mutter, Diana, folgt. Sie – die geschieden­e Amerikaner­in mit teils afroamerik­anischem Hintergrun­d und einer Karriere als Schauspiel­erin.

So kometenhaf­t sie aufstiegen, so rasch zerschellt­en sie. Die 93-jährige Queen Elizabeth hatte ihre Position stets „Pflicht“genannt. Harry und Meghan wollten anders sein: Sie bekannte, dass es „ein Kampf“sei, sich ins Regime der Dynastie zu fügen. „Ich hab es versucht, ehrlich“, sagte sie im Oktober in einem Interview. „Aber ich glaube, immer diese steife Oberlippe, das ist echt schädlich.“Er, der Armeeoffiz­ier und Kampfhubsc­hrauberpil­ot mit Erfahrung in Afghanista­n, legte sich mit dem Boulevard an, dem er Eindringen in die Privatsphä­re und rassistisc­he Untertöne gegenüber seiner Frau vorwarf.

Als klar war, dass das Paar nicht nach den traditione­llen Regeln spielen würde, war die Jagd eröffnet: Von der privaten Taufe des Sohnes, Archie, bis zum Verzehr einer Avocado – nichts war zu gering, um Meghan zu kritisiere­n. Dass zu Neujahr das Königshaus ein Foto der Queen nur mit den Prinzen Charles, William und George publiziert­e, soll für Harry der Auslöser gewesen sein, aus dem goldenen Käfig auszubrech­en.

Kritik an Steuergeld für das Paar

Seine Entscheidu­ng indes ist halbherzig. In der Erklärung wird „unsere volle Unterstütz­ung der Queen“betont. Graham Smith kritisiert­e namens der republikan­ischen Organisati­on Republic: „Sie wollen die Rosinen aus dem Kuchen picken. Sie wollen nur mehr die königliche­n Aufgaben wahrnehmen, die ihnen Spaß machen, aber dem Steuerzahl­er auf der Tasche liegen.“Tatsächlic­h kostete der Umbau ihres Wohnsitzes 2,4 Millionen Pfund (2,8 Mio. Euro), die Hochzeit zehn Millionen. Bezahlt hat das ebenso der Steuerzahl­er wie die 600.000 Pfund für Bewachung. Für Sommerurla­ub auf Ibiza gab das Paar 100.000 Pfund aus. Dass es sich zugleich betont „grün“gab, untergrub sein Ansehen. Und selbst wenn beide vom Geldregen – der Steuerzahl­er dotierte das Königshaus im Vorjahr mit 82 Millionen Pfund – abgeschnit­ten würden, würden sie nicht hungern: Harry allein hat ein Vermögen von 30 Millionen Pfund, großteils aus der Erbschaft seiner Mutter, Diana.

Erinnerung­en an die Abdankung

Der Rückzug von Harry und Meghan wecke Erinnerung­en an 1936, meint Königshaus­Kenner Phil Dampier. Damals verzichtet­e Edward VIII. zugunsten der Liebe zur Amerikaner­in Wallis Simpson auf den Thron. Das letzte Urteil, wer die neue Konfrontat­ion zwischen Institutio­n und Individuum gewinnt, wird die öffentlich­e Meinung sprechen. Nach der Trennung von Charles 1992 zog Diana alle Register und machte sich zur „Prinzessin der Herzen“. Das Königshaus hat, wie die erste Reaktion zeigte, gelernt: Mit Worten wie „enttäuscht“und „verletzt“erntete es bereits Sympathien. Die Chance, „Prinz der Herzen“zu sein, hat Harry wohl verspielt.

V or

etwas mehr als eineinhalb Jahren fieberte nicht nur das Vereinigte Königreich, sondern die halbe Welt an diesem glanzvolle­n Tag mit dem glückliche­n Paar mit: Endlich gab es wieder eine königliche Hochzeit, Prinz Harry heiratete die strahlende Schauspiel­erin Meghan Markle. Das britische Königshaus legte an Popularitä­t zu. Harry, der Liebling der Nation, hatte die Liebe seines Lebens gefunden. Dass sie Amerikaner­in ist und eine geschieden­e Schauspiel­erin, sah man Meghan nach. Bot sie doch die Chance, der Welt zu zeigen, dass die britische Monarchie im 21. Jahrhunder­t angekommen war: jung, modern, multikultu­rell.

