Vier neue Minister im Interview
Es gebe dringlichere Themen als eine Sicherungshaft, sagt Vizekanzler Werner Kogler. Message Control werde es mit den Grünen nicht geben.
Werner Kogler, Elisabeth Köstinger, Heinz Faßmann und Leonore Gewessler im Gespräch.
Die Presse: Sebastian Kurz war Ihr politischer Gegner, nun ist er Ihr Verbündeter. Wenn man sich Ihre Wortmeldungen aus dem Wahlkampf vor Augen führt, dann war das wohl keine so leichte Wandlung.
Werner Kogler: Ich habe mich mit den Mehrheitsinteressen in Österreich zu verbünden versucht. Und die waren so gelagert, dass eine ÖVP-FPÖ-Regierung nach all den Vorkommnissen nicht erneut zum Zug kommen sollte. Türkis-Blau wäre nicht völlig ausgeschlossen gewesen, am ehesten über den Weg einer Minderheitsregierung. Die Verbindung zur ÖVP ist eine Folge davon.
Wie sehr misstrauen Sie Sebastian Kurz?
Wir haben die Sondierungen nicht nur aus inhaltlichen Gründen so ausführlich angelegt, sondern auch, um die Vertrauensbildung zu betreiben. Diese Übung hat es gebraucht. Jetzt vertraue ich ihm, so weit die Erfahrung reicht – und die ist ganz gut. So lang wir uns wechselseitig nicht reinlegen, wird das Vertrauen weiter wachsen.
Halten Sie das Team um Sebastian Kurz immer noch für eine Schnöseltruppe?
Ich habe diesen Begriff nicht erfunden. Er stammt von Raiffeisen-affinen ÖVP-Funktionären, die im Jahr 2017 befürchtet haben, dass die vielen jungen Leute um Kurz die Macht in der Partei an sich ziehen. Ich habe das zwischendurch, wie das meine Art ist, aufgegriffen. Ich konnte nicht widerstehen.
Warum haben die Grünen nicht versucht, das Finanzministerium zu bekommen?
Wir haben uns darauf verständigt, nicht von den Ressortüberschriften auszugehen, sondern von den Aufgaben darunter. Als Erstes haben wir auf das Großressort gespielt, das fast ein Doppelressort ist: Klimaschutz plus Infrastruktur. Das Finanzministerium war eine Zeit lang tatsächlich ein Thema für uns. Aber dann hätten wir ein zweites größeres Ressort mit Pflege, Gesundheit und Konsumentenschutz nicht durchgesetzt.
Aber einen Staatssekretär hätten Sie schon ins Finanzministerium setzen können.
Ich erinnere mich noch gut, als Andreas Schieder, den ich gern mag, Finanzstaatssekretär war (2008 bis 2013, Anm.), aber von den Informationen – damals gab es eine Finanzkrise und Bankenaffären – abgeschnitten wurde. Mit uns hat die Ministerin, Maria Fekter, mehr Informationen ausgetauscht als mit ihm. Das hat mich geprägt. Die Mitbeeinflussung der Finanz- und Budgetpolitik kann auch ohne Staatssekretär gelingen. Und die Informationen müssen wir ja sowieso bekommen, sonst gibt es eh eine Krise.
Das heißt: Lunacek ist auch eine Art Außenstaatssekretärin.
Nein, gar nicht – aber sie kommt ja aus dem Metier. Und wenn es imagemäßig dazu beiträgt, dass die Regierung noch deutlich proeuropäischer dasteht, dann war das durchaus nicht unbeabsichtigt.
Ist es nicht so, dass drei Quereinsteigerinnen als Ministerinnen mit Alma Zadic,´ Eva Blimlinger und Leonore Gewessler zu viel für die grüne Basis gewesen wären?
Diese Sorge hatte ich nicht. Ich verstehe auch die Kritik an Ulrike Lunacek nicht. Bei der Nationalratswahl 2017 war ich ihr Stellvertreter. Wir haben gemeinsam verloren – und jetzt ist sie wieder dabei.
Und die grüne Basis?
Mein Bezug zur Basis ist unmittelbar. Mir ist wichtig, dass ich verstanden werde. Ich wäre auch vor dem Bundeskongress zu
Basisveranstaltungen gegangen, hätte ich die Zeit dazu gehabt. Und Quereinsteigerinnen haben hinter mir in fast allen Bundesländern kandidiert. Aber insgesamt gilt: Das ist ein Ritt auf der Rasierklinge. Ich habe immer mit dem Clint-Eastwood-Prinzip argumentiert. Dirty Harry reitet in die Stadt – und der Rest ergibt sich.
