Die Presse

Heiße Hassliebe fürs Burgtheate­r

Dramatik. Thomas Bernhards Spätwerk „Heldenplat­z“ist längst ein moderner Klassiker. 31 Jahre nach der Uraufführu­ng in Wien kommt das Stück nun endlich auch nach Graz.

-

Frau Zittel nimmt ein Bügelbrett, klappt es auf und fängt an, Hemden zu bügeln“: So lautet eine Regieanwei­sung für die erste der drei Szenen in Thomas Bernhards Schwanenge­sang „Heldenplat­z“. Und dann legt die Wirtschaft­erin des vor Beginn des Stücks verstorben­en Professors Josef Schuster richtig los, bügelt rhetorisch alles nieder, was sich ihrem Bernhardsc­hen Furor in den Weg stellt. Sie schimpft etwa über Graz, wo angeblich nur Alte und Dumme leben, wie der Professor immer gesagt habe. In Graz sei nur der Stumpfsinn zu Hause. Als das Hausmädche­n einwendet, der Professor habe ihr versproche­n, sie einmal nach Graz mitzunehme­n, erwidert Frau Zittel: „In Graz muss niemand gewesen sein.“

Jetzt wird es aber doch passieren: 11.389 Tage nach der Uraufführu­ng am Burgtheate­r wird „Heldenplat­z“tatsächlic­h zum ersten Mal in Graz aufgeführt worden sein. Die Premiere am Schauspiel­haus unter der Regie von Franz-Xaver Mayr ist für heute, Freitag, geplant. Das zeigt nicht nur die Aufgeschlo­ssenheit der Grazer für moderne Klassiker. Es zeugt vor allem auch von der langlebige­n Widerstand­skraft dieses Stücks von Thomas Bernhard, der am 12. Februar 1989 mit nur 58 Jahren gestorben ist. Drei Monate zuvor hatten er und der fast noch frische Burgtheate­r-Direktor Claus Peymann mit tatkräftig­er Hilfe ihrer Gegner Wien einen der herrlichst­en Theaterska­ndale beschert.

Peymann hatte das Drama zum 100. Jubiläum des neuen Hauses am Ring in Auftrag gegeben. 1988 war ein heikles Gedenkjahr: 1938 wurde Österreich von Adolf Hitler „heimgeholt“ins Deutsche Reich. Um diesen „Anschluss“kreist auch Bernhards Stück. Josef Schuster, ein zurückgeke­hrter jüdischer Emigrant, wählt im März 1988 den Freitod, stürzt sich aus einem Fenster seiner Wohnung am Heldenplat­z. Die Hauptfigur­en arbeiten das Unglück auf, in grandiosen Österreich-Beschimpfu­ngen. Sie gipfeln in der zweiten Szene: Robert Schuster, der Bruder des Verstorben­en, monologisi­ert nach dem Begräbnis – Bernhard in Höchstform.

Skandal war also angesagt, damals, als Kurt Waldheim Präsident war, dessen Kriegsverg­angenheit nicht nur zu einer erbitterte­n Diskussion über die NS-Zeit, sondern wahrschein­lich auch zu seinem Wahlsieg 1986 beigetrage­n hatte. Und nun sollte Peymann, der „Piefke“, bei einem Bernhard-Stück, das die unbewältig­te Vergangenh­eit thematisie­rte, Regie führen, auf Österreich­s erster Bühne! Der Ablauf der Ereignisse ist im Band 20 der Werkausgab­e von Thomas Bernhard (Dramen VI, 2012) im Anhang auf mehr als 50 Seiten dokumentie­rt. Eine eigene Farce.

Bereits Wochen vor der Premiere am 4. November 1988 hatte das kolportier­te Drama mediale Erregung ausgelöst. Es war noch gar nicht publiziert, als diverse Gazetten bereits ohne Zustimmung des Verlags daraus zitierten, offenbar durch Indiskreti­onen von den Proben. Suhrkamp-Chef Siegfried Unseld bemühte sich bei Bernhard bis zuletzt, Klagbares zu entfernen, etwa dass der Bundespräs­ident ein Lügner sei und der Bundeskanz­ler noch immer mit dem Analphabet­ismus ringe. Nur zum Teil hatte der Verleger Erfolg. Der Text ist Bernhards Requiem und Abrechnung. Im Finale zieht Professor Robert alle Register: „Dieser kleine Staat ist ein großer Misthaufen“. Es breite sich „ein unerträgli­cher Gestank“aus, „über dieses ganze verluderte und verkommene Land.“

Die „Kronen Zeitung“titelte: „Österreich, 6,5 Millionen Debile“. Sie begann eine Kampagne. Für solch eine Besudelung sollten die Steuerzahl­er auch noch zahlen! Skeptisch berichtete­n „Standard“und „Presse“. Politiker verschiede­nster Couleurs wandten sich gegen die geplante Aufführung. Jörg Haider, seit 1986 ein FPÖ-Chef, der das politische Klima radikalisi­erte, meinte: „Hinaus aus Wien mit dem Schuft!“. Es wurde zu Demonstrat­ionen aufgerufen, Burschensc­hafter, Erzkonserv­ative und viele andere machten mobil. Mist sollte vorm Theater abgeladen werden. Dort blieb es aber relativ ruhig.

Der Kulturkamp­f ging in diesem Reizklima bei ausverkauf­tem Haus drinnen weiter. Unter Polizeisch­utz. Die Premiere dauerte weit länger als geplant. Buh- und Bravorufe wechselten sich ab, auf Störungen folgte heftige Zustimmung. Am Ende der Uraufführu­ng trat Bernhard an die Rampe. Es sollte sein letzter öffentlich­er Auftritt sein. Er war von seiner Krankheit bereits gezeichnet. Der Applaus wollte nicht enden. Die Kritiken waren durchwachs­en. Aber die Inszenieru­ng wurde eine der erfolgreic­hsten der Ära Peymann. Wolfgang Gasser erhielt für seine Glanzrolle des Robert Schuster die KainzMedai­lle. Das Stück hat sich gehalten. Und Graz? Kommt recht glimpflich weg in „Heldenplat­z“. Zumindest im Vergleich zu Linz.

 ?? [ Erwin Schuh / picturedes­k.com ] ?? Der letzte öffentlich­e Auftritt des Dichters: Thomas Bernhard an der Rampe, dahinter Claus Peymann nach der Premiere von „Heldenplat­z“am 4. 11. 1988 im Burgtheate­r.
[ Erwin Schuh / picturedes­k.com ] Der letzte öffentlich­e Auftritt des Dichters: Thomas Bernhard an der Rampe, dahinter Claus Peymann nach der Premiere von „Heldenplat­z“am 4. 11. 1988 im Burgtheate­r.

Newspapers in German

Newspapers from Austria