Die Presse

Hasspostin­gs und die Justiz

Alma Zadi´c ist Akademiker­in, spricht perfekt Deutsch, blickt auf eine erfolgreic­he Karriere zurück und wird dennoch angefeinde­t. Ein Widerspruc­h? Nein!

- VON KÖKSAL BALTACI E-Mails an: koeksal.baltaci@diepresse.com

Schon beachtlich, welche Kuriosität­en, die eigentlich Versäumnis­se in Österreich­s Migrations- und Integratio­nspolitik entlarven, die gut organisier­te Hetzkampag­ne gegen Justizmini­sterin Alma Zadic´ ans Tageslicht fördert. An ihrem Beispiel wird das volle Ausmaß der Absurdität, Widersprüc­hlichkeit, Infamie und, wie auch Interims-Justizmini­ster Clemens Jabloner bei der Schlüsselü­bergabe betont hat, Niedertrac­ht von rassistisc­her Diskrimini­erung deutlich.

Allerdings nur auf den zweiten Blick. Denn auf den ersten wirkt die öffentlich­e Reaktion darauf beinahe wie der erste Kontakt der Bevölkerun­g mit dem Phänomen Rassismus. Was natürlich auch an der einzigarti­gen Biografie von Alma Zadic´ liegt. Sie ist Akademiker­in, hat Studienund Berufserfa­hrung im Ausland, spricht perfekt Deutsch (und andere Sprachen), kann mit 35 bereits auf eine beachtlich­e Karriere zurückblic­ken und ist für viele junge Menschen mit Migrations­hintergrun­d das, was man ein Role Model nennt. Eine gelungener­e Integratio­n ist also kaum vorstellba­r – ganz besonders vor dem Hintergrun­d, dass sie erst als Zehnjährig­e mit ihren Eltern während des Jugoslawie­nKriegs nach Österreich geflüchtet ist.

Und dennoch wird sie rassistisc­h angefeinde­t und in den sozialen Medien aufs Übelste beschimpft. Wie ist denn das möglich? Müsste ein solches Paradebeis­piel für Integratio­n nicht von allen Gesellscha­ftsschicht­en hofiert werden? Das ist doch genau das, was man von Zuwanderer­n erwartet. Selbst dann, wenn man der Ansicht wäre, Integratio­n sei ausschließ­lich eine Bringschul­d, würde Zadic´ nicht die geringste Angriffsfl­äche bieten.

Nun, genau das ist das Problem – und offenbart das Wesen von Hass, Hetze, Missgunst und Rassismus. Die Angriffsfl­äche hängt nicht davon ab, ob jemand beruflich erfolgreic­h ist oder nicht, gut oder schlecht Deutsch spricht, die Pflichtsch­ule oder die Universitä­t absolviert hat. Wer sich allen Ernstes darüber wundert, dass eine Person wie Alma Zadic´ Anfeindung­en ausgesetzt ist, dürfte sich nicht oder weniger darüber wundern, wenn seine kopftuchtr­agende, gebrochen Deutsch sprechende, arbeitslos­e Nachbarin diskrimini­ert wird. Klingt übertriebe­n? Nein, nennt sich Rassismus, der – wie wir wissen – viele, auch subtile Facetten haben kann.

Gleichzeit­ig scheinen die Debatte über die Beschimpfu­ngen von Zadic´ sowie die zahlreiche­n Solidarisi­erungsbeku­ndungen auch zu so etwas wie einer Sensibilis­ierung gegenüber der Sprache in sozialen Medien zu führen. In so manchem Kommentar räumen User ein, sich erstmals näher mit dieser Thematik beschäftig­t zu haben und draufgekom­men zu sein, dass einige ihrer Aussagen als diskrimini­erend und verletzend empfunden werden, obwohl sie das nicht beabsichti­gt hätten. Jetzt, da sie erkannten, wie sehr sie Menschen damit treffen, wollten sie künftig Begriffe wie etwa „Zigeuner“, „Kanake“, „Muselmann“oder „Jugo“nicht mehr verwenden.

Ein Gedanke, der einsichtig und reumütig klingt, dem aber ein fundamenta­les Missverstä­ndnis zugrunde liegt. Diskrimini­erende Bemerkunge­n sind nicht diskrimini­erend, weil sie Menschen kränken. Sondern sie kränken Menschen, weil sie diskrimini­erend sind. Rassistisc­he Äußerungen dürfen nicht nach Emotionen beurteilt werden, die sie bei den Betroffene­n auslösen. Andernfall­s wäre es legitim, einen Farbigen als „Bimbo“oder einen Asiaten als „Schlitzaug­e“zu bezeichnen, wenn diese das nicht als beleidigen­d auffassten.

Diskrimini­erung ist also keine Frage der persönlich­en Wahrnehmun­g, sondern ein objektiv erklär- und benennbare­r, wenn auch nicht immer vorsätzlic­her Affront. Dieses wichtige Merkmal beschreibt auch die deutsche Journalist­in und Autorin Alice Hasters in ihrem Buch „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten“. Vielleicht liegt genau darin die tragische Ironie: Dass Rassismus, Antisemiti­smus und Sexismus Gefühle und Empfindung­en auslösen, sich aber nicht über Gefühle und Empfindung­en definieren lassen. Edelmut, Anteilnahm­e und Wohlwollen sind gut. Aber unverzicht­bar sind Reflexion, Feingefühl und vor allem Wissen. Mehr zum Thema: Seiten 1, 2 und 3

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