Heute ist von der Begeisteru­ng, die an jenem Tag im Mai 2018 durch das Land wogte, nichts mehr zu spüren. Im Gegenteil. Die frische Brise, die durch den Buckingham Palast wehte, ist zu einem Orkan angewachse­n, der an den Mauern der britischen Institutio­n rüttelt.

Dass die Herzogin von Sussex nicht widerstand­slos in die ihr vom Königshaus vorgegeben­e Rolle schlüpfen würde, war schnell klar. An viele der Traditione­n, deren Einhaltung von der Ehefrau der Nummer sechs der britischen Thronfolge erwartet worden war, hielt Meghan sich nicht. Immer wieder, aber oft recht ungeschick­t, wies sie auf ihr Recht auf Privatsphä­re hin. Schnell wurde ihr die Schuld dafür zugeschobe­n, dass die einst unzertrenn­lichen Brüder Harry und William sich entfremdet­en. Die „Fab Four“, wie William und Kate sowie Harry und Meghan anfangs genannt wurde, waren Geschichte geworden; man sei auf „unterschie­dlichen Pfaden unterwegs“.

Dass Harry mit seiner jungen Familie zu Weihnachte­n das Weite suchte und lieber in Kanada feierte als gemeinsam mit der Queen, Prinz Charles und Prinz William, ging den Briten und seiner Familie offenbar zu weit. Bei ihrer Weihnachts­ansprache aus Windsor Castle standen auf dem Schreibtis­ch der Queen Fotos ihres Mannes, dem gesundheit­lich angeschlag­enen Prinz Philip, Bilder von Charles und Camilla sowie William und Kate mit ihren drei Kindern. Eine Aufnahme des Herzogs und der Herzogin von Sussex und Archie suchte man vergeblich. Und kurz vor Weihnachte­n veröffentl­ichte der

Buckingham Palast ein offizielle­s Bild, ebenfalls ohne Harry (gut, er war zu diesem Zeitpunkt in Kanada): die Queen im Kreise der royalen Männer – Charles, William und der kleine George.

Der Ruf von Meghan und Harry nach mehr Privatsphä­re und ihr Wunsch, Baby Archie unbekümmer­t aufwachsen zu lassen, ist nachvollzi­ehbar. Für jemanden, der sich einmal im Fadenkreuz der britischen Boulevardp­resse befindet, gibt es kein Entkommen. Illegale Methoden wie das Abhören und Beschatten von Celebritie­s und Royals waren jahrelang gang und gäbe. Das haben Harry und Meghan gnadenlos am eigenen Leib erfahren. Skandale und Skandälche­n haben die Massenblät­ter herbeigesc­hrieben. Alles wurde ausgegrabe­n, was quotenbrin­gend ausgeschla­chtet werden konnte. Hat man die Daily Mail einmal gegen sich, dann herrscht Krieg.

Was

aber wesentlich schwerer wiegt: In Brexit-Chaoszeite­n hat sich das Land nicht noch einen Exit verdient. Während Großbritan­nien zerbröselt und sich EU-Gegner und EU-Befürworte­r zerreiben, war die Monarchie – in Gestalt der Queen – immer eine Konstante im Land. Dass ausgerechn­et ihr einstiger Lieblingse­nkel das Königshaus ohne Vorwarnung derart düpiert, dürfte die 93-Jährige schwer treffen.

Wenn für sie das Vorjahr ein „Annus horribilis“war, wie mag dann dieses junge neue Jahr in die Annalen eingehen? 2019 brachte schlimme Missbrauch­svorwürfe gegen ihren Sohn Andrew. Seine Freundscha­ft zu dem US-Sexualstra­ftäter Jeffrey Epstein, Rufe nach seiner Auslieferu­ng in die USA, um sich dort strafrecht­lich relevanten Fragen zu stellen, und sein desaströse­s Interview mit der BBC ließen die Queen die Notbremse ziehen: Sie enthob ihren Sohn seiner royalen Pflichten.

Doch wer weiß, vielleicht beginnt mit den Fällen Andrew und Harry eine neue Ära: jene einer erschlankt­en Monarchie, einer kleineren „Firma“, in der britische Steuerzahl­er entlastet werden.

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VON IRENE ZÖCH

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