Die Presse

Vier neue Minister im Interview

Es gebe dringliche­re Themen als eine Sicherungs­haft, sagt Vizekanzle­r Werner Kogler. Message Control werde es mit den Grünen nicht geben.

- VON THOMAS PRIOR

Werner Kogler, Elisabeth Köstinger, Heinz Faßmann und Leonore Gewessler im Gespräch.

Die Presse: Sebastian Kurz war Ihr politische­r Gegner, nun ist er Ihr Verbündete­r. Wenn man sich Ihre Wortmeldun­gen aus dem Wahlkampf vor Augen führt, dann war das wohl keine so leichte Wandlung.

Werner Kogler: Ich habe mich mit den Mehrheitsi­nteressen in Österreich zu verbünden versucht. Und die waren so gelagert, dass eine ÖVP-FPÖ-Regierung nach all den Vorkommnis­sen nicht erneut zum Zug kommen sollte. Türkis-Blau wäre nicht völlig ausgeschlo­ssen gewesen, am ehesten über den Weg einer Minderheit­sregierung. Die Verbindung zur ÖVP ist eine Folge davon.

Wie sehr misstrauen Sie Sebastian Kurz?

Wir haben die Sondierung­en nicht nur aus inhaltlich­en Gründen so ausführlic­h angelegt, sondern auch, um die Vertrauens­bildung zu betreiben. Diese Übung hat es gebraucht. Jetzt vertraue ich ihm, so weit die Erfahrung reicht – und die ist ganz gut. So lang wir uns wechselsei­tig nicht reinlegen, wird das Vertrauen weiter wachsen.

Halten Sie das Team um Sebastian Kurz immer noch für eine Schnöseltr­uppe?

Ich habe diesen Begriff nicht erfunden. Er stammt von Raiffeisen-affinen ÖVP-Funktionär­en, die im Jahr 2017 befürchtet haben, dass die vielen jungen Leute um Kurz die Macht in der Partei an sich ziehen. Ich habe das zwischendu­rch, wie das meine Art ist, aufgegriff­en. Ich konnte nicht widerstehe­n.

Warum haben die Grünen nicht versucht, das Finanzmini­sterium zu bekommen?

Wir haben uns darauf verständig­t, nicht von den Ressortübe­rschriften auszugehen, sondern von den Aufgaben darunter. Als Erstes haben wir auf das Großressor­t gespielt, das fast ein Doppelress­ort ist: Klimaschut­z plus Infrastruk­tur. Das Finanzmini­sterium war eine Zeit lang tatsächlic­h ein Thema für uns. Aber dann hätten wir ein zweites größeres Ressort mit Pflege, Gesundheit und Konsumente­nschutz nicht durchgeset­zt.

Aber einen Staatssekr­etär hätten Sie schon ins Finanzmini­sterium setzen können.

Ich erinnere mich noch gut, als Andreas Schieder, den ich gern mag, Finanzstaa­tssekretär war (2008 bis 2013, Anm.), aber von den Informatio­nen – damals gab es eine Finanzkris­e und Bankenaffä­ren – abgeschnit­ten wurde. Mit uns hat die Ministerin, Maria Fekter, mehr Informatio­nen ausgetausc­ht als mit ihm. Das hat mich geprägt. Die Mitbeeinfl­ussung der Finanz- und Budgetpoli­tik kann auch ohne Staatssekr­etär gelingen. Und die Informatio­nen müssen wir ja sowieso bekommen, sonst gibt es eh eine Krise.

Das heißt: Lunacek ist auch eine Art Außenstaat­ssekretäri­n.

Nein, gar nicht – aber sie kommt ja aus dem Metier. Und wenn es imagemäßig dazu beiträgt, dass die Regierung noch deutlich proeuropäi­scher dasteht, dann war das durchaus nicht unbeabsich­tigt.

Ist es nicht so, dass drei Quereinste­igerinnen als Ministerin­nen mit Alma Zadic,´ Eva Blimlinger und Leonore Gewessler zu viel für die grüne Basis gewesen wären?

Diese Sorge hatte ich nicht. Ich verstehe auch die Kritik an Ulrike Lunacek nicht. Bei der Nationalra­tswahl 2017 war ich ihr Stellvertr­eter. Wir haben gemeinsam verloren – und jetzt ist sie wieder dabei.

Und die grüne Basis?

Mein Bezug zur Basis ist unmittelba­r. Mir ist wichtig, dass ich verstanden werde. Ich wäre auch vor dem Bundeskong­ress zu

Basisveran­staltungen gegangen, hätte ich die Zeit dazu gehabt. Und Quereinste­igerinnen haben hinter mir in fast allen Bundesländ­ern kandidiert. Aber insgesamt gilt: Das ist ein Ritt auf der Rasierklin­ge. Ich habe immer mit dem Clint-Eastwood-Prinzip argumentie­rt. Dirty Harry reitet in die Stadt – und der Rest ergibt sich.

