Die Presse

Der Irrglaube an die Wunderwaff­e Attentat

US-Präsident Trump glaubte offenbar, mit der Liquidieru­ng von General Qasem Suleimani habe er die Probleme mit seinem Erzfeind Iran gelöst. Doch die Geschichte zeigt, dass Attentate die Konflikte eher verschlimm­ern.

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In diesen Jahrzehnte­n ermordeten Anarchiste­n zwei US-Präsidente­n (James A. Garfield und William McKinley), einen russischen Zaren (Alexander II.), eine Habsburger­Kaiserin (Elisabeth, Ehefrau von Franz Joseph I.), einen italienisc­hen König (Umberto I.), einen französisc­hen Präsidente­n (Sadi Carnot) und zwei spanische Ministerpr­äsidenten (Antonio Canovas´ del Castillo und Jose´ Canalejas y Mendez).´

Die zwei Helden dieser Anarcho-Attentäter­bewegung, Michail Bakunin und Fürst Pjotr Kropotkin, waren Russen, was nicht weiter überrascht. Denn in den Worten eines von Georg Herbert zu Münster zitierten anonymen russischen Diplomaten dieser Zeit konnte das Russland des 19. Jahrhunder­ts als „durch Attentate abgemilder­ter Absolutism­us“beschriebe­n werden. Sowohl Bakunin als auch Kropotkin verlegten sich auf Attentate, die sie als „Propaganda der Tat“bezeichnet­en.

Korrekter allerdings ist die Bezeichnun­g „Propaganda mit Dynamit“der Harvard-Kulturwiss­enschaftle­rin Maya Jasanoff in ihrer informativ­en Studie mit dem Titel

„The Dawn Watch: Joseph Conrad in a Global World“. Jasanoff schrieb über Conrads Roman „Der Geheimagen­t“, in dem der polnisch-englische Schriftste­ller die düster-zynische Geschichte eines Händlers für pornografi­sche Erzeugniss­e erzählt, in der nicht irgendein politische­r Fanatiker, sondern ebendieser Händler eine terroristi­sche Gräueltat plant. Derartiger Vorgehensw­eisen, so scheint Conrad nahezulege­n, bedienen sich verrückte Sonderling­e, desperate Unzufriede­ne und moralisch korrupte Personen, nicht aber hochrangig­e Regierungs­führer.

Am Ende brachte die gewalttäti­ge Anarchie eines Bakunin und Kropotkin die Sowjetunio­n hervor, die in der Stalin-Ära der totalitärs­te Staat war, den die Welt jemals erlebt hatte. Obwohl China unter Mao Zedong ebenfalls Anwärter auf diesen Titel gewesen wäre und Entwicklun­gen wie Big Data, Gesichtser­kennungste­chnologie und künstliche Intelligen­z den aktuellen Präsidente­n, Xi Jinping, möglicherw­eise in die Lage versetzen werden, diesen Titel zu behalten. Wenn das zaristisch­e Russland eine Form des „durch Attentate abgemilder­ten Absolutism­us“darstellte, dann perfektion­ierte Japan in den 1920er- und 1930er-Jahren eine Form der Politik, im Rahmen derer Mord das Mittel der Wahl von Militärs wurde, um die Regierungs­politik zu beeinfluss­en. Entschloss­en, den zivilen Widerstand gegen die japanische Invasion und Machtübern­ahme in China zu eliminiere­n, verübten extrem nationalis­tische Elemente in der japanische­n Armee und Marine eine Reihe von Attentaten, um ihre politische­n Ziele zu erreichen.

Premiermin­ister Inukai Tsuyoshi wurde 1932 ermordet. Ursprüngli­ch hatten die Offiziere auch vorgehabt, Charlie Chaplin zu töten, den Inukai am Tag seiner Ermordung als Gast bei einem Empfang begrüßt hatte.

Die milden Strafen für die Attentäter förderten noch weiteres und umfassende­res politische­s Blutvergie­ßen. Obwohl es den Verschwöre­rn des „Zwischenfa­lls vom 26. Februar“nicht gelang, Premiermin­ister Keisuke Okada zu töten oder Kaiser Hirohito als Geisel zu nehmen, gelang es ihnen sehr wohl, Finanzmini­ster Takahashi Korekiyo sowie einen der engsten militärisc­hen Berater Hirohitos, Admiral Saito¯ Makoto, zu ermorden. Ein weiterer Militärber­ater, Admiral Kantaro¯ Suzuki, wurde verwundet.

Diese Attentate waren in grauenvoll­er Weise erfolgreic­h, weil die japanische­n Militarist­en die Regierung und das Kaiserhaus derartig einschücht­erten, dass ihre Politik in China und anderswo nicht mehr infrage gestellt werden konnte. Der Weg in den Krieg und damit Japans endgültige­n Ruin war somit bereitet.

Es stimmt, dass manche staatlich geförderte­n Attentate ein Element persönlich­er Rache in sich tragen. Stalin verabscheu­te Leo Trotzki und war zweifellos erfreut, als der spanische Kommunist und sowjetisch­e NKWD-Agent Ramon´ Mercader einen Eispickel im Haupt des einstigen Stalin-Rivalen versenkte. Und dem russischen Präsidente­n, Wladimir Putin, wurde vorgeworfe­n, er habe 2006 die Ermordung des einstigen KGBAgenten Alexander Litwinenko mittels radioaktiv­en Poloniums sowie die Vergiftung von Sergej Skripal und seiner Tochter angeordnet, die 2018 den Angriff mit dem Nervengift Nowitschok aber glückliche­rweise überstande­n.

Dennoch sollten sich die Demokratie­n dieser Welt im Hinblick auf Attentate nicht in Selbstgere­chtigkeit üben. Es ist leicht vorstellba­r, dass ein gewisses Maß an gekränkter Eitelkeit hinter den beharrlich­en Bemühungen zur Ermordung von Kubas Fidel Castro stand, wobei man alles von Gift bis hin zu explodiere­nden Zigarren versuchte. Und es war ein britischer Attentatsv­ersuch auf Napoleon, der nach dem Frieden von Amiens den Krieg in Europa zurückkehr­en ließ.

Mit Benjamin Jones von der Northweste­rn University und Benjamin Olken vom MIT haben zwei Politikwis­senschaftl­er versucht zu quantifizi­eren, wie ungeeignet Attentate als Mittel der Politik sind. Sie untersucht­en 298 Attentate bis zurück ins Jahr 1875 und stellten fest, dass der Erfolg keineswegs garantiert war. Tatsächlic­h endeten lediglich 59 der Attentatsv­ersuche mit der Tötung der Zielperson.

Noch bedeutsame­r: Die Untersuchu­ngen von Jones und Olken weisen einen direkten Bezug zur Ermordung von Qasem Soleimani auf. Die beiden Forscher stellten fest, dass derart gezielte Tötungen durch Regierunge­n wenig dazu beitragen, einen Krieg zu verhindern oder ihn auf ein Minimum zu begrenzen.

Wie also bei Trump üblich, war die Welt Zeugin einer leeren – aber auf lange Sicht möglicherw­eise sehr kostspieli­gen – Geste.

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