Die Presse

„X of Auschwitz“als Büchertren­d

Fiktion und Holocaust. Autor John Boyne („Der Junge im gestreifte­n Pyjama“) hat vor Auschwitz als Verkaufsma­sche gewarnt. Das Auschwitz Memorial Museum reagierte – mit einer Warnung vor Boynes Roman.

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Mit seinem Roman über den Sohn eines KZAufseher­s, der sich im Lager „Out-With“mit einem jüdischen Buben anfreundet, hat der Ire John Boyne 2006 einen Welterfolg gelandet. „Der Junge im gestreifte­n Pyjama“wurde in 46 Sprachen übersetzt und erfolgreic­h verfilmt. Nun hat sich Boyne jedoch auf Twitter Kritik vom Auschwitz Memorial Museum eingetrage­n – nachdem er selbst in Auschwitz spielende Romane kritisiert hatte.

Boyne hatte am 7. Jänner Unbehagen angesichts einer Inflation von Romanen geäußert, die Titel nach dem Muster „X of Auschwitz“trügen: etwa „Der Tätowierer von Auschwitz“, „Die Brüder Auschwitz“, „Der Saboteur von Auschwitz“oder „Der Bibliothek­ar von Auschwitz“. Er habe das Gefühl, tweetete der 48-Jährige, dass „Verleger und Autoren ein Genre aufbauen, das sich gut verkauft“. Das Thema sollte mit „ein wenig mehr Nachdenken und Rücksicht“behandelt werden. „Wir verstehen diese Bedenken“, twitterte daraufhin das Auschwitz Memorial Museum, „und wir haben bereits auf Ungenauigk­eiten in manchen veröffentl­ichten Büchern hingewiese­n.“Und es verlinkte zu einem Essay, der vor dem Roman „Der Junge im gestreifte­n Pyjama“, warnte: Er trage dazu bei, „gefährlich­e Mythen über den Holocaust zu zementiere­n“. Die Kritikpunk­te darin sind nicht neu, der wichtigste: Die Figur des kleinen unwissende­n Bruno könne den Glauben nähren, dass die meisten deutschen Zivilisten nichts über die Vorgänge in den Lagern gewusst hätten. Außerdem gab es keine untätigen neunjährig­en jüdischen Buben wie Brunos Freund in Auschwitz – Kinder dieses Alters wurden meist direkt in die Gaskammern geschickt.

Boynes Twitter-Kritik zielte freilich gar nicht auf historisch­e Unwahrsche­inlichkeit­en, sondern auf Auschwitz als Verkaufsma­sche auf dem Buchmarkt. Den von ihm konstatier­ten Hang zum Genre „X of Auschwitz“gibt es im englischsp­rachigen Raum jedenfalls: Es begann 2017 mit „The Librarian of Auschwitz“über ein 14-jähriges Mädchen, das beginnt, sich um Bücher der Häftlinge zu kümmern. 2018 erschien „The Tattooist of Auschwitz“(unter dem Titel „Der Tätowierer von Auschwitz“bei Piper erschienen): eine Liebesgesc­hichte über einen Mann, der sich in ein Mädchen verliebt, dem er die Lagernumme­r eintätowie­ren musste. 2019 kam nicht nur eine Fortsetzun­g, „Cilka’s Journey“, sondern auch der

Roman „The Saboteur of Auschwitz“über einen in Auschwitz inhaftiert­en britischen Soldaten; der Verlag nannte als dessen Zielgruppe ausdrückli­ch „Fans von ,The Tattooist of Auschwitz‘“und ,The Librarian of Auschwitz‘. Ebenfalls 2019 erschien „The Brothers of Auschwitz“. Außer Letzterem berufen sich alle Romane dabei auf „wahre Begebenhei­ten“, von Häftlingen erzählt.

Es ist diese Vermischun­g, die auch Institutio­nen wie das Holocaust Memorial Museum als heikel sehen: weil sie Leser dazu verleiten kann, Fiktion mit Fakten zu verwechsel­n.

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