Die Presse

Wie Tirana sein internatio­nales Profil stärken will

Diplomatie. Albanien hat Anfang des Jahres den OSZE-Vorsitz übernommen. Nun muss sich ein Land als fähiger Vermittler beweisen, das seit Langem nicht in der Lage ist, seine eigenen politische­n Probleme zu lösen.

-

Es war ein Hilferuf, der die Organisati­on für Sicherheit und Zusammenar­beit in Europa (OSZE) in Wien aus Tirana erreichte. Albaniens Staatspräs­ident bat darin um Vermittlun­g wegen der dramatisch­en Lage in seinem Land. „Die politische Krise in Albanien wird von Tag zu Tag schlimmer“, schrieb Ilir Meta. „Politische und soziale Spannungen wachsen, und die Polarisier­ung zwischen den gegnerisch­en Seiten eskaliert.“Das war im Juli vergangene­n Jahres. Heute, sechs Monate später, steht Albanien selbst an der Spitze der Sicherheit­sorganisat­ion.

Albaniens sozialisti­scher Premiermin­ister, Edi Rama, der zu Jahresbegi­nn den OSZE-Vorsitz übernommen hat, sprach am Donnerstag bei seinem Antrittsbe­such in Wien dann auch viel von dem Beitrag, den die OSZE bei der Lösung von Konflikten spielen müsse. „Die oberste Priorität unseres Vorsitzes ist es, vor Ort etwas zu bewirken“, sagte Rama vor den versammelt­en

OSZE-Botschafte­rn. Nicht wenige von ihnen hatten der Idee, Albanien den Vorsitz zu gewähren, skeptisch gegenüberg­estanden. Bis heute gibt es eine OSZE-Mission in Tirana, um Albanien zu helfen, seine demokratis­chen Institutio­nen zu entwickeln sowie Rechtsstaa­t und Menschenre­chte zu etablieren. Nun muss sich ein Land als fähiger Vermittler beweisen, das seit Langem nicht in der Lage ist, seine eigenen Probleme zu lösen.

Und die Aufgabenli­ste ist lang – zumal auch die OSZE alles andere ist als eine Organisati­on, in der es harmonisch zugeht. Seit Langem verlaufen dort die Fronten zwischen Russland auf der einen und den westlichen oder westlich orientiert­en Staaten auf der anderen Seite. Diplomaten sehen die Stärke der OSZE deshalb vor allem in der Tatsache, dass alle Kontrahent­en überhaupt an einem Tisch sitzen.

Ganz oben auf der Agenda steht auch für Albaniens Vorsitz der Konflikt in der Ostukraine, wo die OSZE eine große Beobachter­mission unterhält. Zwar hat sich seit dem ersten Gipfeltref­fen zwischen dem russischen Präsidente­n, Wladimir Putin, und seinem neuen ukrainisch­en Amtskolleg­en, Wolodymyr Selenskij, Anfang Dezember 2019 und dem Austausch von Gefangenen leiser Optimismus breitgemac­ht. Viel verändert hat sich vor Ort aber bisher nicht. „Während es einige ermutigend­e Signale in der Krise gegeben hat, die wir begrüßen, ist der Weg zu einem dauerhafte­n Frieden noch weit“, sagte Rama in seiner Rede. In den kommenden Wochen will er deshalb selbst in die Ukraine reisen.

Mit dem OSZE-Vorsitz will Albanien seine Profil auf der internatio­nalen Bühne stärken. Seit 2014 ist das Land auch EU-Beitrittsk­andidat; die Aufnahme von Beitrittsv­erhandlung­en ist bisher aber am Widerstand Frankreich­s gescheiter­t. Tirana hat sich deshalb ein ehrgeizige­s OSZE-Programm verordnet, wie Rama ausführte. So wolle man sich besser um moderne Sicherheit­sbedrohung­en wie Cyberangri­ffe kümmern, Antisemiti­smus und zunehmende Hassverbre­chen bekämpfen und die Rolle von Frauen fördern.

Wie die Bilanz Ende des Jahres aussieht, ist freilich offen. Weitaus erfahrener­e Staaten sind vor Tirana daran gescheiter­t, die unterschie­dlichen Standpunkt­e innerhalb der OSZE zu versöhnen. Auch der slowakisch­e Vorsitz vom Vorjahr verabschie­dete sich enttäuscht. So beklagte der slowakisch­e Außenminis­ter, Miroslav Lajcˇak,´ im Dezember, der politische Wille zu gemeinsame­n Lösungen sei schlicht nicht vorhanden. „Ohne diesen bewegen wir uns immer nur im Kreis.“

Newspapers in German

Newspapers from Austria