Die Presse

Das Muhammed-Missverstä­ndnis

Politikum. Einer der häufigsten Babynamen Wiens ist alles andere als ein religiöses Statement. Die FPÖ ortet dennoch die Islamisier­ung der Stadt – und fängt sich eine Anzeige wegen Verhetzung ein.

- VON KÖKSAL BALTACI UND TERESA WIRTH

Es war wohl eine Frage der Zeit, bis diese schon seit Jahren anhaltende Entwicklun­g zu einem Politikum wird – inklusive Frontenbil­dung in sozialen Medien, heftigem Schlagabta­usch zwischen FPÖ und SPÖ und sogar einer Anzeige wegen Verhetzung.

Das alles, weil Muhammed (in unterschie­dlichen Schreibwei­sen) im vergangene­n Jahr der vierthäufi­gste Babyname in Wien war – nach Alexander, David und Maximilian. Im 10., 15. und 20. Bezirk wurde der Name des muslimisch­en Propheten sogar am häufigsten vergeben, wie die Stadt Wien (MA 23) am Dienstag mitteilte. In diesen Bezirken ist der Anteil an Menschen mit beispielsw­eise türkischem, bosnischem und arabischem Migrations­hintergrun­d besonders hoch. Länder und Kulturen, in denen Muhammed seit jeher zu den gängigsten Vornamen gehört – und zwar unabhängig vom Grad der Religiosit­ät der jeweiligen Familien. Ähnlich wie etwa Lukas, Johannes und David in österreich­ischen Familien.

Selbst Eltern, für die der Islam im Alltag so gut wie keine Rolle spielt oder die sich sogar als nicht religiös bezeichnen, geben ihren Söhnen den Namen Muhammed. Nicht als religiöses oder gar politische­s Statement, sondern beispielsw­eise deshalb, weil ihre eigenen Väter oder Großväter schon so heißen – Namen innerhalb der Familie weiterzuge­ben, ist in der türkischen Kultur das wahrschein­lich häufigste Motiv bei der Entscheidu­ngsfindung eines Namens. Traditione­n und Sitten

Auch Traditione­n, Sitten und Gewohnheit­en spielen eine Rolle, so ist Muhammed ein quer durch alle sozialen und gesellscha­ftlichen Schichten geachteter wie beliebter Name, den man nicht buchstabie­ren muss – vergleichb­ar mit Sara bei Mädchen, der (in seinen verschiede­nen Schreibwei­sen) auch in Wien im vergangene­n Jahr am häufigsten vergeben wurde.

Auch Ali, ebenfalls ein sehr gängiger Name in der Türkei und im arabischen Raum, hat zumeist keinen religiösen Hintergrun­d, obwohl er auf den Namen des Cousins des Propheten Muhammed (daher auch die Glaubensri­chtung der „Aleviten“) zurückzufü­hren ist. Übrigens: Viele Kinder und Jugendlich­e namens Muhammed werden im Alltag (auch von ihren Eltern) gar nicht so genannt, sondern bevorzugen Spitznamen bzw. Abkürzunge­n wie „Mo“und „Much“.

Für Dominik Nepp, Obmann der Wiener FPÖ, sind die 127 Muhammeds, die 2019 in Wien geboren wurden, dennoch ein „alarmieren­des Symptom dafür, wie sehr die ungehemmte Zuwanderun­g bereits unsere Freiheit, Gleichbere­chtigung und Demokratie bedroht“. Er fordert in einer Aussendung einen „sofortigen Zuwanderun­gsstopp“, um Freiheit und Gleichbere­chtigung für künftige Generation­en in Wien zu gewährleis­ten. „Wir brauchen keinen islamistis­chen Gottesstaa­t und wollen keine Stadt Muhammeds im Herzen Europas. Die Islamisier­ung bedroht unseren sozialen Frieden“, sagt Nepp.

Eine Reaktion von Integratio­nsstadtrat Jürgen Czernohors­zky (SPÖ) ließ nicht lang auf sich warten: „Der Hass der FPÖ gerät völlig außer Kontrolle. Vizebürger­meister Dominik Nepp macht jetzt sogar schon Neugeboren­e zur Zielscheib­e seines Hasses“, schreibt er auf Facebook. Und weiter: „Ihm sei gesagt: Egal, wie wir heißen, wir alle sind Wien! Unser Zusammenha­lt ist stärker als eure kläglichen Spaltversu­che.“ „Genug ist genug“: Anzeige

Auch eine Anzeige wegen Verhetzung brachten dem FPÖ-Obmann seine Aussagen mittlerwei­le ein. „Wir erstatten eine Anzeige gegen Dominik Nepp! Genug ist genug“, verkündet der Aktivist Muhammed

Yüksek in einem Facebook-Video, in dem er vor einer Polizeiins­pektion steht. Wie Polizeispr­echer Paul Eidenberge­r der „Presse“bestätigt, wurde eine Sachverhal­tsdarstell­ung an die Staatsanwa­ltschaft weitergele­itet, die den Fall nun strafrecht­lich prüft. Zudem sei auch das Landesamt für Verfassung­sschutz und Terrorismu­sbekämpfun­g informiert worden.

Für FPÖ-Landespart­eisekretär Michael Stumpf ist die Anzeige eine „Bestätigun­g für die Warnungen vor einer Islamisier­ung Wiens“. Dass Muhammed Yüksek bei der SPÖ aktiv sei und in der Vergangenh­eit durch radikale Forderunge­n wie „Erziehungs­camps für FPÖ-Politiker“aufgefalle­n sei, bringe die SPÖ in Erklärungs­not. Stumpf: „Noch leben wir aber in einer freien Gesellscha­ft, in der Meinungsfr­eiheit herrscht.“

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