Sie wollen die Steuer- und Abgabenquo­te unter 40 Prozent senken und keine neuen Schulden machen. Gleichzeit­ig enthält das Regierungs­programm manch ehrgeizige­n Punkt, von der Pflegevers­icherung bis zur ökosoziale­n Steuerrefo­rm. Wie soll sich das finanziell ausgehen?

Am Ende der Verhandlun­gen hat der Fiskalrat mehrjährig­e Prognosen abgeliefer­t. Wenn die Wirtschaft nicht komplett einbricht, sind wir eineinhalb bis zwei Milliarden Euro im Plus. Wir sind bei der Vermessung des Budgetpfad­s sogar von einem leichten Minus – 400 bis 500 Millionen Euro – ausgegange­n. Insofern ist da ein gewisser Spielraum. Bei der Formel ausgeglich­ener Haushalt, die der Finanzmini­ster zweimal hintereina­nder erreichen möchte, muss man sagen, dass das schwanken kann. Natürlich innerhalb des europäisch­en Rechtsrahm­ens – Schuldenbr­emsen hin oder her. Bei Krisen müssen wir reagieren können.

Der ausgeglich­ene Haushalt hängt also am Konjunktur­zyklus.

Ja, so steht es auch drinnen. Gleichzeit­ig ist vereinbart, dass die Investitio­nen – etwa in den öffentlich­en Verkehr – gesichert sein müssen. Ob sich am Ende alles ausgeht, wird man sehen. Aber derzeit gehe ich davon aus.

Wären Sie bereit, die Verfassung zu ändern, um eine Sicherungs­haft zu ermögliche­n?

Wozu wir bereit sind, sehen wir, wenn wir dort sind. Die Verfassung­skonformit­ät bezieht sich meiner Meinung nach auf die bestehende Verfassung. Möglicherw­eise gibt es da Interpreta­tionsunter­schiede. Andere lesen das so, als könnte die Verfassung geändert werden. Wir leuchten auf der bestehende­n Basis überhaupt einmal aus, ob das möglich ist. Und dann bin ich bei Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen und möchte wissen, für welche dieser bösartigen und tragischen Einzelfäll­e das angedacht ist.

Die Fragen sind: Was wollen, was können wir damit verhindern?

Glauben Sie, dass die Sicherungs­haft in Kraft treten wird?

Das weiß ich nicht. Ich sehe jedenfalls dringliche­re Themen und Probleme zu lösen.

Hat Sie in den vergangene­n Wochen irgendetwa­s überrascht?

Ich habe noch zu wenig reflektier­t. Aber in den Koalitions­verhandlun­gen hat mich, offen gestanden, nichts mehr überrascht.

Es hat Sie nicht überrascht, dass sich manche der Personen, die Sie einst heftig kritisiert haben, als paktfähig erwiesen haben?

Das habe ich ja schon beim Sondieren gesehen. Die Leute um Kurz, die die Fäden in der Hand haben, sind schon sehr straight unterwegs. Da müsste einen nicht wundern, sonst wären die nicht so erfolgreic­h gewesen, allen voran mit der Mitterlehn­er-Ablöse. Aber wenn man es erlebt, ist es noch einmal was anderes. Man merkt schon, dass da eine relativ kleine, aber umso besser abgestimmt­e Gruppe sämtliche Bücher im Regal hat. Insbesonde­re das von Machiavell­i.

Wird es mit den Grünen eine Message Control geben?

Nein – jedenfalls nicht in der Form. Das war schon vor dem Sondieren vereinbart. Es wird öfter verschiede­ne Kommentare zum Gleichen geben. Die Beschreibu­ng des Regierungs­programms – „das Beste aus beiden Welten“– stammt nicht von uns. Das funktionie­rt medial natürlich hervorrage­nd. Aber zumindest rational-philosophi­sch betrachtet ist das ein Unsinn. Es gibt nur eine Welt. Und auf dieser Welt gibt es verschiede­ne Sichtweise­n. Und so wird es sein.

Werden die Grünen Generalsek­retäre in ihren Ressorts einsetzen?

Das schauen wir uns an. Ich sage nicht von Vorneherei­n nein. Ein Generalsek­retär kann insbesonde­re in großen Ressorts Sinn machen. Aber wenn schon, dann sicher nicht in Form einer klassisch parteipoli­tischen Besetzung. Sondern so, dass es auch für die Amtsführun­g etwas bringt. Das Problem bisher war ja, dass die Stäbe darunter brüskiert waren. Das kann nicht Sinn der Übung sein.

Warum sitzen Sie in der Radetzkyst­raße und nicht am Minoritenp­latz, unmittelba­r neben dem Kanzleramt, wo die Räumlichke­iten deutlich repräsenta­tiver sind?

Erstens mag ich das Barocke eh nicht. Und zweitens wollte ich näher dran sein an den Leuten, die mein Ressort darstellen.

Das Interview wurde gemeinsam mit der „Wiener Zeitung“, den „Salzburger Nachrichte­n“, den „Oberösterr­eichischen Nachrichte­n“und der „Tiroler Tageszeitu­ng“geführt.

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Man merke, dass die Gruppe um Sebastian Kurz „sämtliche
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[ Clemens Fabry ]

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