Sie wollen die Steuer- und Abgabenquote unter 40 Prozent senken und keine neuen Schulden machen. Gleichzeitig enthält das Regierungsprogramm manch ehrgeizigen Punkt, von der Pflegeversicherung bis zur ökosozialen Steuerreform. Wie soll sich das finanziell ausgehen?
Am Ende der Verhandlungen hat der Fiskalrat mehrjährige Prognosen abgeliefert. Wenn die Wirtschaft nicht komplett einbricht, sind wir eineinhalb bis zwei Milliarden Euro im Plus. Wir sind bei der Vermessung des Budgetpfads sogar von einem leichten Minus – 400 bis 500 Millionen Euro – ausgegangen. Insofern ist da ein gewisser Spielraum. Bei der Formel ausgeglichener Haushalt, die der Finanzminister zweimal hintereinander erreichen möchte, muss man sagen, dass das schwanken kann. Natürlich innerhalb des europäischen Rechtsrahmens – Schuldenbremsen hin oder her. Bei Krisen müssen wir reagieren können.
Der ausgeglichene Haushalt hängt also am Konjunkturzyklus.
Ja, so steht es auch drinnen. Gleichzeitig ist vereinbart, dass die Investitionen – etwa in den öffentlichen Verkehr – gesichert sein müssen. Ob sich am Ende alles ausgeht, wird man sehen. Aber derzeit gehe ich davon aus.
Wären Sie bereit, die Verfassung zu ändern, um eine Sicherungshaft zu ermöglichen?
Wozu wir bereit sind, sehen wir, wenn wir dort sind. Die Verfassungskonformität bezieht sich meiner Meinung nach auf die bestehende Verfassung. Möglicherweise gibt es da Interpretationsunterschiede. Andere lesen das so, als könnte die Verfassung geändert werden. Wir leuchten auf der bestehenden Basis überhaupt einmal aus, ob das möglich ist. Und dann bin ich bei Bundespräsident Alexander Van der Bellen und möchte wissen, für welche dieser bösartigen und tragischen Einzelfälle das angedacht ist.
Die Fragen sind: Was wollen, was können wir damit verhindern?
Glauben Sie, dass die Sicherungshaft in Kraft treten wird?
Das weiß ich nicht. Ich sehe jedenfalls dringlichere Themen und Probleme zu lösen.
Hat Sie in den vergangenen Wochen irgendetwas überrascht?
Ich habe noch zu wenig reflektiert. Aber in den Koalitionsverhandlungen hat mich, offen gestanden, nichts mehr überrascht.
Es hat Sie nicht überrascht, dass sich manche der Personen, die Sie einst heftig kritisiert haben, als paktfähig erwiesen haben?
Das habe ich ja schon beim Sondieren gesehen. Die Leute um Kurz, die die Fäden in der Hand haben, sind schon sehr straight unterwegs. Da müsste einen nicht wundern, sonst wären die nicht so erfolgreich gewesen, allen voran mit der Mitterlehner-Ablöse. Aber wenn man es erlebt, ist es noch einmal was anderes. Man merkt schon, dass da eine relativ kleine, aber umso besser abgestimmte Gruppe sämtliche Bücher im Regal hat. Insbesondere das von Machiavelli.
Wird es mit den Grünen eine Message Control geben?
Nein – jedenfalls nicht in der Form. Das war schon vor dem Sondieren vereinbart. Es wird öfter verschiedene Kommentare zum Gleichen geben. Die Beschreibung des Regierungsprogramms – „das Beste aus beiden Welten“– stammt nicht von uns. Das funktioniert medial natürlich hervorragend. Aber zumindest rational-philosophisch betrachtet ist das ein Unsinn. Es gibt nur eine Welt. Und auf dieser Welt gibt es verschiedene Sichtweisen. Und so wird es sein.
Werden die Grünen Generalsekretäre in ihren Ressorts einsetzen?
Das schauen wir uns an. Ich sage nicht von Vorneherein nein. Ein Generalsekretär kann insbesondere in großen Ressorts Sinn machen. Aber wenn schon, dann sicher nicht in Form einer klassisch parteipolitischen Besetzung. Sondern so, dass es auch für die Amtsführung etwas bringt. Das Problem bisher war ja, dass die Stäbe darunter brüskiert waren. Das kann nicht Sinn der Übung sein.
Warum sitzen Sie in der Radetzkystraße und nicht am Minoritenplatz, unmittelbar neben dem Kanzleramt, wo die Räumlichkeiten deutlich repräsentativer sind?
Erstens mag ich das Barocke eh nicht. Und zweitens wollte ich näher dran sein an den Leuten, die mein Ressort darstellen.
Das Interview wurde gemeinsam mit der „Wiener Zeitung“, den „Salzburger Nachrichten“, den „Oberösterreichischen Nachrichten“und der „Tiroler Tageszeitung“geführt.