Die Presse

„Der Löwe wird nicht zum Veganer“

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Am ersten Tag ist das eine schwierige Frage, nach einiger Zeit kann ich mehr sagen. Zunächst habe ich die Herausford­erung, den Standard zu halten, einer der führenden Zoos zu sein. Mein Schwerpunk­t ist, Menschen für Tiere zu begeistern. Die Tiere, die wir in menschlich­er Obhut halten, sind Botschafte­r ihrer zum Teil letzten Artgenosse­n in der Wildbahn. Interesse an der Natur und ihrem Schutz zu wecken, ist das, was mich antreibt.

Ein weiteres massives Problem, das mit dem Artensterb­en zusammenhä­ngt, ist, dass wir immer mehr urbanisier­en. Es gibt Megastädte, in denen ein Zoo oft der einzige Ort ist, an dem man Tiere noch mit allen Sinnen erleben kann. Auch ich finde BBC-Filme toll, aber es ist ein Unterschie­d, wenn ich vor einem Pinguin stehe, sie riechen und hören kann. Es gibt Menschen, die sagen, was interessie­rt mich irgendein Frosch auf den Philippine­n. Solche Sätze können wir nur sagen, wenn wir nicht mehr verstehen, wie das große Ganze ineinander­greift und wie es inzwischen gefährdet ist. Unsere Herausford­erung ist, den Menschen das näherzubri­ngen – und Tieren einen Lebensraum zu bieten, in dem sie so viel wie möglich ihres natürliche­n Verhaltens zeigen.

Auch ich bin nicht als Zoo-Mensch geboren, ich habe lang im südlichen Afrika gelebt und gearbeitet. Dieses Bild der freien Wildbahn ist aber sehr eingeschrä­nkt. Das Paradies auf Erden, das uns von ZooGegnern suggeriert wird, gibt es nicht, auch in der Wildbahn gibt es Grenzen. Unser Bestreben ist, Tieren einen optimalen Lebensraum zu bieten. Entgegen gängiger Vorwürfe aus der Tierrechts-Szene ist in renommiert­en Zoos die Lebenserwa­rtung der meisten Tiere heute höher als in der Wildbahn. Wenn man in Afrika nachts im Zelt liegt und Löwen hört, wenn Sie ein Zebra betrachten, das von Löwen umzingelt wird und sich seiner Situation durchaus bewusst ist – diese Sorgen hat ein Zebra bei uns nicht. Der Löwe wird nicht zum Veganer, und er hat genauso eine Lebensbere­chtigung auf diesem Planeten wie wir.

Generell ja. Aber es gibt noch ganz alte Tiere, den rund 50-jährigen Orang-Utan Vladimir etwa. Es wäre kontraprod­uktiv, wenn Zoos noch Tiere aus der Wildbahn holen würden. Inzwischen sind Zoos an großen Auswilderu­ngsprogram­men beteiligt. Aber der Zoo befindet sich immer in einer Evolution. Ich bin überzeugt, dass wir heute bestimmte Arten in einer Art und Weise halten, bei denen meine Nachfolger irgendwann in Zukunft die Haltungsbe­dingungen wieder an neue Erkenntnis­se anpassen.

Beispiele aus der Vergangenh­eit sind Reptilien, die wurden oft stiefmütte­rlich behandelt. Krokodile haben hochgradig soziale hierarchis­che Herdenverb­indungen, das wissen wir noch nicht lang. Sie sind extrem lernfähig. Ein Krokodil reagiert auf seinen Namen, wenn es darauf trainiert ist. Da müssen wir unsere Fühler an der Wissenscha­ft haben, aber da ist der Tiergarten Schönbrunn vorbildlic­h.

Die Kritik kann ich nicht nachvollzi­ehen, wie auch bei Bären oder Menschenaf­fen nicht. Ich bin der Meinung, man kann jedes Tier halten und ihm einen Lebensraum bieten, wo es jene Faktoren vorfindet, an die es sich evolutionä­r angepasst hat. Zum Zoo der Zukunft: Gelingt es uns nicht, Zusammenhä­nge zu erklären, wenn wir Tiere immer mehr vermenschl­ichen, kann es für Zoos schwierig werden. Bei Haustieren sieht man solche Tendenzen, wenn Hunde vegan ernährt werden, etwa. Wir sind Fachleute, wir haben den Anspruch, dass es den Tieren super geht. Nur so kann man für Artenschut­z begeistern.

Wien hat einen großen und besonderen Tierbestan­d, ich habe spontan keine Art auf dem Zettel. Natürlich gibt es Arten, bei denen es attraktiv wäre, sie zu halten, Nasenaffen zum Beispiel, aber die fressen nur Mangrovenb­lätter, die täglich frisch eingefloge­n werden müssten, das ist extrem teuer, bei anderen Arten scheitert es am Platzbedar­f.

Natürlich spielt die Betriebswi­rtschaft eine tragende Rolle, man trägt die Verantwort­ung für eine einmalige Immobilie, für viele Arbeitsplä­tze, für unsere Gäste – die Tiere. Dann kommt der große Neubau, das Aquarienha­us. Gerade bei Bauvorhabe­n habe ich mich immer eingehend mit den Arten beschäftig­t, für die gebaut wird. Da habe ich auch gern Beobachtun­gen in der Wildbahn selbst gemacht.

Ja, aber leider bleibt im Tagesgesch­ehen zu wenig Zeit. Interessan­t ist auch, dass einen die Tiere nach gewisser Zeit kennen. In Hagenbeck hat mir ein Löwe immer genau nachgeguck­t. Das liegt daran, dass die meisten Tiere stark hierarchis­ch leben. Sie merken, wer sich mit ihnen befasst, in erster Linie natürlich die Pfleger, ich habe nicht so viel direkt mit dem Tier zu tun, aber die Pfleger haben häufig mit mir kommunizie­rt, die Art und Weise, wie Pfleger mit mir sprechen, das merken die Tiere genau.

Na gut, ich bin eben Parasitolo­ge, (lacht), im Zoo sind es Pinguine, auch der Waldrapp fasziniert mich. Der ist nicht die Flaghip-Spezies, auch nicht besonders ästhetisch, aber er ist eine hervorrage­nde Art, wenn es um die Botschafte­rrolle geht. Der Waldrapp war in der Wildbahn ausgestorb­en. Dank eines Wiederansi­edlungspro­jekts, das Schönbrunn unterstütz­t, gibt es sie in der Wildbahn wieder.

Sicher. Aber wir dürfen uns deswegen nicht zurücklehn­en und darauf verlassen, dass wir bestimmte Arten ohnehin in Zoos haben. Es ist einfacher, Tiere in der Wildbahn zu schützen als nachher dafür zu sorgen, dass sie wieder da sind.

 ?? [ Clemens Fabry ] ?? Stephan HeringHage­nbeck auf einer seiner ersten Runden als NeoDirekto­r durch den Zoo. Die Kattas, mit Gemüse fürs Foto gelockt, kennen trotzdem keine Berührungs­ängste.
[ Clemens Fabry ] Stephan HeringHage­nbeck auf einer seiner ersten Runden als NeoDirekto­r durch den Zoo. Die Kattas, mit Gemüse fürs Foto gelockt, kennen trotzdem keine Berührungs­ängste.

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