Elfriede Jelinek wird liebevoll böse auf den Arm genommen
Kosmos-Theater. Claudia Bossard versieht „Das Werk“raffiniert mit Metaebenen. So kommt die irre Ironie des Stücks besonders gut zur Geltung.
Elfriede Jelinek ist großzügig, wenn es um die Aufführung ihrer Dramen geht. Die österreichische Autorin liefert ergiebigen Stoff, Theaterleute dürfen sich bei ihm bedienen, ungeniert daraus machen, was sie wollen. Im auf Genderthematik spezialisierten Kosmos-Theater hat man von dieser Freiheit am Mittwoch bei der Premiere ausgiebig Gebrauch gemacht. Angesagt war „Das Werk“, in der Inszenierung Claudia Bossards. Doch trog die Erinnerung? Begann die Collage bei der Uraufführung im Akademietheater 2003 nicht ganz anders? Da ging es doch um eine bizarre Zusammenfügung der Toten von Kaprun – um die beim Bau der Tauernkraftwerke Gestorbenen (in der NS-Zeit vor allem Zwangsarbeiter) und jene, die beim Brand der Gletscherbahn im Jahr 2000 umkamen.
Bossard aber hat sich mit ihren Protagonisten einen wunderbaren Spaß erlaubt, ein bissiges Vorspiel auf dem Theater: 20 Minuten diskutieren Jelinek-Experten (gespielt von Veronika Glatzner, Alice Peterhans, Tamara Semzov und Wojo van Brouwer) das weite Werk der verehrten Nobelpreisträgerin. Kapriziös drehen sie sich in den Sesseln, präsentieren ihre klobigen Bergschuhe. Der Professor nebelt sich mit einer Dampfzigarette ein. Alle vier geben pausenlos germanistische Plattitüden von sich.
Man spürt hier die in Jelineks Texten immer auch vorhandene gegen sich selbst gerichtete Ironie heraus. Ein Jahrmarkt der Eitelkeit, die Kunst der Unterbrechung und des Niederredens der anderen wird zelebriert. Stumm steht im Hintergrund ein Kellner (Lukas David Schmidt). Erst wenn dieser nach dem Vorspiel spricht, fängt der eigentliche JelinekText an. Leise klingt dazu aus dem Ghettoblaster „Junge, komm bald wieder“(Musik und Video: Annalena Fröhlich). Nur WerkFragmente sind zu hören, die Essenz sozusagen. Immer wieder gibt es Zwischen-Diskurse. Das Quartett streitet sogar darum, wer die tollste persönliche Begegnung mit der Dichterin hatte (alle waren sie flüchtig). Im Hintergrund sieht man das Video-Standbild eines gewaltigen Bergmassivs. Auf den Screen wird später Bewegung kommen, das Kreuzfahrtschiff Harmony taucht mehrmals in den Alpen auf, mit lautem Nebelhorn. Ein Gegen-Berg stürzt vom Himmel.
Vor dieser Apokalypse aber, die mit einer langen Filmszene einstürzender Gebäude endet, gibt es fast zwei Stunden Spaß. Alle fünf Darsteller sind originell, hervorragend in der Kleinkunst der Jelinek-Exegese. Nur punktuell wirkt die mit Klamauk, mit Turnübungen, Gesangseinlagen und einer Lesung versehene Gesellschaftskritik dann doch etwas zu frivol – wenn es konkret um die Toten geht. Und das große Finale wird vielleicht etwas zu exzessiv zelebriert. Fazit: eine respektlose Inszenierung. So liebevoll böse gibt Jelineks Werk tatsächlich viel her.